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Angel für fehlerhafte Spermien

Medizin. - Seit bereits zehn Jahren existiert eine besondere Form der künstlichen Befruchtung. Bei der so genannten "Intra-Cytoplasmatischen Spermieninjektion", kurz ICSI, werden einzelne Spermien direkt in die Eizellen hineingespritzt. Der Haken dabei: Auch fehlerhafte Spermien, die in der Natur keine Chance hätten, können daher ICSI die Eizelle befruchten. Aus diesem Grund wird seit vergangenem Jahr diskutiert, ob ICSI vermehrt zu Erbkrankheiten führt. So ermittelten etwa australische Forscher eine Verdopplung der Geburtsfehler. Eine größere schwedische Studie kommt jetzt zu einer geringeren, aber immer noch nennenswerten Erhöhung der Rate um 30 bis 50 Prozent. Eine neue Methode soll diese Risiken zukünftig verringern.

    Gerade in ihrem besonderen Vorzug liegt bislang auch gleichzeitig ein möglicher Pferdefuss der so genannten "Intra-Cytoplasmatischen Spermieninjektion": Weil dabei gezielt einzelne Spermien in die zu befruchtende Eizelle injiziert werden, eignet sich die Methode besonders für jene Fälle, bei denen der Mann über zu wenige Spermien für eine natürliche Befruchtung verfügt. Doch mit dem gezielten "Schuss" geht einher, dass insbesondere mögliche Defekte auf dem männlichen Geschlechts-Chromosom, dem Ypsilon-Chromosom, an das Kind weitergegeben werden können. Philippos Patsalis, Genetiker aus Zypern, widmete sich aus diesem Grund den Ypsilon-Chromosomen der ICSI-Väter und ihres männlichen Nachwuchses: "Wenn einem Spermienspender eine bestimmte Region des männlichen Ypsilon-Chromosoms fehlt, dann werden fast immer gesunde Kinder geboren. Der Fehler im Ypsilon-Chromosom wirkt sich zunächst überhaupt nicht aus. Allerdings werden die männlichen Kinder dann als Erwachsene oft unfruchtbar sein." Damit überträgt sich aber die Unfruchtbarkeit des Vaters weiter auf die nächste Generation und wieder ist der Sohn auf die ICSI-Technik angewiesen, wenn er selbst Nachwuchs haben möchte.

    Doch auch schlimmere Fälle können eintreten. So entdeckte Patsalis, dass einige der ICSI-Jungen in einzelnen Zellen überhaupt kein Ypsilon-Chromosom mehr besitzen. Das vom Vater geerbte vorgeschädigte Chromosom schien dabei regelrecht zerfallen zu sein. "Wir nehmen an, dass es ein erhebliches Risiko gibt, dass sich das fehlerhafte Ypsilon-Chromosom auf die nächste Generation überträgt. Der Schaden kann sich sogar vergrößern. Das kann zu Missbildungen der Geschlechtsorgane führen, und in sehr seltenen Fällen zu geistiger Behinderung oder Autismus." Doch nicht nur das männliche Ypsilon-Chromosom ist betroffen. Nach ICSI können auch in anderen Chromosomen ganze Teile fehlen. Gabor Huszar von der Yale-Universität in den USA fand solche Lücken gleich in verschiedenen Chromosomen. Sein Schluss: Die bei ICSI verwendeten Spermien seien mitunter einfach noch nicht reif und könnten in der Natur eigentlich keine Eizellen befruchten. "Diese Spermien, die ohne Technik keine Chance hätten, weisen vermehrt Chromosomenschäden auf. Was diese Schäden bewirken, wissen wir noch gar nicht, denn die so gezeugten Kinder sind heute erst sechs Jahre alt oder jünger, und wir wissen nicht, was die Zukunft bringen wird", befürchtet Huszar.

    An der Yale-Universität entwickelten Wissenschaftler deshalb eine Technik, mit der reife von den unreifen Spermien unterschieden werden können. Der Trick dazu: Die Forscher suchen auf der Oberfläche der Spermien nach einer Bindungsstelle für Hyaluronsäure, die nur reife Spermien besitzen. Wie mit einer Angel können daran reife Spermien aus dem Sperma-Pool gezogen werden. Die ersten Ergebnisse sind ermutigend, denn so vorsortierte Spermien weisen vier- bis fünfmal weniger Chromosomenschäden auf als die übliche Zufallsauswahl. Dazu Gabor Huszar: "Jetzt haben wir die Möglichkeit, gezielt die reifen Spermien auszuwählen und nur diese Spermien für die ICSI-Befruchtung zu verwenden. Dann brauchen wir uns nicht vor der Zukunft zu fürchten. Wir müssen nur die richtigen Spermien verwenden." Zwar lasse sich noch nicht sagen, wie wichtig diese Vorsortierung indes wirklich sei, doch gebe die Methode auf jeden Fall zusätzliche Sicherheit für eine Technik, deren Langzeitwirkungen immer noch weitgehend unbekannt sind.

    [Quelle: Michael Lange]