Doch auch schlimmere Fälle können eintreten. So entdeckte Patsalis, dass einige der ICSI-Jungen in einzelnen Zellen überhaupt kein Ypsilon-Chromosom mehr besitzen. Das vom Vater geerbte vorgeschädigte Chromosom schien dabei regelrecht zerfallen zu sein. "Wir nehmen an, dass es ein erhebliches Risiko gibt, dass sich das fehlerhafte Ypsilon-Chromosom auf die nächste Generation überträgt. Der Schaden kann sich sogar vergrößern. Das kann zu Missbildungen der Geschlechtsorgane führen, und in sehr seltenen Fällen zu geistiger Behinderung oder Autismus." Doch nicht nur das männliche Ypsilon-Chromosom ist betroffen. Nach ICSI können auch in anderen Chromosomen ganze Teile fehlen. Gabor Huszar von der Yale-Universität in den USA fand solche Lücken gleich in verschiedenen Chromosomen. Sein Schluss: Die bei ICSI verwendeten Spermien seien mitunter einfach noch nicht reif und könnten in der Natur eigentlich keine Eizellen befruchten. "Diese Spermien, die ohne Technik keine Chance hätten, weisen vermehrt Chromosomenschäden auf. Was diese Schäden bewirken, wissen wir noch gar nicht, denn die so gezeugten Kinder sind heute erst sechs Jahre alt oder jünger, und wir wissen nicht, was die Zukunft bringen wird", befürchtet Huszar.
An der Yale-Universität entwickelten Wissenschaftler deshalb eine Technik, mit der reife von den unreifen Spermien unterschieden werden können. Der Trick dazu: Die Forscher suchen auf der Oberfläche der Spermien nach einer Bindungsstelle für Hyaluronsäure, die nur reife Spermien besitzen. Wie mit einer Angel können daran reife Spermien aus dem Sperma-Pool gezogen werden. Die ersten Ergebnisse sind ermutigend, denn so vorsortierte Spermien weisen vier- bis fünfmal weniger Chromosomenschäden auf als die übliche Zufallsauswahl. Dazu Gabor Huszar: "Jetzt haben wir die Möglichkeit, gezielt die reifen Spermien auszuwählen und nur diese Spermien für die ICSI-Befruchtung zu verwenden. Dann brauchen wir uns nicht vor der Zukunft zu fürchten. Wir müssen nur die richtigen Spermien verwenden." Zwar lasse sich noch nicht sagen, wie wichtig diese Vorsortierung indes wirklich sei, doch gebe die Methode auf jeden Fall zusätzliche Sicherheit für eine Technik, deren Langzeitwirkungen immer noch weitgehend unbekannt sind.
[Quelle: Michael Lange]