Archiv


Arabische Lebenswelten mit und ohne Schleier

Die arabischen Frauen zwischen Atlantik und Persischem Golf sehen sich selbst mit unterschiedlichen Augen. Während sich die meisten von ihnen immer noch patriarchalischen Stammestraditionen beugen müssen, leben viele im Maghreb ein modernes Gesellschaftsbild. Das führt zu Konflikten – wie jüngst bei einer Konferenz im Jemen.

Von Katayun Amirpur |
    Der amerikanische Botschafter beugte sich übers Rednerpult und redete den Frauen im Auditorium mit ernster Miene ins Gewissen: Die USA würden gerne allen Frauen in der arabischen Welt so helfen im Kampf für Demokratie und Menschenrechte wie dies im Irak geschehe.

    Da ging erst ein Raunen durch den großen Saal – später folgten den Worten Taten: Einstimmig forderten die Frauen die Vereinigten Staaten auf, sich aus dem Irak zurückzuziehen. Viel weiter reichte die Gemeinsamkeit aber nicht – im jemenitischen Menschenrechtsministerium prallten die unterschiedlichen Lebenswelten der Frauen in der arabischen Welt aufeinander: Raschida Jelassi ist Tunesierin – und sie ist Professorin für Recht an der Universität von Tunis:

    " Ich bin geschockt. Wirklich sehr geschockt. Ich bin das erste Mal im Jemen. Ich wusste, dass die Frau hier nicht so ist wie die tunesische Frau. Aber ich konnte mir nicht vorstellen bis zu welchem Punkt. Das heißt: eine Frau zu sehen: wie ein Phantom, in schwarz von oben bis unten. Das hat mich sehr schockiert. Ich habe mir so etwas nicht vorstellen können. Und es hat mir richtig weh getan, ich hatte sehr viel Mitleid mit diesen Frauen."

    Verschleierte neben unverschleierten Frauen. Bis auf die Augen hinter schwarzem Tuch versteckt die Jemenitinnen, bunt gekleidet mit unbedeckten Armen – trotz Kopftuch - die Frauen aus Mauretanien.

    Eine Libanesin im Minirock, eine libysche Professorin im elegant geschnittenen, damenhaften Kostüm.
    Ein Bild der Extreme und ein Spiegel der sozialen Wirklichkeit: Zwar werden den Frauen in mittlerweile 17 arabischen Staaten laut Verfassung dieselben Rechte eingeräumt wie Männern – doch die Regierungen haben überhaupt kein Interesse daran, die Frauen über ihre Rechte aufzuklären, geschweige denn, etwas an der gesellschaftlichen Realität zu ändern.

    Noch immer werden Mädchen viel zu jung und gegen ihren Willen verheiratet. Noch immer gibt es Polygamie. Noch immer werden Frauen bei der Berufswahl ausgegrenzt und von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. So fällt es jemenitischen Frauen schwer, überhaupt darüber zu reden, ob es denn mit dem Islam vereinbar sei, wenn Frauen Richterinnen werden.

    Ramzia Aleryani, Präsidentin der jemenitischen Frauenunion: " Ich würde sagen, die jemenitischen Frauen haben andere Prioritäten. Das Bewusstsein zu steigern für Gesundheitsaufklärung und die Ausbildung von Mädchen beispielsweise. Und ökonomische und politische Unabhängigkeit. Und das Bewusstsein zu steigern für ihre Rechte und die politische Partizipation. "

    Die Frauenunion des Jemen, die über 250.000 Mitglieder zählt, leistet in dieser Stammesgesellschaft Pionierarbeit: Sie versucht, patriarchalische Traditionen zu bekämpfen – beispielsweise die Beschneidung. Und sie führt Aufklärungsprogramme für Frauen durch.

    " Wir haben dieses Projekt in allen Gemeinden des Jemen durchgeführt. Die Frauen sollten informiert werden über ihre Rechte. Zuerst haben wir erforscht, in welcher Situation sich die Frauen in der Gesellschaft befinden. Es ist Aufklärungsarbeit. Viele Frauen wissen gar nicht, was für Rechte sie haben – beispielsweise nach der Scheidung. Und wir haben Projekte gegen die Beschneidung durchgeführt, ihnen gesagt, dass das Verstümmelung ist und mit dem Islam nichts zu tun hat. "

    Das alles sind Probleme, die die Frauen aus dem Libanon, Tunesien und Libyen schon lange nicht mehr beschäftigen. Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun formulierte kürzlich: Marokkaner, Tunesier und Algerier fühlen sich den Europäern viel näher als beipielsweise den Arabern vom Golf – mit denen sie nur die Sprache teilen – und oft nicht einmal das. Weil sie nämlich weit besser Französisch sprechen als Arabisch. Die tunesische Juristin Raschida Jelassi sagt es so:

    " Die Situation dieser Frauen ist sehr unterschiedlich. Die Situation der Frau in Tunesien ist anders als die aller anderen Frauen in den arabischen Ländern. Und die Situation der Frauen in den anderen arabischen Ländern ist wieder eine ganz andere. Z.B. ist die Situation der Frauen im Maghreb besser als die der Frauen im Nahen Osten. In Jordanien und Syrien sind die Frauen viel emanzipierter als im Jemen. Und am Ende der Liste stehen die Frauen vom Golf. Gerade deshalb ist es so wichtig, miteinander zu reden. Wenn die Golfstaaten unter sich bleiben, was kann ihnen das bringen? Nützlich ist es von den Erfahrungen der anderen zu hören, die Argumente der anderen zu hören. Denn die arabischen Frauen, die Vor-Kämpferinnen für die Rechte der Frauen, haben immer Tunesien als leuchtendes Beispiel genommen, um zu sagen: Das ist ein arabisches und islamisches Land, das es geschafft hat, die Polygamie zu verbieten. "

    Die arabische Welt ist bis heute von vielen sozialen Widersprüchen und gesellschaftlichen Verwerfungen gekennzeichnet – das gilt auch für die Rolle der Frauen, in der Familie, im Beruf, im öffentlichen Leben. Auf der einen Seite ist eine eine gewisse Arroganz zu spüren, mit der Frauen aus Marokko oder Tunesien auf die vermeintlich so rückständigen Frauen aus dem Jemen herabblicken – sie reklamieren die frauenpolitische Pionierrolle deutlich für sich.

    Auf der anderen Seite die deutlichen Berührungsängste der traditionsbewußten Jemenitinnen, die einem Dialog nicht nur aus dem Weg gehen, sondern auch nicht davor zurückschrecken, ihn sogar abbrechen.

    Sie halten die Frage der hochgestylten Libanesin in der engen Diesel-Jeans, wann denn der Jemen endlich so weit sein würde, dass man hier Miniröcke auf der Straße anziehen könne, nicht für die dringlichste der jemenitischen Gesellschaft. Rashida Jelassie bestreitet jedoch, dass es wirklich Arroganz im Umgang miteinander gebe:

    " Nein, es ist nicht wirklich ein Gefühl der Überlegenheit. Ich habe sogar ein Vorurteil revidieren müssen. Das heißt: Ich habe gedacht, dass eine Frau, die so verschleiert ist, nicht anders sein kann als unterdrückt, dass sie keine Persönlichkeit hat, dass sie nur in der Religion Halt findet. Aber ich habe entdeckt, dass die jemenitische Frau sehr genau weiß, was sie will. Sie ist eine sehr aktive Frau. Eine Frau, die in fast allen Bereichen arbeitet. Sie kann nicht als Richterin arbeiten. Aber immerhin: sie arbeitet und sie ist keinesfalls unterdrückt. "

    Fazit: Noch fällt es den Frauen schwer, miteinander ins Gespräch zu kommen. Noch gibt es tiefe Gräben, soziale Gegensätze, völlig unterschiedliche Lebenswelten. Das Kollektiv der Frauen in der arabischen Welt gibt es vielleicht im westlichen Sprachgebrauch – bis heute aber nicht in der gesellschaftlichen Wirklichkeit.