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Antwort auf den Nachwuchsmangel

Die Religion spielt in unserem Alltag eine immer geringere Rolle. Doch Menschen in sozialen Berufen, im Medienbereich oder auch für Anwälte könnten theologische Kenntnisse von Vorteil sein. In Marburg soll es deshalb den ersten berufsbegleitenden Studiengang Evangelische Theologie geben.

Von Gudula Geuther |
    "Ich glaube, über Religion gut Bescheid zu wissen und Kriterien zu haben, nach denen religiöse Fragen beurteilt und verstanden werden können, das ist etwas, was etwa im Medienbereich sicher eine wichtige Kompetenz ist und auch noch mehr vielleicht werden wird. Oder wenn Sie sich vorstellen: Menschen, die im Sozialwesen arbeiten, die an vielen Stellen mit Wertefragen ja auch konfrontiert sind. Auch die können von einem Theologiestudium profitieren. "

    Die Studiendekanin der evangelischen Theologie in Marburg, Ulrike Wagner-Rau, kann sich viele Berufsfelder vorstellen, aus denen die neuen Studierenden kommen könnten: Kunsthistoriker für die Arbeit in religiösen Sammlungen, Juristen oder Wirtschaftswissenschaftler, die bei der Kirche selbst tätig sein möchten. Oder einfach Menschen mit Lebenserfahrung und Problembewusstsein auch für den eigentlichen pfarramtlichen Dienst – auch wenn das nicht unbedingt Ziel ist. Die Fakultät betritt gleich mehrfach Neuland: Für Marburg soll es der erste berufsbegleitende Studiengang überhaupt sein, für die evangelische Theologie sogar der erste bundesweit.

    Wer nach abgeschlossenem Fachhoch- oder Hochschulstudium fünf Jahre berufstätig war und einen Eignungstest besteht, kann in Marburg in drei Jahren zum Master kommen. Möglicherweise wird stattdessen auch Familienarbeit oder ehrenamtliche Tätigkeit anerkannt. Vom sechsjährigen grundständischen Vollzeit-Studium soll sich dieses nicht nur im Abschluss – Master statt Examen – unterscheiden. Auch die Inhalte sind etwas anders angelegt, so Ulrike Wagner-Rau: Nämlich von Anfang an mit einem Schwerpunkt auf der Anwendung:

    "Insofern als wir als Lehrende miteinander interdisziplinär arbeiten werden. Also: Die Bibelwissenschaft, die historische Arbeit an den biblischen Texten, wird verbunden mit Fragen religiöser Kommunikation heute. Oder die Frage, wie ein religiöser Konflikt in der Geschichte der Kirche bearbeitet und gelöst worden ist, wird verbunden mit Fragen, wie es denn heute in Konflikten in den Religionen eine Rolle spielt, zu entscheiden – und so weiter."

    Ein wenig soll der Stoff auch ausgedünnt werden. Etwas weniger alte Sprachen, auch wenn die Fakultät auf alle drei: Latein, Griechisch und Hebräisch, nicht verzichten will. Und dass die Studierenden das wissenschaftliche Arbeiten schon einmal gelernt haben und voraussichtlich besonders motiviert sind, soll noch einmal Zeit sparen. Friederike Oertelt, die in Marburg promoviert, kann sich vorstellen, dass auch Alter und Erfahrung gerade in der Theologie helfen, die Inhalte schneller umzusetzen.

    "Dieser Orientierungsprozess, den man normalerweise in dem Alter hat, zwischen 19 und 25, der spielt da ja ganz viel mit rein. - Dass sich Fragen über Lebensabschnitte, Grenzerfahrungen, Ende des Lebens, dass diese Fragen gestellt werden und theologisch reflektiert werden, das ist im normalen Theologiestudium schon auch so, aber es steht vielleicht nicht so im Zentrum. "

    Trotzdem – Tim Wegner, der im fünften Semester auf Pfarramt studiert, glaubt, dass auch mit all diesen Startvorteilen einiges auf die Studierenden zukommt, die sich einen Großteil des Stoffes nicht nur in der halben Zeit, sondern auch noch neben dem Beruf aneignen müssen.

    "Ich glaube, da wird schon einiges auf die Leute zukommen. Ich glaube, man braucht ganz dringend nen sehr starken Willen und viel Durchhaltevermögen und wahrscheinlich auch viel Rückhalt aus der Familie und der Verwandtschaft und dem Bekanntenkreis. Hier hat man einfach viel Zeit und kann zur Not sich auch mal ne Woche Pause gönnen, was dann wahrscheinlich eher schwieriger wird, insbesondere in den intensivsten Arbeitsphasen."

    Solche intensiven Phasen soll es regelmäßig geben. Der größte Teil des Stoffes soll zwar im Eigenstudium erarbeitet werden, mit Präsenzzeiten, mal sechs, mal zwei Tage, alle sechs Wochen. Dafür sollen die neuen Studierenden keine Schwierigkeiten haben, Gleichgesinnte zu treffen: Vorgesehen ist eine feste Gruppe von bis zu 20 Männern und Frauen, die die drei Jahre gemeinsam verbringen. Erst dann, nach drei Jahren, soll der nächste Kurs beginnen, es sei denn, die Nachfrage ist viel stärker als erwartet. Nach dem hessischen Hochschulgesetz fallen Studiengebühren an, für die gesamte Zeit voraussichtlich 9-10.000 Euro; Kost und Logis für die Präsenzzeiten inbegriffen. Die Kurhessische Kirche, von der die Initiative ausging, erhofft sich von dem Studiengang einen Beitrag zur Lösung der Nachwuchssorgen. Und Anregungen. Die Studiendekanin:

    "Ich stelle mir vor, dass jemand, der bereits einige Jahre im Beruf verbracht hat, mit ganz anderen Fragen an die Theologie herangeht. Und dass diese anderen Fragen auch die Inhalte der Theologie mit verändern werden. Also wir erhoffen uns auch als Lehrende der Theologie neue Impulse durch die Studierenden..."

    Noch ist der Studiengang nicht akkreditiert. Wenn alles klappt, soll es am 1. April kommenden Jahres losgehen.