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Angst vor dem Zerfall

Die jüngsten Verschleppungen von Ausländern im Jemen haben die Öffentlichkeit aufschrecken lassen. Bisher gingen Entführungen in dem Land glimpflich aus, doch nun sind drei Tote zu beklagen. Ein Indiz für einen Kontrollverlust der Regierung und den zunehmenden Einfluss von Terrororganisationen?

Von Birgit Kaspar |
    "Al-Arabiyya" über die möglichen Hintergründe der Verschleppung von neun Ausländern, darunter sieben Deutsche. Der saudische Fernsehsender hatte in den vergangenen Tagen die ausführlichste Berichterstattung in der Region über den Vorfall. Das ist kein Zufall, denn Saudi-Arabien trennt eine 1800 Kilometer lange, schwer zu kontrollierende Grenze vom Jemen.

    Je größer die Unruhen und der Zerfall der Staatsgewalt im ärmsten arabischen Staat, desto größer sei auch die Gefahr für Saudi-Arabien, meint der jemenitische Journalist Faris Sanabani:

    "Wenn der Jemen zerfällt, dann trifft das nicht nur mich oder meine Nachbarn. Es geht nicht nur um den Jemen. Saudi-Arabien wird es treffen, es wird auch Folgen auf afrikanische Staaten haben. Die Taliban werden hier im Jemen Einzug halten."

    Und/oder El Kaida möchte man hinzufügen. Nach den Anschlägen vom 11. September in den USA gingen die jemenitischen Behörden mit amerikanischer Hilfe gegen El Kaida vor, im Jemen, dem Heimatland von Osama bin Ladens Vater. Doch seit 2006 sollen sich El Kaida Sympathisanten wieder verstärkt hier niedergelassen haben, in den letzten Monaten suchten Berichten zufolge El-Kaida-Kämpfer aus Pakistan und dem Irak im Jemen Zuflucht.

    Washington macht die Terrororganisation für einen Autobombenanschlag auf die US-Botschaft in der Hauptstadt Sanaa im September 2008 verantwortlich. Es folgten Anfang dieses Jahres Anschläge auf belgische und südkoreanische Touristen in der südlichen Stadt Shibam, zu denen sich El Kaida bekannte.

    Im Januar erregten zwei saudische Ex-Guantanamo-Häftlinge Aufsehen, als sie die Dachorganisation "El Kaida auf der Arabischen Halbinsel" im Jemen gründeten und zu Attacken gegen Nicht-Muslime in der Region aufriefen. Der Jemen gilt den Extremisten erneut als attraktive Rückzugsbasis, denn die Regierung in Sanaa verliert zunehmend die Kontrolle über verschiedene Landesteile. Sarah Phillips, australische Jemen-Expertin, erläutert:

    "Die Kontrolle der Zentralregierung über das gesamte Land war nie sehr ausgeprägt. Es gab immer Regionen, die zwar nicht offiziell aber de facto relativ autonom geblieben sind, vor allem, wenn es um ihre Ressourcen ging; oder die Frage, wie viel Staat erlaubt ist, der Bau einer Polizeistation zum Beispiel. Es wäre falsch zu sagen, der jemenitische Staat war stark und jetzt zerfällt er. Aber die Fragmentierung wird immer stärker politisiert."

    Das gilt vor allem für die Saada-Provinz im Norden, wo jetzt die Ausländer entführt wurden, sowie für den immer schärfer werdenden Konflikt der Regierung mit dem Süden. Abdelkarim al-Iryani, Ex-Premier und heute Berater von Präsident Ali Abdullah Saleh, räumt ein, die Lage sei besorgniserregend. Zwar sieht al-Iryani auch Fehler der Regierung, doch er hält die Wirtschaftskrise für den wichtigsten Grund für die zunehmende Instabilität.

    "Einige mögen das nicht gerne hören, aber ich denke, das Wirtschaftsproblem verschärft die Krise im Süden und sie bedroht den Norden. Die Klagen der Leute gründen sich in erster Linie auf den Mangel an wirtschaftlicher Entwicklung."

    Tatsächlich protestieren die Menschen im Süden wie auch im Norden unter anderem gegen die Vernachlässigung durch die Zentralregierung. Doch das taten sie auch schon, bevor sich die Wirtschaftskrise zuspitzte. Die hält der Präsidentenberater dennoch für das bedrohlichste Problem: Die wirtschaftliche Lage im Jemen sei entsetzlich. Die Arbeitslosigkeit liege bei 30 Prozent oder mehr, wegen der internationalen Finanzkrise. Diese Probleme könnten nicht über Nacht gelöst werden, sie benötigten die Kooperation der Bevölkerung. Ein Reformprogramm existiere zwar, aber es sei unklar, wie schnell es umgesetzt werden könne. Man könne nur hoffen und zähle auf internationale Unterstützung, so al-Iryani, denn:

    "Armut ist der Zwillingsbruder des Terrorismus' im Jemen. In anderen Ländern kommen die Terroristen aus der Mittelklasse. Aber im Jemen ist es eine Frage der Armut, denn eine Mitgliedschaft bei El Kaida garantiert ein attraktives Gehalt."

    Die langsam versiegenden Ölquellen - deren Einnahmen bisher noch 90 Prozent des Exporterlöses im Jemen ausmachen - sowie die gesunkenen Preise für Rohöl auf dem Weltmarkt lassen die staatlichen Einnahmen drastisch sinken. Der Erlös aus dem Erdölexport ist im ersten Quartal nach Angaben der jemenitischen Zentralbank um 75 Prozent gesunken. Die weitverbreitete Korruption und die Klientelwirtschaft verschlimmern die Situation ebenso wie ein galoppierendes Bevölkerungswachstum.

    Mehr noch: Eine Hungersnot könnte anstehen für die 23 Millionen Jemeniten, warnt der Präsidentenberater. Extreme Trockenheit könne zu einer der schlechtesten Ernten aller Zeiten führen. In einem Staat, der - wenn überhaupt - seine innenpolitischen Probleme mit Cash löst, verspricht das nichts Gutes.

    Im Süden gingen die Menschen immer öfter auf die Barrikaden, sie fühlten sich von Sanaa, der Hauptstadt im Norden, ausgebeutet, erklärt Sarah Phillips, die Jemen-Expertin:

    "Viele von Jemens Bodenschätzen liegen im Süden. 70 bis 80 Prozent des Öls, dann der Hafen von Aden. Sie fühlen - zu Recht oder zu Unrecht -, dass sie all diese Ressourcen haben, aber nicht davon profitieren."

    Deshalb fordern immer mehr Südjemeniten eine erneute Teilung des Landes, wie vor der Vereinigung 1990. Auch im Norden wollen die Anhänger der Rebellenbewegung um Adbel Malek al-Houthi am liebsten eine Autonomie, denn auch sie fühlen sich von der Regierung diskriminiert: wirtschaftlich, politisch und religiös.

    Die Houthis gehören zur schiitischen Sekte der Zaidis, einer Minderheit im konservativ sunnitischen Jemen. Der schwelende Konflikt mit den Regierungstruppen in Saada dauert nun schon seit 2004 an, Hunderte Menschen wurden getötet, Tausende aus ihren Dörfern vertrieben. Der Konflikt flammt immer wieder auf, ein Ende ist nicht absehbar.

    "Es gibt Scharmützel, jedoch keine ernsten Gefechte. Aber alle Probleme, die nicht gelöst werden, bleiben eine Bedrohung, das ist sicher."

    Der EU-Anti-Terrorexperte Gilles de Kerchove warnte erst jetzt: Der Jemen laufe Gefahr, in die Fußstapfen der gescheiterten Staaten Afghanistan und Somalia zu treten. Das könne auch die Schifffahrt im Golf von Aden zusätzlich gefährden.