Im Fernsehen am Abend werden nur die Musiker zu sehen sein, Gesichter von fröhlichen Menschen vor einem renovierten Gebäude. Der normale Zuschauer wird nicht erfahren, dass es in Grosny nur eine Handvoll wiederaufgebauter Häuser gibt, dass 95 Prozent der Stadt nach wie vor zerstört sind. Wie stark zensiert diese täglichen Fernsehbilder aus Grosny sind, erfahren nur Besucher, die sich selbst in die tschetschenische Hauptstadt wagen, was für ausländische Journalisten ausschließlich in offizieller russischer Militärbegleitung erlaubt ist.
Zu dem Pflichtprogramm für die herumgeführten Korrespondenten gehört das Flüchtlingsheim in der Mitschurinstraße 116 in Grosny. Seit drei Monaten ist der renovierte Wohnblock das neue Zuhause für 45 Familien. Die meisten haben vier Jahre Lagerleben hinter sich in Zelten, die mehrfach geflickt zum Schluss nur noch Lumpen waren. Asa Gatajewa ist 46 Jahre alt. Sie jubiliert fast, dass sie endlich die Tür hinter ihrer Zweizimmerwohnung zumachen kann und die Zeit, als sie mit einer anderen Familie ein Zelt teilen musste, hinter ihr liegt. Endlich hat sie ihre eigenen vier Wände für ihre sieben Kinder bzw. Enkel hat. Asa geht voran ins fast leere Wohnzimmer, in dem nur drei Betten und eine Babywiege stehen. Sie eilt durch die Wohnung, dreht den Hahn über der Spüle auf und ist fast außer sich vor Freude.
Hier ist die Küche, wir haben hier im Erdgeschoss sogar fließend Wasser. Für den zweiten Stock reicht der Druck allerdings nicht mehr aus. Die Bedingungen hier sind sehr gut, das Haus ist renoviert, es ist überhaupt das beste, das ich kenne für Flüchtlinge. Die anderen sind wie Gemeinschaftsheime, aber das ist hier ein richtiges Wohnhaus.
Lange haben sich Asa Gatajewa und die anderen Familien aus dem Flüchtlingslager Sputnik im inguschetischen Slepzowsk dem Druck der Behörden zurückzukehren, widersetzt. Sie fürchteten um ihre Sicherheit und schauten sich die neue Unterkunft zuvor genau an, bevor sie einwilligten.
Nun ist sie wieder in ihrer Heimatstadt Grosny. Intakte Wohnhäuser wie das Flüchtlingsheim sind die ganz große Ausnahme. Die einst so schöne und stolze Hauptstadt ist ein Trümmerfeld. Riesige Löcher, die Granaten und Raketen in Fassaden und Dächer geschlagen haben, klaffen wie offene Wunden und machen ein Leben in den Wohnblocks unmöglich. Die Not leidenden Zivilisten nutzen jedes bewohnbare heile Eckchen und so entdeckt man selbst neben großen Einschusslöchern vereinzelt verglaste Fenster und sogar Gardinen.
Für Asa Gatajewa war die Ankunft in Grosny bei aller Freude über die eigene Wohnung ein schmerzlicher Moment. Sie erkannte ihre Stadt nicht wieder.
Es ist furchtbar, es tut weh, als hätte man dir einen Stich versetzt. Wenn man hier seine Kindheit verbracht hat und das jetzt sieht, dann ist das, als hätte man Dein Gedächtnis ausgelöscht. Alle meine Klassenkameraden sind weg und wenn Du nicht Gleichaltrige neben dir hast, siehst, wie sie auch langsam alt werden, dann verlierst du vollkommen das Gefühl für dich selbst. Ich weiß gar nicht mehr wer ich bin.
Ismel Schaow führt als Presseoffizier der russischen Truppen in Tschetschenien ausländische Journalisten durch Grosny. Er weiß, dass jede Mühe, das Ruinenfeld schönzureden, vergeblich ist und manchmal spricht er sogar ganz offen von seinen Erinnerungen. Zum Beispiel am Minutkaplatz. Einer Kreuzung mit Kreisverkehr, die einst umringt war von Wohnblocks, Cafes, Geschäften.
Hier in der Mitte des Minutka-Platzes hat man zur Jahreswende 1999/2000 die Leichen gesammelt. Dieser Platz war lange schwer umkämpft, er fiel mal in die eine, mal in die andere Hand. Die Gefallenen wurden hier in diesem Lichthof des Fußgängertunnels gesammelt. Diese ganze große Grube war voller Leichen, aus der jede Seite später ihre herausgesucht hat. Es waren furchtbare Kämpfe.
Jetzt vor den Wahlen versprechen alle Präsidentschaftskandidaten Frieden, was Anatoli Popow, der von Moskau eingesetzte Premierminister nicht recht verstehen kann, denn Frieden gibt es seiner Meinung nach schon jetzt.
In Tschetschenien herrscht Frieden. Wenn man die Verhältnisse in Tschetschenien auf die Stadt Moskau projiziert, dann ist vielleicht die Kriminalität einfach drei bis dreieinhalb Mal höher. Aber davon zu sprechen, dass in Tschetschenien Krieg herrscht, ist absurd.
Popow ist Oberhaupt Tschetscheniens solange sich der amtierende Präsident Achmed Kadyrow im Wahlkampf befindet. Kadyrow gilt als haushoher Favorit dieser Wahlen, neben dem die anderen sechs völlig unbekannten Kandidaten nicht einmal den Hauch einer Chance haben.
Ich möchte dass diese Wahlen die demokratischsten überhaupt werden. Und meinen Leuten, die gegen die Banditen kämpfen, sage ich, dass für alle Kandidaten gleiche Bedingungen geschaffen werden müssen. Warum diese Verdächtigung, dass diese Wahlen gefälscht werden? Ich möchte die Meinung des Volkes erfahren.
Was das Volk allerdings zur neuen Verfassung und den Wahlgesetzen zu sagen hatte, interessierte offenbar doch nicht alle. Das Abstimmungsergebnis vom 23.März ist so schamlos gefälscht worden, wie man es sich noch nicht einmal zu Sowjetzeiten getraut hätte. 96 Prozent der Tschetschenen sollen sich für den Verbleib ihrer Republik in der Russischen Föderation ausgesprochen haben, nach vier Jahren Krieg, der von den militanten Separatisten nicht zuletzt für die Unabhängigkeit Tschetscheniens geführt wird. Zahlreiche Beobachter haben mit einer Mehrheit von 55, maximal 60 Prozent für den Verbleib bei Russland gerechnet. Dass die Moskauer Organisatoren des Referendums dessen Ausgang gleich selbst in ihrem Sinn regelten, hat die Vertrauensbasis für die anstehende Präsidentschaftswahl von vornherein zunichte gemacht.
Der Wahlkampf bestätigte alle Befürchtungen. Von gleichen Chancen für sämtliche Kandidaten kann nicht im Entferntesten die Rede sein. Allerorten prangen dem Beobachter in Grosny und anderen Ortschaften Tschetscheniens Wahlplakate entgegen, die Achmed Kadyrow Hände schüttelnd mit Präsident Putin zeigen. Andere Kandidaten können es sich vielleicht noch leisten, ihren Namen auf die Wände der Ruinen zu sprühen, doch der 2000köpfige Wahlstab Kadyrows hat seine Augen offenbar überall und überschreibt die Namen der Herausforderer jeweils schon nach Stunden wieder mit Kadyrows Lettern.
Asa Gatajewa, die zurückgekehrte Flüchtlingsfrau wird nicht an der Wahl teilnehmen und lässt sich auch durch die neue Wohnung nicht umstimmen.
Ich würde wählen gehen, wenn ich das Gefühl hätte, das meine Stimme irgendeinen Einfluss hat. Aber ich weiß, dass es nicht so ist, das Kadyrow schon gewählt ist, das er es werden wird. Wenn ich gehen würde, würde ich für Malik Saidulajew stimmen, er hat nichts mit dieser Politik, diesem Schmutz zu tun. Die anderen, außer Malik, kenne ich nicht. Aber er hat uns geholfen, hat Zucker oder Mehl gespendet. Mit ihm hätte man es probieren können.
Doch Malik Saidulajew ist ebenso wie Hussein Dschabrailow und Aslanbek Aslachanow aus dem Rennen um das Präsidentenamt entfernt worden. Der Dumaabgeordnete Aslachanow, der in Tschetschenien Achtung und Autorität genießt, hat im Tausch gegen das Amt als Präsidentenberater für den Kaukasus auf seine Kandidatur verzichtet. Hussein Dschabrailow, ein schwerreicher Unternehmer, gab ohne Gründe zu nennen auf.
Nur Malik Saidullajew wehrte sich gegen das schmutzige Spiel und machte es öffentlich. Alle drei galten als ernstzunehmende Konkurrenten von Achmed Kadyrow und hatten durchaus Chancen, ihm einen beträchtlichen Teil der Stimmen abzujagen. Doch soweit sollte es gar nicht erst kommen. Im Fall Malik Saidulajews untersagten die Wahlkommission und die Obersten Gerichte Tschetscheniens bzw. der Russischen Föderation die Kandidatur. Angeblich waren nicht alle gesammelten Unterschriften von Personen, die seine Kandidatur unterstützen, gültig, weil in manchen Adressen der Unterschreibenden die Landesangabe Russland gefehlt habe. Ein Verstoß gegen das Wahlgesetz, das Aus für den Kandidaten.
Ich weiß von einem Gespräch zwischen Kadyrov-Leuten und Chapsirokow, dem Berater des Leiters der Präsidialadministration Woloschin im Vorfeld der Gerichtsentscheidung. Den Kadyrov-Leuten wurde zu verstehen gegeben, dass sie für ein Urteil gegen mich zwei Millionen Dollar zahlen müssen. Mir war klar, dass das Gericht gekauft werden würde. Ich habe schließlich erlebt, wie ich selbst gekauft werden sollte. Mir wurde eine Million Dollar angeboten, damit ich meine Kandidatur zurückziehe. Mir hat man Hilfe für meine Geschäfte versprochen und auch das Amt als Präsidentenberater für den Kaukasus offeriert, das jetzt der Dumaabgeordnete Aslachanow im Tausch für seine Kandidatur angenommen hat. Er hat angenommen, ich hatte abgesagt. Wenn Präsident Putin gewollt hätte, hätte er etwas gegen diese Rechtlosigkeit unternehmen können.
Der erfolgreiche Unternehmer glaubt, dass er nun dafür büßen muss, dass er sich nicht gefügt und auf seiner Kandidatur bestanden hat.
Ich weiß, dass man mich physisch aus dem Weg räumen möchte, man wird mich mit irgendwelchen Ermittlungsverfahren fertigmachen. Sie haben Killer auf mich angesetzt. Es gibt Videoaufzeichnungen, die zeigen, wie Mitarbeiter von mir gefoltert werden und schwören sollen, dass sie mich in die Luft sprengen.
Ilja Schabalkin, der Pressesprecher der russischen Einsatzkräfte in Tschetschenien, tritt fast immer im russischen Fernsehen auf, wenn die Öffentlichkeit über das Geschehen in der Kaukasusrepublik informiert wird. Anders als Tschetscheniens Premier Popow spricht Schabalkin noch nicht von Frieden. Erst recht nicht vor ausländischen Journalisten.
Die Anti-Terror-Operation dauert an, auch wenn die Kampfhandlungen im April/Mai 2000 endeten. Jetzt gibt es nur noch sehr kleine Banden, drei, fünf, manchmal zehn Personen. Wenn sie sich sammeln, dann auch mal 30 bis 40. Wir haben jetzt Spezialeinheiten der Truppen des Innenministeriums und der Geheimdienste vor Ort, die Aufklärungs- und Suchaktionen durchführen sowie Fallen an den Orten stellen, an denen sich diese Banden konzentrieren, also in den Bergen. Die Antiterroroperation geht also weiter, ihre Bezeichnung hat sich auch nicht geändert und sie als Journalisten werden sich auch weiter nicht frei in Tschetschenien bewegen dürfen, zumindest nicht in den nächsten fünf Jahren.
Für den aus dem Rennen geworfenen Präsidentschaftskandidaten Saidulajew steht fest, dass bestimmte Kräfte in Tschetschenien und Moskau kein Interesse an einem Ende der Auseinandersetzungen haben, er befürchtet vielmehr eine neue Zuspitzung des Konfliktes.
Diese Ernennung Kadyrows, Wahl kann man es nicht nennen, wird der Beginn des dritten Krieges sein. Wir haben bereits jetzt schon den Terror von Kadyrows Leuten, die jeden Tag Verbrechen begehen und sich sicher fühlen, damit ungestraft davonzukommen. Wahrscheinlich brauchen einige diese Instabilität um damit weiter ihr Geld zu verdienen. Dabei ist das russische Militär noch am harmlosesten. Es sind andere, die daran verdienen. Sie verdienen am Organhandel für Transplantationen, dafür gibt es zahlreiche Beweise. Sie verdienen an Geiselnahmen und den Verkauf von Menschen, sie verdienen am illegalen Verkauf des tschetschenischen Öls, am Wiederaufbau der Republik, am Kindergeld, an den Renten und Gehältern und jetzt auch an den Entschädigungszahlungen für die zerstörten Wohnungen.
Wie schon zur Abstimmung über die neue Verfassung werden der Europarat und die OSZE auch zur Präsidentschaftswahl keine Beobachter entsenden, aus Sicherheitsgründen, wie es wieder diplomatisch heißt. Die russischen Menschenrechtsorganisationen werden die Abstimmung ebenfalls nicht beobachten, kündigte Aktivist Lew Ponomarjow schon vor Wochen an.
Wir können nicht Beobachter von nicht legitimen Wahlen sein. Die Wahlen sind nicht legitim, bevor sie überhaupt begonnen haben. Das liegt natürlich in erster Linie am Krieg. Wahlen unter Kriegsbedingungen sind laut russischem und internationalem Recht nicht legitime Wahlen. Wenn wir als Beobachter an nicht legitimen Wahlen teilnehmen, dann legitimieren sie sie. Wir wollen nicht, dass man uns dazu missbraucht.
Auch wenn die russischen Truppen offiziell den Kampf gegen tschetschenische Terroristen im Kaukasus führen, werden ihnen doch immer wieder schwere Vorwürfe wegen brutaler Übergriffe auf die Zivilbevölkerung gemacht.
Zwar sind die schweren Kampfhandlungen vorüber, dennoch lebt die Bevölkerung noch immer in Angst und Schrecken. Swetlana Gannuschkina, die in diesem Sommer von amnesty international ausgezeichnete Gründerin des Menschenrechtszentrums:
Was wir in Tschetschenien antreffen, ist fast noch schlimmer als Krieg. Denn die Bevölkerung fürchtet jetzt den Terror der Kadyrow-Leute mehr als die Kriegshandlungen oder die Terrorakte von Seiten der Freischärler. Soldaten agieren zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, aber an anderen Orte sind sie dann nicht. Die Kadyrow-Leute jedoch machen keinen Unterschied, wen sie vor sich haben. Ihre Säuberungen sind ziellos, es sind Säuberungen um der Säuberungen willen, um die Menschen einzuschüchtern. Ich sage damit nicht, dass sich die russischen Militärangehörigen damit besser benehmen, die Gesetze eher einhalten, aber noch schlimmer als sie ist Kadyrows Terror.
Moskau wird nicht müde, die Wahlen als Beitrag zum politischen Regulierungsprozess darzustellen. Doch schon jetzt ist klar, dass sie nicht zur Befriedung betragen werden. Denn die Gegenseite wird von der sogenannten politischen Regulierung komplett ausgeschlossen. Weder gibt es Friedensgespräche mit den Anführern der bewaffneten Separatisten, noch bezieht man sie auf irgendeine Weise in die Wahlen mit ein. Der Kreml ignoriert sie und geht damit wissentlich am Kern des Problems vorbei.
So wird sich der Alltag der Menschen in der Krisenregion noch auf lange Sicht nicht normalisieren, wird weiter bestimmt sein von unzähligen Kontrollen.
Solange Asa Gatajewas Sohn, der an der wiedereröffneten Universität in Grosny studiert, unterwegs ist, hat die Mutter keine ruhige Minute.
Wenn er unterwegs ist, mache ich mir Sorgen bis zu dem Moment, da er an die Tür klopft. So geht es wahrscheinlich jeder Mutter. Wir sorgen uns. Was soll man tun?
Und Bislan, ein anderer Student aus dem Flüchtlingsheim erzählt, dass seine größte Sorge darin besteht, nie ohne Ausweis unterwegs zu sein. Werde ein junger Tschetschene nämlich ohne Papiere angetroffen, laufe er Gefahr, für immer zu verschwinden.
Tatsächlich kontrollieren Polizisten der russischen Spezialeinheit Omon an praktisch jeder Straßenecke die Passanten. Hunderten dieser ödgrauen fensterlosen Festungen aus Betonplatten, Brettern, Ziegelsteinen und Sandsäcken überziehen ganz Tschetschenien.
Für die Freischärler sind es genau diese Kontrollpunkte, von denen sie sich immer wieder herausgefordert fühlen und die sie deshalb vorzugsweise angreifen.
Adlan, ein großer kräftiger 26jähriger Polizist hält Wache an einem Kontrollpunkt in Grosny. Er ist kein großer Redner und gibt das Interview wohl nur aus Gehorsam.
"Unsere lassen wir durch, die anderen brauchen entsprechende Papiere." Sein Vorgesetzter, der bei dem Gespräch die ganze Zeit daneben steht, fällt ihm ins Wort. "Das Wichtigste ist, dass alle auf Waffen durchsucht werden. Dass niemand Waffen bei sich hat, der dass nicht darf." Ob er Tschetschene ist? "Natürlich." "Er sorgt hier für die verfassungsmäßige Ordnung", greift der Kommandeur wieder ein. Werden die Rebellen von der Bevölkerung oft unterstützt? "Ja. Vorgestern hatte jemand Waffen in seinem Auto versteckt. Auch Munition und Sprengstoff finden wir regelmäßig." Ob er von den Seinen als Verräter angesehen wird? "Klar, von vielen." Auf die Frage, ob ihm das was ausmacht, hat er keine Antwort. "Wie soll ich dir das erklären?", beginnt er und setzt den Satz nicht fort. Auf tschetschenisch ruft er einen anderen Kollegen, soll der weiter antworten.
Bei einer Arbeitslosigkeit von etwa 90 Prozent verdient der 26jährige Adlan traumhaft gut: 25.000 - 30.000 Rubel im Monat, rund 1000 Dollar. Dafür lässt er sich schon auch mal als Verräter beschimpfen.
Der dreißigjährige Omonkämpfer Dimitri, der mit ihm Dienst schiebt, ist blond und stammt aus der russischen Republik Mari El. Für ihn ist der Einsatz in Grosny eine Dienstreise, der sechste und damit letzte Monat ist fast um.
Es geht nicht darum, ob es sich finanziell lohnt oder nicht, es geht um die Ordnung, die wir hier wiederherstellen wollen. In letzter Zeit, seitdem wir gemeinsam mit den tschetschenischen Kollegen kontrollieren, ist es leichter und besser geworden. Gefährlich ist es aber immer noch überall.
Da der Omonpolizist derzeit in Tschetschenien lebt, geht er wie alle der rund 40 bis 50 000 dort stationierten russischen Einsatzkräfte am Sonntag mit wählen. Dmitri hofft, dass sich die seit Wochen angespannte Lage nach der Abstimmung entschärft. Doch er weiß auch, dass es nie so viele Anschläge gegeben hat wie in diesem Jahr. Weit über 200 Menschen sind allein bei Attentaten auf Militärtransporte, auf Kontrollpunkte oder Gebäude der Moskau treuen tschetschenischen Verwaltung in den zurückliegenden zwölf Monaten ums Leben gekommen. Dmitri ist Zeuge, einer von vielen, dass das Sterben in Tschetschenien noch kein Ende hat.
Zu dem Pflichtprogramm für die herumgeführten Korrespondenten gehört das Flüchtlingsheim in der Mitschurinstraße 116 in Grosny. Seit drei Monaten ist der renovierte Wohnblock das neue Zuhause für 45 Familien. Die meisten haben vier Jahre Lagerleben hinter sich in Zelten, die mehrfach geflickt zum Schluss nur noch Lumpen waren. Asa Gatajewa ist 46 Jahre alt. Sie jubiliert fast, dass sie endlich die Tür hinter ihrer Zweizimmerwohnung zumachen kann und die Zeit, als sie mit einer anderen Familie ein Zelt teilen musste, hinter ihr liegt. Endlich hat sie ihre eigenen vier Wände für ihre sieben Kinder bzw. Enkel hat. Asa geht voran ins fast leere Wohnzimmer, in dem nur drei Betten und eine Babywiege stehen. Sie eilt durch die Wohnung, dreht den Hahn über der Spüle auf und ist fast außer sich vor Freude.
Hier ist die Küche, wir haben hier im Erdgeschoss sogar fließend Wasser. Für den zweiten Stock reicht der Druck allerdings nicht mehr aus. Die Bedingungen hier sind sehr gut, das Haus ist renoviert, es ist überhaupt das beste, das ich kenne für Flüchtlinge. Die anderen sind wie Gemeinschaftsheime, aber das ist hier ein richtiges Wohnhaus.
Lange haben sich Asa Gatajewa und die anderen Familien aus dem Flüchtlingslager Sputnik im inguschetischen Slepzowsk dem Druck der Behörden zurückzukehren, widersetzt. Sie fürchteten um ihre Sicherheit und schauten sich die neue Unterkunft zuvor genau an, bevor sie einwilligten.
Nun ist sie wieder in ihrer Heimatstadt Grosny. Intakte Wohnhäuser wie das Flüchtlingsheim sind die ganz große Ausnahme. Die einst so schöne und stolze Hauptstadt ist ein Trümmerfeld. Riesige Löcher, die Granaten und Raketen in Fassaden und Dächer geschlagen haben, klaffen wie offene Wunden und machen ein Leben in den Wohnblocks unmöglich. Die Not leidenden Zivilisten nutzen jedes bewohnbare heile Eckchen und so entdeckt man selbst neben großen Einschusslöchern vereinzelt verglaste Fenster und sogar Gardinen.
Für Asa Gatajewa war die Ankunft in Grosny bei aller Freude über die eigene Wohnung ein schmerzlicher Moment. Sie erkannte ihre Stadt nicht wieder.
Es ist furchtbar, es tut weh, als hätte man dir einen Stich versetzt. Wenn man hier seine Kindheit verbracht hat und das jetzt sieht, dann ist das, als hätte man Dein Gedächtnis ausgelöscht. Alle meine Klassenkameraden sind weg und wenn Du nicht Gleichaltrige neben dir hast, siehst, wie sie auch langsam alt werden, dann verlierst du vollkommen das Gefühl für dich selbst. Ich weiß gar nicht mehr wer ich bin.
Ismel Schaow führt als Presseoffizier der russischen Truppen in Tschetschenien ausländische Journalisten durch Grosny. Er weiß, dass jede Mühe, das Ruinenfeld schönzureden, vergeblich ist und manchmal spricht er sogar ganz offen von seinen Erinnerungen. Zum Beispiel am Minutkaplatz. Einer Kreuzung mit Kreisverkehr, die einst umringt war von Wohnblocks, Cafes, Geschäften.
Hier in der Mitte des Minutka-Platzes hat man zur Jahreswende 1999/2000 die Leichen gesammelt. Dieser Platz war lange schwer umkämpft, er fiel mal in die eine, mal in die andere Hand. Die Gefallenen wurden hier in diesem Lichthof des Fußgängertunnels gesammelt. Diese ganze große Grube war voller Leichen, aus der jede Seite später ihre herausgesucht hat. Es waren furchtbare Kämpfe.
Jetzt vor den Wahlen versprechen alle Präsidentschaftskandidaten Frieden, was Anatoli Popow, der von Moskau eingesetzte Premierminister nicht recht verstehen kann, denn Frieden gibt es seiner Meinung nach schon jetzt.
In Tschetschenien herrscht Frieden. Wenn man die Verhältnisse in Tschetschenien auf die Stadt Moskau projiziert, dann ist vielleicht die Kriminalität einfach drei bis dreieinhalb Mal höher. Aber davon zu sprechen, dass in Tschetschenien Krieg herrscht, ist absurd.
Popow ist Oberhaupt Tschetscheniens solange sich der amtierende Präsident Achmed Kadyrow im Wahlkampf befindet. Kadyrow gilt als haushoher Favorit dieser Wahlen, neben dem die anderen sechs völlig unbekannten Kandidaten nicht einmal den Hauch einer Chance haben.
Ich möchte dass diese Wahlen die demokratischsten überhaupt werden. Und meinen Leuten, die gegen die Banditen kämpfen, sage ich, dass für alle Kandidaten gleiche Bedingungen geschaffen werden müssen. Warum diese Verdächtigung, dass diese Wahlen gefälscht werden? Ich möchte die Meinung des Volkes erfahren.
Was das Volk allerdings zur neuen Verfassung und den Wahlgesetzen zu sagen hatte, interessierte offenbar doch nicht alle. Das Abstimmungsergebnis vom 23.März ist so schamlos gefälscht worden, wie man es sich noch nicht einmal zu Sowjetzeiten getraut hätte. 96 Prozent der Tschetschenen sollen sich für den Verbleib ihrer Republik in der Russischen Föderation ausgesprochen haben, nach vier Jahren Krieg, der von den militanten Separatisten nicht zuletzt für die Unabhängigkeit Tschetscheniens geführt wird. Zahlreiche Beobachter haben mit einer Mehrheit von 55, maximal 60 Prozent für den Verbleib bei Russland gerechnet. Dass die Moskauer Organisatoren des Referendums dessen Ausgang gleich selbst in ihrem Sinn regelten, hat die Vertrauensbasis für die anstehende Präsidentschaftswahl von vornherein zunichte gemacht.
Der Wahlkampf bestätigte alle Befürchtungen. Von gleichen Chancen für sämtliche Kandidaten kann nicht im Entferntesten die Rede sein. Allerorten prangen dem Beobachter in Grosny und anderen Ortschaften Tschetscheniens Wahlplakate entgegen, die Achmed Kadyrow Hände schüttelnd mit Präsident Putin zeigen. Andere Kandidaten können es sich vielleicht noch leisten, ihren Namen auf die Wände der Ruinen zu sprühen, doch der 2000köpfige Wahlstab Kadyrows hat seine Augen offenbar überall und überschreibt die Namen der Herausforderer jeweils schon nach Stunden wieder mit Kadyrows Lettern.
Asa Gatajewa, die zurückgekehrte Flüchtlingsfrau wird nicht an der Wahl teilnehmen und lässt sich auch durch die neue Wohnung nicht umstimmen.
Ich würde wählen gehen, wenn ich das Gefühl hätte, das meine Stimme irgendeinen Einfluss hat. Aber ich weiß, dass es nicht so ist, das Kadyrow schon gewählt ist, das er es werden wird. Wenn ich gehen würde, würde ich für Malik Saidulajew stimmen, er hat nichts mit dieser Politik, diesem Schmutz zu tun. Die anderen, außer Malik, kenne ich nicht. Aber er hat uns geholfen, hat Zucker oder Mehl gespendet. Mit ihm hätte man es probieren können.
Doch Malik Saidulajew ist ebenso wie Hussein Dschabrailow und Aslanbek Aslachanow aus dem Rennen um das Präsidentenamt entfernt worden. Der Dumaabgeordnete Aslachanow, der in Tschetschenien Achtung und Autorität genießt, hat im Tausch gegen das Amt als Präsidentenberater für den Kaukasus auf seine Kandidatur verzichtet. Hussein Dschabrailow, ein schwerreicher Unternehmer, gab ohne Gründe zu nennen auf.
Nur Malik Saidullajew wehrte sich gegen das schmutzige Spiel und machte es öffentlich. Alle drei galten als ernstzunehmende Konkurrenten von Achmed Kadyrow und hatten durchaus Chancen, ihm einen beträchtlichen Teil der Stimmen abzujagen. Doch soweit sollte es gar nicht erst kommen. Im Fall Malik Saidulajews untersagten die Wahlkommission und die Obersten Gerichte Tschetscheniens bzw. der Russischen Föderation die Kandidatur. Angeblich waren nicht alle gesammelten Unterschriften von Personen, die seine Kandidatur unterstützen, gültig, weil in manchen Adressen der Unterschreibenden die Landesangabe Russland gefehlt habe. Ein Verstoß gegen das Wahlgesetz, das Aus für den Kandidaten.
Ich weiß von einem Gespräch zwischen Kadyrov-Leuten und Chapsirokow, dem Berater des Leiters der Präsidialadministration Woloschin im Vorfeld der Gerichtsentscheidung. Den Kadyrov-Leuten wurde zu verstehen gegeben, dass sie für ein Urteil gegen mich zwei Millionen Dollar zahlen müssen. Mir war klar, dass das Gericht gekauft werden würde. Ich habe schließlich erlebt, wie ich selbst gekauft werden sollte. Mir wurde eine Million Dollar angeboten, damit ich meine Kandidatur zurückziehe. Mir hat man Hilfe für meine Geschäfte versprochen und auch das Amt als Präsidentenberater für den Kaukasus offeriert, das jetzt der Dumaabgeordnete Aslachanow im Tausch für seine Kandidatur angenommen hat. Er hat angenommen, ich hatte abgesagt. Wenn Präsident Putin gewollt hätte, hätte er etwas gegen diese Rechtlosigkeit unternehmen können.
Der erfolgreiche Unternehmer glaubt, dass er nun dafür büßen muss, dass er sich nicht gefügt und auf seiner Kandidatur bestanden hat.
Ich weiß, dass man mich physisch aus dem Weg räumen möchte, man wird mich mit irgendwelchen Ermittlungsverfahren fertigmachen. Sie haben Killer auf mich angesetzt. Es gibt Videoaufzeichnungen, die zeigen, wie Mitarbeiter von mir gefoltert werden und schwören sollen, dass sie mich in die Luft sprengen.
Ilja Schabalkin, der Pressesprecher der russischen Einsatzkräfte in Tschetschenien, tritt fast immer im russischen Fernsehen auf, wenn die Öffentlichkeit über das Geschehen in der Kaukasusrepublik informiert wird. Anders als Tschetscheniens Premier Popow spricht Schabalkin noch nicht von Frieden. Erst recht nicht vor ausländischen Journalisten.
Die Anti-Terror-Operation dauert an, auch wenn die Kampfhandlungen im April/Mai 2000 endeten. Jetzt gibt es nur noch sehr kleine Banden, drei, fünf, manchmal zehn Personen. Wenn sie sich sammeln, dann auch mal 30 bis 40. Wir haben jetzt Spezialeinheiten der Truppen des Innenministeriums und der Geheimdienste vor Ort, die Aufklärungs- und Suchaktionen durchführen sowie Fallen an den Orten stellen, an denen sich diese Banden konzentrieren, also in den Bergen. Die Antiterroroperation geht also weiter, ihre Bezeichnung hat sich auch nicht geändert und sie als Journalisten werden sich auch weiter nicht frei in Tschetschenien bewegen dürfen, zumindest nicht in den nächsten fünf Jahren.
Für den aus dem Rennen geworfenen Präsidentschaftskandidaten Saidulajew steht fest, dass bestimmte Kräfte in Tschetschenien und Moskau kein Interesse an einem Ende der Auseinandersetzungen haben, er befürchtet vielmehr eine neue Zuspitzung des Konfliktes.
Diese Ernennung Kadyrows, Wahl kann man es nicht nennen, wird der Beginn des dritten Krieges sein. Wir haben bereits jetzt schon den Terror von Kadyrows Leuten, die jeden Tag Verbrechen begehen und sich sicher fühlen, damit ungestraft davonzukommen. Wahrscheinlich brauchen einige diese Instabilität um damit weiter ihr Geld zu verdienen. Dabei ist das russische Militär noch am harmlosesten. Es sind andere, die daran verdienen. Sie verdienen am Organhandel für Transplantationen, dafür gibt es zahlreiche Beweise. Sie verdienen an Geiselnahmen und den Verkauf von Menschen, sie verdienen am illegalen Verkauf des tschetschenischen Öls, am Wiederaufbau der Republik, am Kindergeld, an den Renten und Gehältern und jetzt auch an den Entschädigungszahlungen für die zerstörten Wohnungen.
Wie schon zur Abstimmung über die neue Verfassung werden der Europarat und die OSZE auch zur Präsidentschaftswahl keine Beobachter entsenden, aus Sicherheitsgründen, wie es wieder diplomatisch heißt. Die russischen Menschenrechtsorganisationen werden die Abstimmung ebenfalls nicht beobachten, kündigte Aktivist Lew Ponomarjow schon vor Wochen an.
Wir können nicht Beobachter von nicht legitimen Wahlen sein. Die Wahlen sind nicht legitim, bevor sie überhaupt begonnen haben. Das liegt natürlich in erster Linie am Krieg. Wahlen unter Kriegsbedingungen sind laut russischem und internationalem Recht nicht legitime Wahlen. Wenn wir als Beobachter an nicht legitimen Wahlen teilnehmen, dann legitimieren sie sie. Wir wollen nicht, dass man uns dazu missbraucht.
Auch wenn die russischen Truppen offiziell den Kampf gegen tschetschenische Terroristen im Kaukasus führen, werden ihnen doch immer wieder schwere Vorwürfe wegen brutaler Übergriffe auf die Zivilbevölkerung gemacht.
Zwar sind die schweren Kampfhandlungen vorüber, dennoch lebt die Bevölkerung noch immer in Angst und Schrecken. Swetlana Gannuschkina, die in diesem Sommer von amnesty international ausgezeichnete Gründerin des Menschenrechtszentrums:
Was wir in Tschetschenien antreffen, ist fast noch schlimmer als Krieg. Denn die Bevölkerung fürchtet jetzt den Terror der Kadyrow-Leute mehr als die Kriegshandlungen oder die Terrorakte von Seiten der Freischärler. Soldaten agieren zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, aber an anderen Orte sind sie dann nicht. Die Kadyrow-Leute jedoch machen keinen Unterschied, wen sie vor sich haben. Ihre Säuberungen sind ziellos, es sind Säuberungen um der Säuberungen willen, um die Menschen einzuschüchtern. Ich sage damit nicht, dass sich die russischen Militärangehörigen damit besser benehmen, die Gesetze eher einhalten, aber noch schlimmer als sie ist Kadyrows Terror.
Moskau wird nicht müde, die Wahlen als Beitrag zum politischen Regulierungsprozess darzustellen. Doch schon jetzt ist klar, dass sie nicht zur Befriedung betragen werden. Denn die Gegenseite wird von der sogenannten politischen Regulierung komplett ausgeschlossen. Weder gibt es Friedensgespräche mit den Anführern der bewaffneten Separatisten, noch bezieht man sie auf irgendeine Weise in die Wahlen mit ein. Der Kreml ignoriert sie und geht damit wissentlich am Kern des Problems vorbei.
So wird sich der Alltag der Menschen in der Krisenregion noch auf lange Sicht nicht normalisieren, wird weiter bestimmt sein von unzähligen Kontrollen.
Solange Asa Gatajewas Sohn, der an der wiedereröffneten Universität in Grosny studiert, unterwegs ist, hat die Mutter keine ruhige Minute.
Wenn er unterwegs ist, mache ich mir Sorgen bis zu dem Moment, da er an die Tür klopft. So geht es wahrscheinlich jeder Mutter. Wir sorgen uns. Was soll man tun?
Und Bislan, ein anderer Student aus dem Flüchtlingsheim erzählt, dass seine größte Sorge darin besteht, nie ohne Ausweis unterwegs zu sein. Werde ein junger Tschetschene nämlich ohne Papiere angetroffen, laufe er Gefahr, für immer zu verschwinden.
Tatsächlich kontrollieren Polizisten der russischen Spezialeinheit Omon an praktisch jeder Straßenecke die Passanten. Hunderten dieser ödgrauen fensterlosen Festungen aus Betonplatten, Brettern, Ziegelsteinen und Sandsäcken überziehen ganz Tschetschenien.
Für die Freischärler sind es genau diese Kontrollpunkte, von denen sie sich immer wieder herausgefordert fühlen und die sie deshalb vorzugsweise angreifen.
Adlan, ein großer kräftiger 26jähriger Polizist hält Wache an einem Kontrollpunkt in Grosny. Er ist kein großer Redner und gibt das Interview wohl nur aus Gehorsam.
"Unsere lassen wir durch, die anderen brauchen entsprechende Papiere." Sein Vorgesetzter, der bei dem Gespräch die ganze Zeit daneben steht, fällt ihm ins Wort. "Das Wichtigste ist, dass alle auf Waffen durchsucht werden. Dass niemand Waffen bei sich hat, der dass nicht darf." Ob er Tschetschene ist? "Natürlich." "Er sorgt hier für die verfassungsmäßige Ordnung", greift der Kommandeur wieder ein. Werden die Rebellen von der Bevölkerung oft unterstützt? "Ja. Vorgestern hatte jemand Waffen in seinem Auto versteckt. Auch Munition und Sprengstoff finden wir regelmäßig." Ob er von den Seinen als Verräter angesehen wird? "Klar, von vielen." Auf die Frage, ob ihm das was ausmacht, hat er keine Antwort. "Wie soll ich dir das erklären?", beginnt er und setzt den Satz nicht fort. Auf tschetschenisch ruft er einen anderen Kollegen, soll der weiter antworten.
Bei einer Arbeitslosigkeit von etwa 90 Prozent verdient der 26jährige Adlan traumhaft gut: 25.000 - 30.000 Rubel im Monat, rund 1000 Dollar. Dafür lässt er sich schon auch mal als Verräter beschimpfen.
Der dreißigjährige Omonkämpfer Dimitri, der mit ihm Dienst schiebt, ist blond und stammt aus der russischen Republik Mari El. Für ihn ist der Einsatz in Grosny eine Dienstreise, der sechste und damit letzte Monat ist fast um.
Es geht nicht darum, ob es sich finanziell lohnt oder nicht, es geht um die Ordnung, die wir hier wiederherstellen wollen. In letzter Zeit, seitdem wir gemeinsam mit den tschetschenischen Kollegen kontrollieren, ist es leichter und besser geworden. Gefährlich ist es aber immer noch überall.
Da der Omonpolizist derzeit in Tschetschenien lebt, geht er wie alle der rund 40 bis 50 000 dort stationierten russischen Einsatzkräfte am Sonntag mit wählen. Dmitri hofft, dass sich die seit Wochen angespannte Lage nach der Abstimmung entschärft. Doch er weiß auch, dass es nie so viele Anschläge gegeben hat wie in diesem Jahr. Weit über 200 Menschen sind allein bei Attentaten auf Militärtransporte, auf Kontrollpunkte oder Gebäude der Moskau treuen tschetschenischen Verwaltung in den zurückliegenden zwölf Monaten ums Leben gekommen. Dmitri ist Zeuge, einer von vielen, dass das Sterben in Tschetschenien noch kein Ende hat.