Im Vorhof schweben in riesigen Glasvitrinen rostende U-Boote, einige liegen umgekippt auf dem Meeresboden. Oben auf der zu den Ausstellungsräumen führenden Freitreppe empfängt den Besucher ein gewaltiger Bücherstapel mit Flügeln des deutschen Adlers.
Willkommen in der Welt des Anselm Kiefer. Eine sehr deutsche Welt - Herrmannsschlacht und Albert Speer, Tannenwälder und Sonnenblumen, Hitlergruß und die Jüdin Shulamith. Umso erstaunlicher, wie positiv die englische Kritik auf diese teutonische Welt reagiert, wie sie sich in ihr zuhause zu fühlen scheint. "Eine aufregende Fahrt auf einer Achterbahn von Schönheit, Horror und Geschichte" schwärmt Jonathan Jones im Guardian von der Schau, für Alastair Sooke vom Telegraph produziert der Künstler "zeitgenössische Historiengemälde..., opernhafte Bilder von elegischer Kraft". Und in der Times bereitet Rachel Campbell-Johnson ihre Leser darauf vor, von Kiefers Kunst "im Sturm erobert zu werden".
Kein Unbekannter in der Royal Academy
Anselm Kiefer ist in der Royal Academy kein Unbekannter: Seit Jahren hängt in der Sommerausstellung, in der die Mitglieder der Künstlerakademie ihre Kunst vorstellen, jedes Mal auch eines seiner verkrusteten Gemälde. Seine monumentale Kunst fühlt sich wohl an den Wänden der klassizistischen Räume. Deren Ausmaße und die Intelligenz der Hängung, an der der Künstler maßgeblich beteiligt war, verhindern es, dass Kiefers Kunst, wie es ihr laut Alastair Sooke manchmal passiert, "in Bombast und Großsprecherei abrutscht".
Die Retrospektive beginnt ganz anders: mit den frühen Zeichnungen, Aquarellen und Büchern aus den Sechziger- und Siebzigerjahren. Kleinformatig, delikat, doch schon hier Kiefers Themen: der deutsche Wald, das zerstörende, aber auch reinigende Feuer, Richard Wagner.
Dann betritt man vertrautes Gelände - Kiefers immer größer werdende Leinwände, mit Sand, Asche oder Stroh besetzt, auf denen er Geschichte aufarbeitet. Gipfelnd im größten Raum, wo zwei Schlüsselwerke hängen: "Aschenblume" von 1983, mehr als vier mal sieben Meter groß, mit einer vertrockneten Sonnenblume, und "Der unbekannte Maler" aus demselben Jahr, eine Künstlerpalette inmitten eines gigantomanischen Raumes von Albert Speer. Und auch die emotionale Heraufbeschwörung der beiden Frauen aus Paul Celans Gedicht "Die Todesfuge" hängt hier - die blonde Arierin Margarethe und die dunkle Jüdin Shulamith, wo im Hintergrund ein brennender Scheiterhaufen zu sehen ist.
"Die volle und schreckliche Last der Geschichte"
Die letzten drei Räume überraschen: Ein lockererer Künstler, fragt man sich? Im vergangenen Jahr entstandene großformatige Aquarelle zunächst, auf Gipsplatten; zartfarbige erotische Szenen, gemischt mit Darstellungen von französischen Kathedralen, die Verbindung von Erotik und religiöser Ekstase. Dann die ebenfalls 2013 gemalten sogenannten "Morgenthau-Gemälde", angeregt von van Goghs grellgelben "Getreidefeldern". Monumentale Landschaften, deren Farbigkeit einen angenehmen Kontrast zum sonst vorherrschenden Grau bildet. Doch dann wieder der alte Kiefer: Der zum Ausgang führende letzte Raum mit der Installation "Der Rhein", an der er von 1982 bis 2013 arbeitete, wie ein Leporello aufgeschlagene und in den Raum gestellte Holzschnitte, durch die der deutsche Grenzfluss fließt, und auf denen erneut einige seiner Versatzstücke auftauchen: Zerbombte Bunker, züngelnde Flammen, ein Polyeder - "Kiefer macht Kunst mit Freude, mit Freiheit", schreibt Jonathan Jones, "doch sie muss die volle und schreckliche Last der Geschichte enthalten".

