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Anschlag auf Matthias Gibert
"Wir leben unter Polizeischutz"

In Matthias Giberts neuem Krimi geht es um die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes in Deutschland - und deren Folgen für die türkische Community. Nun wurde auf sein Haus in Kassel ein Brandanschlag verübt. Dieser Anschlag habe sein Leben und das seiner Frau verändert, sagte der Autor im Dlf.

Matthias Gibert im Gespräch mit Karin Fischer | 24.10.2018
    Demonstranten protestieren in der Innenstadt gegen den Besuch des türkischen Präsidenten Erdogan und für Demokratie in der Türkei.
    Für oder gegen Erdogan? In der türkischen Gemeinde in Deutschland werde nicht mehr offen über Politik diskutiert, so Autor Gibert. (dpa-Bildfunk / Michael Kappeler)
    Karin Fischer: Der Krimi-Autor Matthias Gibert hat ein Faible für Doppelkonsonanten: "Höllenqual", "Müllhalde", "Bullenhitze", "Kammerflimmern", "Schmuddelkinder", "Unkrautkiller" lauten die Titel seiner Bücher, aber auch "Zeitbombe" oder "Paketbombe", und das bringt uns zum - ebenso ungewöhnlichen wie absolut unschönen - Anlass unseres Gesprächs mit Matthias Gibert. Der wurde Ende September selbst Opfer eines Anschlags, eines Brandanschlags auf sein Haus. Der oder die Täter sind noch nicht gefasst, die Polizei vermutet aber einen Zusammenhang mit dem seinem jüngsten Buch, "Tödlicher Befehl", und vor der Sendung hat er uns erklärt, warum?
    Geheimdienste: "Die arbeiten hier"
    Matthias P. Gibert: Es gab diesen Brandanschlag und im Zuge dieses Brandanschlags wurden auf dem Hof meines Hauses ganz viele Ausdrucke mit dem Konterfei des aktuellen türkischen Staatspräsidenten und der türkischen Staatsflagge im Hintergrund gefunden. Und da sich mein Buch mit Geheimdienstaktivitäten aus der Türkei in Deutschland beschäftigt, hat man das vermutet.
    Fischer: "Personen und Handlung sind frei erfunden", so heißt es, wie in jedem Roman, auch in Ihrem Buch gleich am Anfang. Trotzdem spielt die türkische Realität die von heute und auch die aus den Nullerjahren da eine ganz zentrale Rolle.
    Gibert: Ja, ich bin auf dieses Thema gekommen. Meine Frau ist mit einer türkischen Friseuse befreundet und die hat ein bisschen erzählt, wie der Riss mittlerweile durch türkische Familien, durch Freundschaftskreise geht. Und im Zuge meiner Recherche für den Band habe ich dann herausgefunden, dass schon seit langer Zeit türkische Geheimdienstleute in Deutschland sind. Das wurde mir auch von Gewährsleuten beim Bundesnachrichtendienst bestätigt. Die arbeiten hier, und es ist ja bekannt, dass die auch tatsächlich offensichtlich einschüchtern.
    "Angst spielt eine große Rolle"
    Fischer: Sie haben für das Buch viel in der deutschen türkischen Community recherchiert. Was genau haben Sie rausgefunden über die Geheimdienstarbeit in Deutschland?
    Gibert: Zunächst mal ist mir vorher nicht so präsent gewesen, dass Angst eine große Rolle spielt. Ein türkischer Friseur hat mir zum Beispiel erzählt: Wir haben hier früher immer zusammengesessen und haben beim Haareschneiden mit zehn oder 15 Leuten über Politik gesprochen ganz offen und laut und wie man sich das so vorstellt. Er sagte, das machen wir absolut nicht mehr. Das hat aufgehört, und er hat mir natürlich auch gesagt, dass er das schade findet.
    Wenn man das in den Kontext zum Beispiel dieser neuen App stellt, mit der jeder Mensch in der Türkei direkt bei der obersten Polizeibehörde jeden ihm bekannten Menschen denunzieren kann, dann kriegt das schon eine ganz besondere Bedeutung.
    Fischer: Das ist eine App, über die "Report Mainz" ungefähr vor einem Monat auch berichtet hat.
    Gibert: Genau diese App meine ich, ja. Und als ich das zum ersten Mal gehört habe ich bin Krimiautor -, da sind mir natürlich ganz, ganz wilde Sachen durch den Kopf geschossen. Zum Beispiel wenn ich einen Döner-Imbiss hätte und mein Döner-Imbiss-Nachbar verkauft mehr Döner als ich, dann wüsste ich doch genau, was ich in Zukunft mache.
    "Lesungen unter Polizeischutz"
    Fischer: Herr Gibert, Sie haben sich erst ein paar Wochen nach dem Anschlag dazu entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie sieht Ihr Leben heute aus?
    Gibert: Vielleicht mal zunächst der Hinweis: Ich wollte das eigentlich tatsächlich für mich behalten. Aber das hätte zur Folge gehabt, dass ich überhaupt keine Lesungen, die mir wirklich eine ganz große Freude sind, hätte mehr veranstalten können. Denn wenn ein weiteres Ereignis während einer Lesung stattgefunden hätte und ich hätte meine Zuhörerschaft nicht darüber informiert, diese Verantwortung hätte ich nicht übernehmen können.
    Unser Leben, das Leben meiner Frau und mein Leben, das hat sich schon dahingehend verändert: Am Anfang haben wir uns immer an- und abgemeldet, wo wir sind. Wir haben uns etwas mehr zurückgezogen. Am ehesten werden wir mit Veränderung konfrontiert, wenn wir zu Bett gehen und aufwachen, denn unsere Schlafzimmerfenster sind tatsächlich durchwurfsicher verbarrikadiert. Den Mond, den wir gerne anschauen und so lieben, den können wir im Moment nicht sehen.
    Fischer: Das heißt, Sie leben unter Polizeischutz?
    Gibert: Wir leben unter Polizeischutz - nicht hundertprozentig. Da sagt die Polizei ganz klar, das kann sie nicht leisten personell. Aber wir fühlen uns tatsächlich sehr gut von der Polizei beschützt. Lesungen definitiv immer unter Polizeischutz, ja.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.