Dienstag, 30. April 2024


Antwerpen: Der Preis der Illegalität

Eine Bar wie viele andere im Antwerpener Hafenviertel: Kein Rotlicht, keine Leuchtreklame, keine Werbeschilder. Die Fenster sind abgedunkelt - die gläserne Eingangstür mit schwarzem Papier zugeklebt. Drinnen zuckt grelles Diskolicht im Takt der Technomusik und wirft bizarre Muster an die Wände. Der Lärm aus den Boxen übertönt die Gespräche. In dieser Bar treffen sich Freier mit Prostituierten - mit illegalen Prostituierten aus Nigeria.

Von Ruth Reichstein | 04.05.2006
    Am Tresen lehnt Lena, wie sie sich nennt. Sie spielt mit einem Strohhalm in einem Cocktailglas und flirtet mit einem Freier. Beide sprechen englisch. Nach ein paar Minuten verschwinden sie nach draußen. Lena wird später alleine zurück kommen.

    Patience kennt dieses Geschäft nur allzu gut - Patience war eine jener illegalen Prostituierten aus Nigeria und anderen Staaten Afrikas, die in Belgien anschaffen gehen. Patience ist 25 Jahre alt - und hat den Ausstieg geschafft. Sie lebt und arbeitet heute nicht mehr in der Illegalität. Sie ist mit ihrem belgischen Freund zusammengezogen. Die gemeinsame Wohnung liegt mitten im Antwerpener Rotlichtviertel. Patience wartet auf ihre Aufenthaltsgenehmigung. Eigentlich braucht sie keine Angst mehr zu haben. Aber sie ist vorsichtig geblieben.

    " Ich bin mit jemandem hierher gekommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich bin mit dem Schiff gekommen - aus Ghana. Wir waren alle an Deck. Das war eine lange Reise. Ich denke, das hat zehn Tage gedauert. "

    Patience kam vor zwei Jahren nach Antwerpen. Ihre Familie hatte die Reise bezahlt. Patience sollte sich irgendwie nach Europa durchschlagen, dort Geld verdienen und es ihrer Familie nach Hause schicken. Ihre Eltern und die drei Brüder haben selten genug zu essen. Und Patience wollte weg.

    " Es gibt in meinem Land zu viel Leid und Hunger. Wir haben kein Geld, um Essen zu kaufen. Es gibt zwar Lebensmittel, aber sie sind für uns zu teuer. Solche Probleme hatte ich dort. Können Sie sich das vorstellen: Kein Geld, um in die Schule zu gehen? All das. "

    Patience spricht langsam und sucht nach Worten - und das liegt nicht nur an ihrem gebrochenen Englisch. Patience will nicht zuviel erzählen - sie will ihre Schlepper nicht verraten, die sie nach Belgien brachten. Und sie will ihren Weg nach Europa nicht allzu genau beschreiben, um ihn anderen nicht zu verbauen. Eigentlich will sie gar nichts mehr von dieser Reise erzählen.

    Ihr Freund Frank versteht das. Er ist Sozialarbeiter, ein street worker, der sich in einem Verein um die vielen illegalen Prostituierten in Antwerpen kümmert. Anders als die Mädchen aus Osteuropa würden die Afrikanerinnen nicht von international operierenden Menschenhändlern hierher gebracht, sagt Frank - die meisten Mädchen kämen freiwillig.

    " Der Grund ist immer der gleiche: Die Mädchen suchen nach Geld und einem besseren Leben. Sie werden hierher geschmuggelt auf die ein oder andere Art und Weise. Dann müssen sie das Geld für die Reise zurück bezahlen. Das sind so 10 000 Euro. Sie arbeiten überall: Zuhause, im Hotel, in Autos, in Lastwagen, und wenn es sein muss auch unter freiem Himmel. "

    Die Wege in die Prostitution sind immer dieselben. Und Antwerpen ist dafür ein ganz besonderes Pflaster - das Prostituiertenmilieu dieser Stadt bietet sich illegal eingewanderte Frauen und Mädchen geradezu an. Antwerpen ist einer der größten Häfen Europas und schon allein deshalb besonders attraktiv für illegale Zuwanderer. Hier blüht das Gewerbe - und die laxen belgischen Gesetze tun das ihre dazu.

    Als Patience in Antwerpen ankam, wusste sie nicht einmal, in welchem Land sie gelandet war. Aber das Angebot, in einer Bar zu arbeiten, kam prompt - von einem schwarzen Mädchen am Hafen, das wie sie eine Illegale war.

    " Ich kam dahin, ich habe mir das erst einmal angesehen. Die Mädchen tanzten. Männer haben ihnen Drinks ausgegeben. Die Mädchen haben zu mir gesagt: Du musst auch mit ihnen tanzen. Dann kaufen sie Dir etwas zu essen. In meinem Land ist das ganz anders. Wenn Du Geld verdienen willst, dann musst Du etwas verkaufen: Orangen zum Beispiel. Ich hätte niemals gedacht, dass Dir Männer Drinks bezahlen, nur weil Du mit ihnen tanzt. Ich hatte das vorher nie gemacht. "

    Doch dann hat Patience richtig angeschafft - weil sie selbst keine Wohnung hatte, schlief sie bei ihren Freiern, in irgendwelchen Hotelbetten, mal hier, mal da. Arbeiten, schlafen, arbeiten - mehr war da nicht, sagt Patience.

    " Es ist verdammt hart. Manche Kunden behandeln Dich gut. Andere nicht. Du gehst mit ihnen ins Hotel, schläfst mit ihnen. Und dann sagen sie Dir: Ich habe kein Geld. Manche versuchen, Dich zu vergewaltigen. Manche sind richtig brutal: Einer hat mir den Mund zugehalten und mich bedroht - mit einem Messer. Man kann die Narbe noch sehen, hier an meinem Hals. Es gibt Idioten, die wollen dich töten. Da kannst Du nur noch schreien - oder machen, was sie von dir verlangen. "

    Das Geld, das sie verdiente, schickte sie ihrer Familie nach Nigeria. Und hat dabei noch Glück gehabt, dass sie offenbar keinen Zuhälter hatte, der sie ausnahm. In der Illegalität zu leben, bedeutet, abhängig, erpressbar und völlig schutzlos zu sein.

    Eigentlich ist Patience den Polizisten, die sie sieben Monate nach ihrer Ankunft bei einer Razzia festnahmen, richtig dankbar: Sie verhörten Patience und glaubten ihr, dass sie minderjährig sei - sie ordneten eine ärztliche Untersuchung an und dann durfte Patience erst einmal bleiben. Anders als die fast 14.000 anderen Illegalen, die Belgien allein im letzten Jahr abgeschoben hat. Dann lernte sie Frank kennen und der nahm sie bei sich auf. Heute sind sie ein Paar.

    Patience sitzt auf einer Matratze und hört ihre Lieblingsmusik. Das ist gut gegen das Heimweh, sagt sie. Und manchmal singt sie laut mit: Besonders bei dem Lied, das sie an ihre eigene Geschichte erinnert.

    " Ich habe mein Zuhause verlassen. Ich habe meinen Freunden in Afrika gesagt: Ich will weg. Und meine Freunde haben gesagt: Bleib. Vielleicht geht es Dir morgen schon wieder besser. Aber ich habe gesagt: Nein, ich gehe. Ok, sagten sie dann: Good luck! "