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Annette Schavan
Kampf um Titel und Ruf

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Annette Schavan (CDU) von der Universität Düsseldorf ihr Doktortitel entzogen wurde. Die damalige Bundesbildungsministerin reichte Klage gegen die Entscheidung ein. Sie bestreitet eine systematische Täuschung. Experten halten ihre Erfolgschancen für gering.

Von Armin Himmelrath | 19.03.2014
    Annette Schavan spricht in ein Mikrofon, im Hintergrund ist auf einer Wand die Abkürzung "Dr." zu sehen
    Annette Schavan verteidigt sich damit, dass in den 1980er-Jahren andere, nämlich weniger scharfe Zitierregeln gegolten hätten. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    5. Februar 2013. Ein Dienstag, spätabends. Pressekonferenz an der Universität Düsseldorf.
    "Der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat heute die Entscheidung getroffen, die schriftliche Promotionsleistung von Frau Schavan für ungültig zu erklären und ihr den Doktorgrad zu entziehen."
    Annette Schavan in einer Erklärung kurz darauf:
    "Ich bin davon überzeugt, dass die Plagiatsvorwürfe unberechtigt sind und dass sie ausgeräumt werden."
    "Die Nicht-Erwähnung von Literaturtiteln in Fußnoten oder sogar im Literaturverzeichnis ergeben, der Überzeugung des Fakultätsrats nach, das Gesamtbild, dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte."
    "Ich werde diese Entscheidung nicht akzeptieren und dagegen klagen. Ich habe in meiner Dissertation weder abgeschrieben noch getäuscht, die Vorwürfe - das habe ich in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach gesagt - treffen mich tief."
    Prozess vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf
    Über ein Jahr ist es her, dass der ehemaligen Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, der Doktortitel aberkannt wurde. Anonyme Plagiatsjäger hatten zuvor ihre Promotionsarbeit mit dem Titel "Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" durchleuchtet und mutmaßliche Plagiate im Internet veröffentlicht. Nach Darstellung des Blogs "schavanplag" soll sie auf 94 von 325 Seiten ihrer Dissertation Textstellen ohne Quellenangaben übernommen haben. Die Universität Düsseldorf, Schavans Alma Mater, überprüfte auf Wunsch der CDU-Politikerin daraufhin die Arbeit und kam zu dem gleichen Ergebnis - Annette Schavans Promotion wurde für ungültig erklärt. Weil die heute 58-Jährige sofort danach Klage gegen diese Entscheidung einreichte, darf sie ihren Doktortitel vorerst weiter führen - wie auch den Titel Professorin, den sie als Honorarprofessorin der Freien Universität Berlin trägt. Morgen beginnt vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf der Prozess:
    "Aktenzeichen 15 K 2271 aus 2013Sitzungssaal III, Raum 240Professor Dr. Schavan gegen Heinrich-Heine Universität Düsseldorf - Klage wegen Ungültigerklärung der Promotionsleistung und Rücknahme des Doktorgrades"
    Die Doktorarbeit von Annette Schavan
    Die Doktorarbeit von Annette Schavan (dpa/picture alliance/Daniel Naupold)
    So ist die Verhandlung in der Terminvorschau des Gerichts angekündigt. Die Bundestagsabgeordnete, die im Februar des vergangenen Jahres vier Tage nach der Aberkennung ihres Doktorgrads auch von ihrem Amt als Ministerin zurücktrat, klagt also gegen ihre frühere Universität. Christian Birnbaum ist Rechtsanwalt in Köln. Als Anwalt hat er Silvana Koch-Mehrin verteidigt. Die Europaabgeordnete der FDP hatte ebenfalls wegen Plagiatsvorwürfen ihren Doktortitel verloren. Für die Europawahl im Mai wird sie deshalb nicht erneut kandidieren. In den Fall Schavan ist Birnbaum nicht involviert - aber er schaut natürlich mit großem Interesse auf das Verfahren.
    Hat die Universität Fehler gemacht?
    "Immer, wenn’s gegen Verwaltungsakte geht, gibt es zwei Fragen: Ist der Verwaltungsakt formell rechtmäßig? Und ist der Verwaltungsakt materiell rechtmäßig? Es gibt zu jedem Verwaltungsvorgang eine Akte - oder die wird dann halt erstellt, wenn geklagt wird. Das heißt, das Gericht fordert bei der Einrichtung - hier: bei der Universität - Unterlagen an. Die maßgeblichen Ordnungen, die Protokolle, was auch immer. So. Und dann guckt sich der Betroffene diese Unterlagen an und sucht nach Anhaltspunkten, was hier verfahrensfehlerhaft gelaufen sein könnte."
    Es geht also um die Frage: Hat die Universität Düsseldorf Fehler gemacht, als sie die Arbeit von Annette Schavan auf Plagiate überprüfte? Als sie einen Professor der Uni mit einem Gutachten beauftragte? Als sie schließlich - durch den Fakultätsrat - Schavan den Doktortitel entzog? Genau betrachtet, sagt Christian Birnbaum, geht es hier sogar um zwei Verwaltungsakte: die Verleihung des Doktortitels im Jahr 1980 und den Entzug im Februar 2013.
    "War der ursprüngliche Verwaltungsakt rechtswidrig - Fragezeichen? Dann müsste eine Täuschung vorgelegen haben, dann war der Verwaltungsakt rechtswidrig."
    Nur dann liege auch ein Grund vor für den zweiten Verwaltungsakt, der Titelrücknahme. Doch wenn das Gericht überprüft, ob im Fall Schavan alles richtig gelaufen ist, gebe es nicht nur schwarz oder weiß, richtig oder falsch. Denn der Entscheidungsspielraum einer Universität sei bei der Verleihung sowie beim Entzug von akademischen Titeln relativ groß.
    "Die Universität hat ein Ermessen. Sie kann den alten Verwaltungsakt zurücknehmen, sie muss es aber nicht. Von dem Ermessen muss auch korrekt und rechtmäßig Gebrauch gemacht worden sein."
    Wäre ein externes Gutachten notwendig gewesen?
    Die Entscheidung der Uni darf also weder willkürlich fallen, noch von Entscheidungen in ähnlichen Fällen abweichen. Das tue sie auch nicht, sagt Bruno Bleckmann, Dekan der philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf. Denn man habe umfangreiches Material zur Bewertung von Schavans Arbeit hinzugezogen: beispielsweise die von ihr in der Dissertation angegebene umfangreiche Literatur sowie weitere Fachartikel und Bücher, außerdem ihre Stellungnahme und mehrere von Schavan eingereichte Gutachten. Mit denen wollte die CDU-Politikerin nachweisen, dass sie keine gravierenden Fehler gemacht habe.
    "Der Fakultätsrat hat dieses Material für ausreichend gehalten, um seine Beratungen fortzuführen und heute zu einer Entscheidung zu gelangen. Die Frage, ob abweichend von vergleichbaren Plagiatsuntersuchungsverfahren an anderen Fakultäten ein zusätzliches, auswärtiges Gutachten notwendig ist, wurde vom Fakultätsrat verneint."
    Dass sie damit richtig gehandelt hat, hat sich wiederum auch die Uni in einem Gutachten des Bonner Jura-Professors Klaus Ferdinand Gärditz bestätigen lassen. Annette Schavan sieht das erwartungsgemäß anders. Ihre Anwälte waren zu einem Interview nicht bereit, verweisen aber auf eine schriftliche Erklärung. Darin bemängeln sie, dass der Fakultätsrat nicht genau genug überprüft habe, ob es sich wirklich um Plagiate handelt. Und, dass diese Überprüfung nicht durch externe Gutachter unterstützt wurde:
    "Die gebotenen Ermittlungen zur Feststellung einer Täuschung der Gutachter im damaligen Promotionsverfahren sind unterblieben. Förmlich gestellte Beweisanträge, die sich darauf beziehen, wurden übergangen. Das gilt beispielsweise auch für den Antrag auf Einholung eines externen Fachgutachtens. Eine Täuschung hat es nicht gegeben."
    Zwei wesentliche Fragen wird das Gericht also klären müssen: Hat die Universität Düsseldorf genau genug geprüft, als sie dem Plagiatsverdacht nachging? Und hat sie dann die richtige Konsequenz gezogen? Inhaltlich geht es um Passagen wie diese, die auf Internet-Seiten wie "schavanplag" als mutmaßliche Plagiate dokumentiert sind. Annette Schavan schrieb in ihrer Doktorarbeit über Gewissensbildung beispielsweise:
    "Dieser Schatten wächst gleichsam als der Spiegel des Ich und setzt sich aus verdrängten, wenig oder gar nicht gelebten psychischen Zügen des Menschen zusammen, die aus moralischen, sozialen, erzieherischen oder sonstigen Gründen aus dem Leben ausgeschlossen wurden."
    Woher die Passage stammt, gab sie nicht an. Das hätte die damals 24-Jährige aber tun müssen. Denn in der ihren Ausführungen vermutlich zugrunde liegenden Quelle heißt es:
    "Der Schatten wächst parallel mit dem Ich, gleichsam als dessen "Spiegelbild", und setzt sich zusammen aus den teils verdrängten, teils wenig oder gar nicht gelebten psychischen Zügen des Menschen, die von Anfang an aus moralischen, sozialen, erzieherischen oder sonstigen Gründen weitgehend vom Mitleben ausgeschlossen wurden."
    Schavan: Keine systematische Täuschung
    Die Sätze klingen verblüffend ähnlich, nur dass bei Schavan der Hinweis auf die Verfasserin fehlt - die zweite Textpassage stammt aus dem Buch "Der Weg zur Individuation" der verstorbenen ungarischen Psychologin Jolande Jakobi, veröffentlicht 1971. Doch wie tief tauchen die Düsseldorfer Richter in die 351-Seiten dicke Doktorarbeit von Annette Schavan ein? Rechtsanwalt Christian Birnbaum:
    "Die wichtige Frage, die hier steht: Liegt eine Täuschung vor? Klar. Ich weiß nicht, ob man dafür die Arbeit gelesen haben muss. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es genügt, das zu lesen, was man im Internet so lesen kann. Natürlich vielleicht mal zu schauen, ob’s auch wirklich aus der Arbeit entstammt. Aber davon ist ja wohl auszugehen. Und dann würde in einem Urteil wahrscheinlich exemplarisch auf zehn oder 15 Stellen eingegangen, wo diese Übereinstimmungen vorliegen, und dann damit begründet: Und deshalb ist hier systematisch getäuscht worden."
    Genau das aber bestreitet Annette Schavan. Es habe keine systematische Täuschung gegeben, betont sie immer wieder. Sie weist auch darauf hin, dass in den 1980er-Jahren andere, nämlich weniger scharfe Zitierregeln gegolten hätten - jedenfalls in ihrem Studienfach, der Erziehungswissenschaft. Der Düsseldorfer Dekan Bruno Bleckmann widerspricht:
    "In den von der Betroffenen beigefügten Stellungnahmen wird eine Besonderheit erziehungswissenschaftlicher Promotionskultur in den frühen 80er-Jahren angenommen, auf die sich auch die anwaltliche Vertretung von Frau Schavan beruft. Inwiefern dies aber Besonderheiten beim Zitieren begründet, konnte vom Fakultätsrat nicht nachvollzogen werden."
    Dekan: "Zitierstandards waren die gleichen"
    Immerhin räumt der Dekan eines ein, dass an der Universität damals möglicherweise Fehler gemacht worden sind bei der Betreuung oder der Qualitätskontrolle der Schavan-Promotion.
    "Selbstkritisch konstatiert zwar die Fakultät, dass es in ihrer Geschichte immer wieder in einzelnen Bereichen oder bei einzelnen Personen Defizite in der Betreuung oder in der Prüfung von Dissertationen gegeben haben kann. Gleichwohl ist aber ohne Zweifel festzuhalten, dass die Zitierstandards der Erziehungswissenschaft zum Entstehungszeitpunkt der Arbeit die gleichen waren wie die in der übrigen philosophischen Fakultät."
    Im Klartext heißt das: Selbst wenn die Uni einen Fehler gemacht haben sollte, ist in erster Linie doch der Autor einer Doktorarbeit dafür verantwortlich, dass seine Arbeit nach wissenschaftlichen Standards geschrieben wurde. Patrick Honecker ist Experte für Wissenschaftskommunikation und für verschiedene wissenschaftliche und universitäre Einrichtungen tätig. Im Fall Schavan will er der Uni Düsseldorf keine Vorwürfe machen.
    "Aus der Außensicht würde ich sagen, dass die Universität sauber agiert hat, dass da letztendlich auch wenig Möglichkeiten waren, anders aufzutreten - die Frage ist jetzt in der Kommunikation: Kann man da überhaupt gewinnen in so einer Situation? Hier hat man kaum die Möglichkeit, abzuwägen zwischen einem diplomatischen Vorgehen und einem, was die Öffentlichkeit letztendlich verlangt: nämlich eine ganz klare Aufklärung, auch die Standards der wissenschaftlichen Arbeit aufrecht zu erhalten."
    Und diese Standards, sagt der Düsseldorfer Dekan Bruno Bleckmann, habe es eben vor mehr als 30 Jahren auch schon gegeben. Sie müssten also der damaligen Studentin Annette Schavan bekannt gewesen sein.
    "In einschlägigen Leitfäden und Handreichungen wurde deutlich gemacht, dass nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte als Textplagiate zu werten sind und Sanktionen nach sich ziehen müssen, wenn sie entdeckt werden."
    Und deshalb habe es eben auch die klare Entscheidung zum Titelentzug gegeben:
    "Der Fakultätsrat lehnt es ab, für diese spezielle Dissertation ein Plagiatsverständnis anzuwenden, das von der allgemeinen, auch Anfang der 1980er-Jahre gültigen Meinung abweicht."
    Anwalt: "Auch 1980 war eine Täuschung eine Täuschung"
    Aber können die Verwaltungsrichter den Zeitkontext wirklich außer Acht lassen, in dem die Arbeit vor über 30 Jahren entstanden ist? Rechtsanwalt Christian Birnbaum.
    "Ich würde mich sehr wundern, wenn das in der gerichtlichen Entscheidung nachher eine tragende Rolle spielen würde. Auch 1980 war eine Täuschung eine Täuschung. Ich glaube nicht, dass das eine fachspezifische Fragestellung ist."
    Wenn aber die Uni erst einmal nachgewiesen habe, dass die Doktorandin damals plagiiert hat, werde es sehr, sehr schwer für Schavans Verteidiger, glaubt der Rechtsanwalt.
    "Das führt zu einer Umkehr der Beweislast, und dann muss der Betroffene eben sagen, warum das nicht eine Täuschung war. Und da wird er vielleicht einen 30 Jahre alten Fächerkontext als Argumentationsmuster bemühen, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie das eine Rolle spielen soll - es sei denn, es wäre erweislich, dass es eben vor 30 Jahren gang und gäbe war, abzuschreiben und nicht zu zitieren. Das kann ich mir nicht vorstellen. Und dann in der einen Disziplin - das wär eine komische Disziplin."
    Stimmt, sagt Kommunikationsberater Patrick Honecker. Die wissenschaftlichen Standards ändern sich zwar, aber nicht innerhalb weniger Jahre sogrundsätzlich:
    "Mit Sicherheit sind heute Doktorarbeiten anders geschrieben als noch vor 30 Jahren. Alleine, was das Ausmaß angeht und was die technischen Hilfsmittel angeht. Es gab natürlich vor 30 Jahren noch keine Computer, man konnte nicht so einfach mit Fußnoten arbeiten. Nichtsdestotrotz ist das natürlich etwas, was man aus der Gesamtgenese wahrscheinlich schwer prüfen kann, weil man einfach Maßstäbe heute anlegen muss auch für eine bestimmte Qualität, aber natürlich die Vergangenheit nicht außer Acht lassen darf. Und das macht es allen schwer in der Prüfung."
    Welche Rolle spielt Schavans Lebensleistung?
    Auf keinen Fall aber, argumentieren die Verteidiger von Annette Schavan, seien die möglichen Fehler so gravierend, dass sie den Entzug des Doktortitels rechtfertigten würden. In der Erklärung der Anwälte heißt es:
    "Die Entscheidung ist unverhältnismäßig. Die gemessen am Umfang der Doktorarbeit und ihrer Literaturnachweise geringfügige Zahl behaupteter Zitierverstöße, die sich zudem fast alle im referierenden Teil der Arbeit befinden, rechtfertigen die Rücknahme der Promotion und damit des einzigen berufsqualifizierenden Abschlusses unserer Mandantin nicht."
    Eine Frage, die jetzt von den Verwaltungsrichtern beantwortet werden muss.Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Welche Rolle spielt im Fall Schavan ihre unbestrittene Lebensleistung als Bildungspolitikerin in Baden-Württemberg und danach im Bund?
    "Sehr schweren Herzens habe ich den Rücktritt nur angenommen, weil mit Anette Schavan eine der anerkanntesten und profiliertesten Bildungs- und Forschungspolitikerinnen unseres Landes - im Grunde die anerkannteste und profilierteste Bildungspolitikerin unseres Landes - die Bundesregierung verlassen wird."
    Bildungsministerin Schavan erklärt Bundeskanzlerin Merkel den Rücktritt
    Annette Schavan erhielt Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (dpa / Wolfgang Kumm)
    Bundeskanzler Angela Merkel am 9. Februar 2013, nachdem sie Schavans Rücktrittsgesuch angenommen hat. Die beiden Frauen verbindet auch eine persönliche Freundschaft.
    "Sieben Jahre Bundesbildungsministerin, zuvor zehn Jahre Landeskultusministerin - insgesamt also 17 Jahre im Dienste für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland. Das sucht seinesgleichen."
    Wissenschaftsexperte: Guter Ruf darf kein Kriterium sein
    Auch Patrick Honecker nimmt in der Öffentlichkeit eine wohlwollende Grundhaltung für Schavan wahr - ganz anders als bei ihrem einstigen Kabinettskollegen Karl Theodor zu Guttenberg von der CSU. Der frühere Verteidigungsminister war ebenfalls über eine Plagiatsaffäre gestolpert, die ihn das Amt gekostet hat - allerdings waren die Plagiate im Fall Guttenberg offensichtlicher als bei Schavan. Patrick Honecker:
    "Nach meiner Einschätzung war Frau Schavan hoch akzeptiert in der gesamten Wissenschafts-Community. Es ist so, dass sie sich immer sehr stark für die Interessen der Wissenschaft eingesetzt hat. Es ist auch so, dass sie durch ihr Auftreten immer sehr positive Resonanz im gesamten Wissenschaftssystem erhalten hat."
    Auf Milde beim Umgang mit ihren Zitierfehlern könne Annette Schavan aber trotzdem nicht hoffen, sagt Patrick Honecker. Denn ihr guter Ruf als Bildungs- und Forschungsministerin sei für die Bewertung ihrer Doktorarbeit kein Kriterium.
    "Für die Wissenschaft darf das auf gar keinen Fall so sein! Natürlich gehört zum Markenkern jeder Universität die Promotion, und wenn man sich diesen Markenkern aushöhlen lassen würde, wäre das natürlich für das System fatal - das heißt, hier muss man ganz besonders kritisch überprüfen."
    Und diese Überprüfung liegt jetzt in den Händen der Düsseldorfer Verwaltungsrichter. Für sie darf dabei auch keine Rolle spielen, dass Annette Schavan möglicherweise vor ihrer politischen Rehabilitation steht: Denn erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die 58-jährige Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl werden soll. Die Nominierung für das Amt in der Vatikanstadt nahm die bekennende Katholikin bereits an. Eine komplexe Gemengelage also, in der die Düsseldorfer Richter nun entscheiden müssen. Der Ausgang des Verfahrens ist zwar offen, doch Anwalt Christian Birnbaum hat festgestellt, dass in der Vergangenheit Ermessensentscheidungen von Universitäten in Verwaltungsgerichtsverfahren so gut wie nie korrigiert wurden.
    "Das passiert selten. Und da kann man ja durchaus drüber diskutieren, ob das nach 30 Jahren oder über 30 Jahren noch angemessen ist, diese Konsequenz zu ergreifen. Gab es vielleicht mildere Mittel? Wissenschaftliche Rüge, Herabsetzung der Bewertung – solche Geschichten. Ich bin auch sicher, dass dies alles in dem Fakultätsrat besprochen wurde und auch in dem Protokoll auftauchen wird."
    Schavan zeigt demonstrative Gelassenheit
    Christian Birnbaums vorsichtige Prognose für den Verfahrensausgang spricht nicht für Annette Schavan.
    "Ich glaube nicht von der Tendenz, dass das Verwaltungsgericht von der Tendenz her hier der Universität einen Strich durch die Rechnung machen wird."
    Aber selbst mit einem solchen Urteil muss das Verfahren noch nicht zu Ende sein. Denn Annette Schavan kann eine Berufungszulassung beantragen - und dann kann es locker noch einmal ein Jahr oder länger dauern, bis es zur endgültigen Entscheidung vor dem Oberverwaltungsgericht kommt. Sie selbst zeigt derweil demonstrative Gelassenheit. Auf ihrer Internetseite hat Annette Schavan ihren Terminkalender veröffentlicht. Demnach will sie am Donnerstag an der Bundestagssitzung in Berlin teilnehmen - ganztägig. Das von ihr angestrengte Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf findet also ohne die Hauptperson statt.