Vivaldis Oper "Farnace", die während des Karnevals, im Februar 1726 im Teatro Sant'Angelo nach einem Libretto von Antonio Maria Lucchini in Venedig uraufgeführt wurde, gehört zu den am sorgfältigsten ausgearbeiteten seiner insgesamt 27 Opern.
Auch hier hat der Komponist wieder große Sorgfalt auf die Ausgestaltung des Orchesterparts gelegt, den Rezitativen mehr Bedeutung und dramaturgischen Wert beigemessen, als es bei seinen Zeitgenossen ansonsten üblich war und den Sängern in ihren Arien in Bezug auf Affekte und Verzierungen weitgehende Freiheit gelassen.
Das Libretto ist, so urteilten schon die Zeitgenossen "ganz passabel, abgesehen von den Schwächen einer ganz und gar unglaubwürdigen Episode", und dem kann man sich auch aus heutiger Sicht anschließen. Protagonist ist Farnace, der König von Pontus und Sohn und Nachfolger von Mithridates , dem großen Feind des Römischen Reiches. Farnace, der aus der Hauptstadt Heraclea vertrieben wurde, sinnt nun auf Rache und da er sich nicht sicher ist, ob seinen Gegenschlag auch Erfolg hat, befiehlt er seiner Gemahlin Tamiri, erst ihren Sohn und dann sich selbst das Leben zu nehmen, damit sie den römischen Feinden nicht in die Hände fallen können. Tamiri, die nicht zur Mörderin ihres Sohnes werden möchte, hat auch ihre Mutter Berenice, die Königin von Kappodokien gegen sich, die sich aus Hass auf Farnace mit dem Befehlshaber des siegreichen römischen Heeres Pompeius verbündet hat und Tamiris Mann töten lassen möchte.
Als Unterstützung hat Tamiri nur Selinda, die Schwester Farnaces, der es gelingt, sowohl den römischen Präfekten als auch den Hauptmann der Garde Berenices zu verführen und die beiden gegeneinander auszuspielen. Nach einer Reihe von dramatischen Entwicklungen, die sich über die drei Akte hinziehen, und in denen sich alle Beteiligten unnachgiebig zeigen, gibt es zum Schluss dann doch noch ein "lieto fine". Tamiri und ihr Sohn sind am Leben geblieben, der gefangengenommene Farnace kann befreit werden, Berenice wird begnadigt und kann schließlich dazu gebracht werden, sich mit Farnace auszusöhnen.
Jordi Savall, seinen Sängern und Instrumentalisten ist es bei dieser Aufnahme, die einen Zusammenschnitt der letzten beiden szenischen Aufführungen, die im Oktober 2001 im Teatro de la Zarzuela in Madrid stattfanden, gelungen, wirklich ein Stück großes Illusionstheater auf höchstem Niveau zu schaffen. Den Sängern, denen auch Raum für Improvisationen gegeben wurde, ist es gelungen, große Spannungsbögen zu halten und jede Partie mit unvergleichlichem Engagement und Spontaneität auszugestalten. Dabei geraten auch die Rezitative nie langweilig, sondern bereiten, wie vom Komponisten gewollt, die folgenden Arien dramatisch vor. Bei den Instrumentalisten ist viel Spielfreude herauszuhören, beeindruckend vor allem auch die Bläser, aber die Tempi sind nie übersteigert oder virtuos nur fetzig. Bei den Sängern, die bis auf Adriana Fernandez als Berenice allesamt Italiener sind, wurde viel Wert auf perfekte Textdeklamation gelegt. Manche der Stimmen, wie zum Beispiel die des Protagonisten Farnace, gesungen von Furio Zanasi, sind nicht unbedingt im eigentlichen Sinne "schön" beeindrucken aber durch große Wandlungsfähigkeit und Ausdrucksstärke in der Darbietung der unterschiedlichsten Gefühlsregungen. Herausragend hierbei vor allem Sara Mingardo mit ihrer dunklen, sehr sinnlichen, hochdramatischen Stimme als Tamiri.
Das Projekt "Farnace", entstand in Coproduktion mit Jordi Savalls eigener Plattenfirma Alia Vox und dem Teatro de la Zarzuela in Madrid sowie der staatlichen Gesellschaft "Espana Nuevo Milenio" und ist jetzt auf drei CDs dokumentiert, begleitet von einem aufwendigen fünfsprachigen Beiheft, in dessen Inhalt sich allerdings ein paar Fehler eingeschlichen haben. Dem nationalen Selbstverständnis Savalls entspricht es, dass das Libretto sowohl auf Kastilisch als auch auf Katalanisch übersetzt wurde.
Es ist eine Einspielung, die absolut preisverdächtig und jedem Liebhaber barocker Musik unbedingt ans Herz zu legen ist.
Um die atmosphärische Dichte dieser Aufnahme am besten nachzuvollziehen, seien hier nicht einzelne kleine Ausschnitte aus dieser fast dreistündigen Fassung vorgestellt, sondern ein Zusammenhang von drei Szenen aus dem 1. Akt von Vivaldis Oper "Farnace". Farnace schwört Rache und verlangt von seiner Gattin das quasi Unmögliche, sich und ihren Sohn zu töten, "um seines Ruhmes willen". Tamiris Seele ist zerrissen zwischen "Ruhm und Mitleid, Liebe und Treue, von Gemahl und Sohn." * Musikbeispiel: Antonio Vivaldi - 1. Akt, Szene 1-3 (Anfang) aus: "Farnace” In unserer heutigen Sendung DIE NEUE PLATTE stellten wir Ihnen das musikalische Drama "Farnace" von Antonio Vivaldi mit "Le Concert des Nations" und dem "Coro del Teatro de la Zarzuela" unter der Gesamtleitung von Jordi Savall vor, erschienen bei Alia Vox. Sie hörten einen Ausschnitt aus dem Beginn des 1. Aktes mit dem Bariton Furio Zanasi als Farnace und der Altistin Sara Minguardo als Tamiri.