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Anschlag in Nizza
"Terrorismus und Einwanderung nicht vermischen"

Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit warnt nach dem Anschlag von Nizza davor, die Frage des Terrorismus mit der Frage der Einwanderung zu vermischen. Natürlich könne es unter Flüchtlingen auch furchtbare Menschen geben, sagte er im Deutschlandfunk. Doch gebe es diese auch bei Einheimischen.

Daniel Cohn-Bendit im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.07.2016
    Der Grünen-Politiker und Publizist Daniel Cohn-Bendit in Paris
    Daniel Cohn-Bendit warnt davor, Terror und Einwanderung zu vermischen. (imago / PanoramiC)
    Für ein Ende des Terrors sei es notwendig, die IS-Miliz militärisch zu besiegen. Daran müssten sich jetzt alle beteiligen, auch Deutschland, forderte Cohn-Bendit. Solange der Islamische Staat im Irak und in Syrien nicht geschlagen sei, habe er weiterhin Strahlkraft. Die Propaganda gehe weiter und damit auch die Anziehungskraft des Terrors. Den IS habe es im Übrigen schon gegeben, bevor die Flüchtlinge nach Europa gekommen seien.
    Cohn-Bendit rechnet nicht damit, dass die Franzosen ihren Alltag nach dem neuerlichen Anschlag ändern werden. Der in Deutschland und Frankreich gleichermaßen heimische Politiker sagte im Deutschlandfunk, die Franzosen würden mit der Angst länger leben müssen. Doch nach zwei oder drei Tagen würden sie ihre Beklemmungen verdrängen und ihr bisheriges Leben fortsetzen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Daniel Cohn-Bendit, Politiker der französischen und der deutschen Grünen. Guten Morgen.
    Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen.
    Heinemann: Herr Cohn-Bendit, was bedeutet dieser neue schwere Anschlag am Nationalfeiertag für Frankreich und für alle Menschen, die die Werte der französischen Republik teilen?
    Cohn-Bendit: Es bedeutet erst mal, dass die Franzosen nach der Europameisterschaft geglaubt haben, na ja, vielleicht geht es jetzt ein bisschen ruhiger zu, dass dies ein herber Schlag war, ein furchtbarer Schlag, weil es wieder klar ist, dass eigentlich, na ja, Personen, Individuen furchtbaren Schaden anrichten können. Und das ist beklemmend, das macht Angst, und mit dieser Beklemmung, mit dieser Angst werden die Franzosen vielleicht noch länger leben müssen.
    "Es wird sich nicht viel ändern"
    Heinemann: Steckt im Datum 14. Juli eine Botschaft?
    Cohn-Bendit: Ach wissen Sie, alles ist möglich. Ja natürlich, man wusste, dass viele Menschen auf der Promenade des Anglais unterwegs sind. In allen Ereignissen, die jetzt viele Menschen versammeln, bleibt die Angst oder die Möglichkeit, dass ein Einzelner so einen Anschlag macht. Das ist die Botschaft. Ob es der 14. Juli ist? Ja klar, der wusste, an der Promenade des Anglais, jedes Jahr ist das der Fall, gibt es ein Feuerwerk, und wenn ich mir so was überlege mit einem Auto oder einem Lastwagen, wenn man die Promenade des Anglais kennt, dann weiß man, das ist der ideale Platz, um so einen Anschlag zu machen, wenn man so einen Anschlag machen will.
    Heinemann: Herr Cohn-Bendit, nach dem 18. November, den Anschlägen von Paris, vom Bataclan, haben viele Menschen in der Hauptstadt ja bewundernswert gesagt, wir lassen uns unser freies Leben von Terroristen nicht zerstören. Sie sind auch weiterhin in die Cafés gegangen. Wie werden die Franzosen mit diesem neuen Anschlag umgehen? Womit rechnen Sie?
    Cohn-Bendit: Genau das gleiche. Es wird zwei, drei Tage Beklemmung sein und langsam wird sich das lösen. Man kann nur so weiterleben. Man verdrängt die Beklemmung. Das war ja die ganze Debatte vor der Europameisterschaft: Werden wir ins Stadion gehen? Soll man die Fanmeilen machen und so weiter? Und am Ende hat man die Fanmeilen gemacht und es war eine Europameisterschaft, die einer Europameisterschaft würdig war, und so wird es weitergehen. Ich weiß, dass Sie jeden Tag berichten müssen, aber es wird sich nicht viel ändern. Es kann sich auch nicht viel ändern, außer dass man immer diese Angst haben wird. Und ich meine, man muss es einfach sagen: Solange der Islamische Staat in Syrien und im Irak nicht geschlagen wird, das heißt Rakka eingenommen wird, wird die Propagandamaschine des Islamischen Staates und die Anziehungskraft dieses Terrors weitergehen. Das muss man einfach jetzt kapieren. Das kann man nicht nur in Frankreich mehr lösen. Klar sind die ganzen Probleme, Banlieues und Integration, das stimmt. Aber jetzt kommt was hinzu: Man wird rauskriegen, das ist ein Franco-Tunesier. Er wird wahrscheinlich beide Pässe haben. Und der ist bekannt als Kleinkrimineller. Das ist die gleiche Laufbahn wie die in Belgien, in Molenbeek, wie die, die Charlie Hebdo gemacht haben. Man weiß das jetzt. Und diese Menschen, mehr oder weniger jung, 30 Jahre, die werden fasziniert oder ihr Leben kriegt irgendwie eine Gestalt, oder ich weiß nicht, wie man das sagen soll, in Anziehung mit diesem Islamischen Staat.
    "99 Prozent der Flüchtlinge sind keine Terroristen"
    Heinemann: Sie kriegen einen Sinn. - Der französische Präsident hat noch in der Nacht gesagt, dass das französische militärische Engagement in Syrien, auch im Irak fortgesetzt wird. Sie befürworten, dass er jetzt in dieser Frage Kurs hält?
    Cohn-Bendit: Ja, nicht nur die Franzosen! Da müssen alle mitmachen. Da müssen die Deutschen mitmachen, da müssen alle mitmachen. Es ist einfach ein unfassbarer Terrorismus. Ich nenne das islamischen Faschismus. Das ist nicht der Islam, das ist eine Ausformung genauso wie der Nationalsozialismus eine Ausformung oder ein Ergebnis ist oder kommt aus einer bestimmten europäischen Tradition. Das ist jetzt aus dieser Tradition ein Faschismus und den muss man zerschlagen, und da sind alle gefragt. Die Anschläge, oder was man in Amerika gesehen hat, in Orlando, was man in anderen Staaten gesehen hat, und das wird weitergehen, solange dieser Islamische Staat eine Strahlkraft hat. Das muss man verstehen! Da müssen die Vereinigten Nationen, da muss eine UN-Resolution her und dann müssen alle sich beteiligen. Das ist leider so.
    Heinemann: Herr Cohn-Bendit, nicht alle differenzieren das so. Was antworten Sie jenen, die sagen, seht her, das hat man davon, wenn zu viele Menschen aus islamisch geprägten Ländern einwandern?
    Cohn-Bendit: Der junge Mann ist doch gar nicht eingewandert. Der ist wahrscheinlich in Frankreich geboren. Das ist die Migration. Was soll ich Ihnen sagen? Die Anschläge, die es in Amerika gegeben hat, sind auch nicht Einwanderer gewesen. Dass es unter Einwanderern sogar solche Terroristen geben kann, ja. Es kann unter Deutschen Terroristen geben, die Türken umbringen. Ja, das sind Deutsche und nicht Einwanderer. Das kann alles sein! Die Einwanderer sind per se nicht bessere Menschen, sondern das sind Flüchtlinge, und unter den Flüchtlingen kann es furchtbare Menschen geben. Ja, das kann sein. Aber 99 Prozent der Flüchtlinge sind keine Terroristen. Das muss man doch einfach sehen.
    Aber ja, es kann ein, zwei Prozent der Flüchtlinge Terroristen sein. Ja, könnte sein. Aber das sind zwei Dinge, die man nicht in Verbindung bringen darf. Es gab den Islamischen Staat, bevor es die Einwanderer bei uns gab.
    "Es ist eine Verantwortung auch derjenigen, die den Krieg im Irak wollten"
    Heinemann: Rechnen Sie dennoch damit, auch gerade nach dem Brexit-Referendum, das ja auch stark von Einwanderungsthemen oder Zuwanderungsthemen geprägt war, dass sich die Islam- und auch die Zuwanderungsdebatte bei uns in Deutschland, aber auch EU-weit radikalisieren wird?
    Cohn-Bendit: Hey, hey, hey! Ich muss Sie unterbrechen!
    Heinemann: Bitte!
    Cohn-Bendit: Die Brexit-Debatte - wissen Sie, um wen es ging? - Um katholische Polen!
    Heinemann: Nicht nur! Es ging bei Nigel Farage auch das große Bild, das er aufgestellt hat, um Bilder von der Westbalkan-Route, um Bilder von der Westbalkan-Route, mit denen er auch auf Stimmenfang gegangen ist. Da ging es schon auch um Zuwanderer.
    Cohn-Bendit: Ja, aber da haben die gesagt, Millionen Türken würden kommen. Kein einziger Türke ist in England angekommen.
    Heinemann: Herr Cohn-Bendit, es geht nicht darum, was passiert, sondern womit gearbeitet wird. Das haben Sie gerade eben selber auch gesagt.
    Cohn-Bendit: Es wird ja auch mit den Polen gearbeitet. Es wird ja auch mit den Polen gearbeitet. Deswegen sage ich, ja, es gibt Leute, die damit arbeiten, und da müssen wir ganz klar dagegen setzen: Das ist eine Lüge! Aber es gibt diesen Terrorismus, und die, die glauben, sie würden den Terrorismus jetzt beenden, indem sie die ganzen Flüchtlinge im Meer ersaufen lassen, weil das muss man sagen, das schafft auch dann irgendwie Rachegefühle. Über 10.000 Menschen sind, lassen wir die Balkan-Route mal weg, über 10.000 Menschen sind im Mittelmeer ersoffen. Ersoffen! Und was sagen wir denen? - Das heißt, es gibt ein Flüchtlingsproblem. Es gibt ein Flüchtlingsproblem warum? - Weil man das zugelassen hat, dass es in Syrien so geht. Es ist eine Verantwortung auch derjenigen, die den Krieg im Irak wollten. Das stimmt! Das stimmt auch! Und da müssen auch diejenigen sich mal überlegen, was es bedeutet, so eine Gesellschaft zu versuchen zu verändern, wie der Irak-Krieg es versucht hat. Das alles ist wahr! Aber was bleibt jetzt ist: Wenn dieser Islamische Staat weiterhin einfach von Syrien aus ausstrahlen kann, dann wird das alles versucht. Und wenn keine Flüchtlinge mehr reinkommen, wird etwas anderes versucht, weil das zu der Strategie gehört.
    Heinemann: Daniel Cohn-Bendit, Politiker der französischen und der deutschen Grünen. Herr Cohn-Bendit, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Cohn-Bendit: Bitte sehr! - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.