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Angst vor dem Tauwetter
Neue Sorgen im Schneechaos

Noch hat der Schnee Jachenau fest im Griff: Die oberbayerische Gemeinde ist weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten. Für das kommende Wochenende ist Tauwetter vorausgesagt. Bei Experten weckt dies böse Erinnerungen an eine Katastrophe vor 13 Jahren.

Von Michael Watzke | 10.01.2019
    Ein Feuerwehrfahrzeug in der Nähe von Bad Tölz
    Nur eine kleine, schwer befahrbare Forststraße verbindet Jachenau derzeit mit der Außenwelt (dpa/Angelika Warmuth)
    Wenn Bettina Hofmann derzeit aus dem Fenster schaut und die dicken Schneeflocken sieht, wird ihr ein bisschen mulmig: "Ich guck‘ auch gar nicht so gern auf das Wetterradar, muss ich gestehen. Weil, ich find’s, so a bissel bedrohlich wird’s dann. Vom Gefühl her. Weil, wir ersticken hier eh‘ schon. Letzte Nacht hat’s sicher nochmal einen halben Meter draufgeschneit. Wenn ich rausschaue, sind’s schon anderthalb Meter, die da vor dem Haus liegen."
    In den 23 Jahren, die Ergotherapeutin Hofmann nun in der Jachenau lebt, hat sie schon Winter mit mehr Schnee erlebt. Aber: "Es ist halt das Problem, dass der Schnee so nass gewesen ist und die vielen Bäume umgefallen sind."
    Halten die Dächer dem Nassschnee stand?
    Auch Axel Gudelius von der Freiwilligen Feuerwehr in der Jachenau macht sich weniger Sorgen um Schnee als über den Regen und das Tauwetter, das die Meteorologen für’s Wochenende ansagen: "Wenn es dann in 110 Zentimeter oder auch 150 Zentimeter, die der Wind zusammengeblasen hat, mal reinregnet, dann werden die Dächer schon schwer. Dann kann es schon sein, dass man manches alte Haus oder einen Stadel oder einen alten Hof vielleicht mal abschaufeln muss. Aber die normalen Häuser halten das leicht aus." Man sei schließlich ein Schneedorf, sagt Gudelius. Die Jachenauer könnten mit der derzeitigen Ausnahme-Situation gut umgehen.
    Professor Norbert Gebekken ist da vorsichtiger. Für den Statik-Experten der Bundeswehr-Universität Neubiberg sind die Wetteraussichten der nächsten Tage im Süden Deutschlands kein gutes Zeichen: "Denn zunächst mal nimmt der Schnee weiterhin Wasser auf. Dadurch kommen wir ganz, ganz schnell in Lasten, die bedenklich werden. Denn man muss bedenken: Zehn Zentimeter Wasser sind 100 Kilogramm pro Quadratmeter. Wenn der Schnee weiter Wasser aufnimmt, der Wassergehalt sich erhöht, dann können wir zu einer wirklichen Problemsituation kommen."
    Erinnerung an die Katastrophe von Bad Reichenhall
    Eine ähnliche Situation herrschte in Bayern vor fast genau 13 Jahren. Damals, im Januar 2006, stürzte in Bad Reichenhall das Dach der Eislaufhalle ein. 15 Menschen starben. Aus dem Unglück, sagt Professor Gebekken, habe man gelernt: "Nach der Katastrophe Bad Reichenhall haben wir wiederkehrende Bauwerksprüfungen eingeführt. Nicht nur in Bayern, sondern bundesweit. Und es wurden auch einige Hallen mit Verformungsmessern versehen, so dass man also, wenn große Durchbiegungen entstehen, akustisch gewarnt wird."
    Problematisch, so Gebekken, seien vor allem Flachdächer von Supermärkten oder Sporthallen: "Bei denen ist es ganz wichtig, dass im Taufall das Wasser wirklich abfließen kann. Und das ist häufig das Problem: Dass die Dachrinnen und die Dach-Fallrohre nicht richtig gereinigt werden. Und wenn sich dann das Wasser auf dem Dach sammelt, haben wir eine Überlast. Das heißt: Für diese Dächer ist oft nicht der Schnee das Problem, sondern wenn der Schnee taut."
    Tatsächlich hat der Freistaat Bayern jetzt erste Sporthallen geschlossen. Die Landratsämter beobachteten die Situation sehr genau, sagt ein Sprecher der Staatsregierung. In der Jachenau, derzeit DEM Schneedorf in Deutschland, sei die Stimmung gelassen, sagt Bewohnerin Bettina Hofmann: "Es geht uns gut, hier ist keiner, der wirklich leidet. Und trotzdem ist es eine sehr spezielle Situation. Man ist so ein bisschen aus der Zeit gefallen. So richtig genießen kann man es nicht, auch wenn es jetzt Urlaubstage sind, sozusagen - Zwangsurlaub."
    Vertrauen in die eigene Handwerkskunst
    Denn Hofmann und ihre Familie können derzeit nicht zur Arbeit fahren. Sie sind bis auf weiteres eingeschlossen in meterhohen Schneewänden. So wie alle 871 Einwohner des Bergdorfes - und eine Handvoll Touristen.
    "Man merkt einfach, was für ein wunderbarer Zusammenhalt da ist. Auch hier, innerhalb des Hofes. Am Sonntag waren wir völlig abgeschnitten, auch mit Strom. Und da kam dann das heiße Wasser von den Nachbarn. Und mein Mann ist Amateur-Funker. Der hat dann verschiedene Sachen rausgefunkt. Denn hier saßen ja auch Leute fest, die nicht mehr rauskamen. Das ist auch etwas, das es wieder sehr schön macht: Man spürt, dass man sich aufeinander verlassen kann."
    Auf ihre Dächer sind die Jachenauer übrigens noch nicht gestiegen. Feuerwehrmann Gudelius winkt ab: "Wenn man die Häuser betrachtet: Wir sind ein Handwerker-Dorf. Wir haben wahnsinnig gute Zimmerer. Alle Häuser sind selbstgebaut. Da kann es noch viele, viele Meter draufschneien, bevor wir hier was abschaufeln müssen."