Sonntag, 12. Mai 2024

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Antisemitismus in der Rockmusik
"Made by JewSA"

Weltverschwörung, Geldverschwörung, Ursache allen Übels: So werden Juden von Rechtsrock-Bands dargestellt. Manche CDs sind verboten, aber die Musik ist im Netz verfügbar. Auch auf legalen Veröffentlichungen finden sich antisemitische Versatzstücke und Motive.

Von Henry Bernhard | 17.09.2018
    15.07.2017 - Rock gegen Überfremdung - Neonazis um Tommy Frenck veranstalten im thüringischen Themar ein Rechtsrockkonzert mit über 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Besucher trugen offen neonazistische Symbolik. Angekündigt waren Bands wie öDie Lunikoff Verschwörung˜, öSleipnir˜ und öStahlgewitter˜. Copyright: xMichaelxTrammerx 15 07 2017 Rock against Alienation Neo-Nazis to Tommy Frenck organize in Thuringia Themar a with above 5000 Teilnehmerinnen and Participants Visitors contributed open neo-Nazi Symbolism announced Were Bands like Lunikoff and Copyright xMichaelxTrammerx
    Ist Rechtsrock gefährlich? Die Ideologie bleibe auch noch nach der Musik, warnen die Experten Martin Langebach und Jan Raabe (imago stock&people)
    Das CD-Cover sieht auf den ersten, flüchtigen Blick harmlos aus. Ein historischer Holzschnitt. Ein paar Männerköpfe stehen eng beieinander. Ein Mann trägt Holzscheite herbei. Beim genaueren Hinsehen wird klar: Die Männer stecken in einem Scheiterhaufen. Flammen züngeln. Aber nicht nur das. Martin Langebach zeigt das ganze Bild, die Vorlage:
    "Sie sehen hier den Judenhut und – sie sehen es jetzt: Es ist ein Holzschnitt aus der Weltchronik von Hartmann Schedel von 1493 und zeigt die Hinrichtung von Juden, also die Verbrennung von Juden in einer Feuergrube. Man käme erst nicht drauf. Und sie haben im Mittelalter Zeiten gehabt, wo Juden einen Hut tragen mussten, einen speziellen Hut, woran man dann im öffentlichen Raum auch Juden erkennen konnte. Und erst wenn man das weiß, kann man das CD-Cover von 'Totenburg' interpretieren, denn die CD heißt 'Pestpogrom'. Das als CD-Titel, das hat eine ganz klare antisemitische Konnotation. Aber nicht so offenkundig, dass es strafrechtlich relevant ist."
    Antisemitismus in Bildern, Zeichen und Metaphern
    Martin Langebach ist Spezialist für rechte Rockmusik in allen Facetten. Gemeinsam mit Jan Raabe hält er einen Vortrag über Antisemitismus im Rechtsrock. Über dessen Wurzeln im christlichen Antijudaismus. Über den rassistischen Antisemitismus seit dem 18. Jahrhundert. Über die Erinnerungsabwehr der Rechten nach 1945. Antisemitismus im Rechtsrock zeigt sich in Bildern, Zeichen und Metaphern und in ganz platten, konkreten Vernichtungsphantasien. Auf CD-Hüllen sind KZ-Verbrennungsöfen zu sehen, Gaskammern, das Torgebäude, die Bahngleise von Auschwitz. Oder auch der "Giftpilz" auf dem Cover von "Lieder zum Mitsingen" der Band "Weißer arischer Widerstand" – die leicht abgewandelte Kopie einer antisemitischen Figur eines Kinderbuches aus dem Stürmer-Verlag von 1938.
    Martin Langebach: "Wir haben mal im Rahmen einer anderen Arbeit in die Zeitschrift 'Der Stürmer' reingeguckt; und was uns erstaunt hat, dass wir ganz viele antisemitische Karikaturen im "Stürmer" gefunden haben, die wir aus den vergangenen Jahren von CD-Covern kannten. Der "Stürmer" ist also eine der Quellen, wo sie sich mit antisemitischen Karikaturen ausstatten, um heutige Begleithefte oder auch Publikationen zu layouten."
    Aber es gibt auf rechtsradikalen CD- und Plattencovern nicht nur Kopien von historischen antisemitischen Darstellungen, NS-Karikaturen, NS-Propaganda, sondern auch Referenzen und Überformungen: Der alte Antisemitismus wird neu gedeutet: "Der Jude" als Weltherrscher, als Strippenzieher, als geheime Macht im Hintergrund oder personifiziert im amerikanischen Kapitalisten. Diese moderne Form des Antisemitismus würde zudem auch viel mehr Deutsche ansprechen als der "klassische", erklärt Jan Raabe.
    "Hier die Band 'Saccara' aus Meppen, die mit diesem als US-amerikanisch gelabeltem Ungeheuer, das quasi die Welt umgreift in so einer Mischung aus Spinne, Krebs, das Ganze hergeleitet auf der Motivebene eines sehr wichtigen Ideologiewerks des Antisemitismus von Johann von Leers, 'Wie kam der Jude zum Geld?', was mit einem ähnlichen Covermotiv – der Jude mit den raffenden Händen – quasi aneinander angelehnt ist und was sich immer wiederfindet."
    Die Hostienmörderfantasie lebt weiter
    Genauso sieht es in der Musik aus: Im Rechtsrock gibt es sozusagen "klassisch" den Juden als Weltverderber, als Wurzel allen Unglücks, als Wurzel- und Skrupellosen, wie Raabe aus einem Titel der Band "Erschießungskommando" zitiert:
    "An allem sind die Juden schuld" - am Ersten Weltkrieg, am Zweiten Weltkrieg, an den Kriegen in Afghanistan, Syrien, Ukraine, Korea.
    "Alles Kriege 'made by JewSA'". Für die extreme Rechte sind die USA ein im Hintergrund jüdisch beherrschtes Land, deswegen wird das J davor gesetzt, was quasi zeigt, dass die Vereinigten Staaten eigentlich nur ein Marionettenstaat, ein Handlanger entweder Israels oder des "internationalen Weltjudentums" seien."
    Aber es geht noch weiter bei "Erschießungskommando": "Klimawandel, Drogenhandel, Ebola, Pazifismus, Neukölln, Zinseszins, Hollywood, Pädophilie, Fastfood" – auch dafür seien Juden verantwortlich. Ein Bilderbogen des Bösen oder vermeintlich Bösen – nicht weit entfernt von den christlichen "Hostienvergifter- und Kindsmörder"-Phantasien des Mittelalters. Indizierte CDs und Platten werden illegal vertrieben, die Musik ist aber im Netz verfügbar. Legal aber kann Musik mit Texten erscheinen, die mit antisemitischen Metaphern spielen, aber nicht eindeutig greifbar sind. So zum Beispiel die Skinhead-Band "Faustrecht" mit "Die Macht des Kapitals".
    Martin Langebach:
    "Sie besitzen unsere Wirtschaft und kaufen unsere Seelen,
    sind schon längst imstande, unser Land zu stehlen.
    Sie haben die Macht und Gelder, die Richtung zu diktieren.
    Es sind nicht mehr Politiker, die unsere Länder führen."
    Jan Raabe:
    "Da wird ja niemand benannt, der die Macht des Kapitals darstellt, sondern, diese Macht kann man sich nur erschließen, indem man bestimmt Eigenschaften sich anguckt: Also, diese Macht, die "verschlagen" ist, die "raffiniert" ist, die "die Völker knechtet", die "habgierig" ist, die "Hass schürt", die "betrügerisch" ist, "verschlagen" ist, und natürlich deren Profit "das Blut" ist."
    Motive des klassischen Antijudaismus
    Der am Pessachfest nach "Christenblut" gierende Jude ist ein Motiv des klassischen Antijudaismus seit dem 12. Jahrhundert; der geldgierige "Uncle Sam" wird im Beiheft zur CD mit der antisemitischen Stereotype einer langen, krummen Nase gezeigt. Rechtsrock spielt mit vielen Motiven, manche sind für den Einsteiger schwer zu entschlüsseln. Insider dagegen wissen etwas mit dem Kürzel "ZOG" anzufangen.
    Martin Langebach:
    "ZOG steht für: "Zionist Occupied Gouvernement", "Zionistisch besetzte Regierung", und hebt eben darauf ab, dass keine Regierung dieser Welt frei ist, sondern im Hintergrund immer Juden stehen und die Regierungen wie Marionetten an den Fingern führen."
    Antisemitische Versatzstücke und Motive finden sich auf vielen legalen Rechtsrock-Veröffentlichungen, aber auf fast allen illegalen. Bei letzteren habe der Holocaust einen hohen Stellenwert – in der Verleugnung oder in der Verherrlichung.
    Jan Raabe:
    "Dieser Szene ist einerseits klar, dass der Holocaust als historischer Fakt für die extreme Rechte die Rehabilitierung des Nationalsozialismus unmöglich macht; über diese Barbarei läuft kein Weg in eine neue Politik, das ist quasi ein Sperrgürtel. Auf der anderen Seite fasziniert es sie und sind sie so antisemitisch eingestellt, dass sie sich positiv und verherrlichend auf den Holocaust beziehen."
    Verbindungen zur AfD
    Ist Rechtsrock gefährlich? Er ist Teil einer Jugendkultur, meinen Langebach und Raabe. Da könne es nicht Provokation genug geben gegen die Eltern, die Gesellschaft. Die Ideologie aber bleibe auch noch nach der Musik. Der Organisator des erfolgreichen Neonazi-Musikfestivals in Themar in Südthüringen, der bekennende Neonazi Tommy Frenck, beispielsweise hat bei der letzten Wahl zum Landrat jede sechste Stimme geholt. Jirka Buder, ein Grafiker, der mehrere später indizierte CDs eines rechtsextremen Liedermachers gestaltet hat, ist nun für den Internetauftritt von Björn Höckes AfD-Fraktion im Thüringer Landtag verantwortlich. Den Topos der zionistischen Weltverschwörung findet man auch bei den Neuen Rechten wieder.