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Arbeit für Flüchtlinge
"Natürlich vermisse ich das"

Das deutsche Gesetz verdammt Flüchtlinge zur Untätigkeit, während sie auf ihren Asylbescheid warten. Der Syrer Youssef Fakie wollte sich damit nicht abfinden und meldete sich für ein Modellprojekt an, das Flüchtlinge weiterqualifiziert. Inzwischen hat er sein erstes Praktikum hinter sich - und dabei einen guten Eindruck hinterlassen.

Von Franziska Rattei | 15.01.2015
    Der Flüchtling Youssef Fakie aus Syrien im Gespräch mit der Arbeitsvermittlerin Angela Touré
    Der Flüchtling Youssef Fakie aus Syrien im Gespräch mit der Arbeitsvermittlerin Angela Touré (Franziska Rattei/Deutschlandradio)
    Youssef Fakie ist ein bisschen früh dran. Vor seinem Termin in der Bremer Agentur für Arbeit hat er noch ein paar Minuten Zeit. Kein Problem – er wartet einfach kurz auf dem Flur. Monatelanges Warten dagegen war sehr wohl ein Problem für den 36-jährigen Syrer. Als Youssef Fakie nach Deutschland kam, galt noch das neunmonatige Arbeitsverbot. Für ihn eine schwere Zeit, erinnert er sich: "Darf man nicht arbeiten, es gibt keine Deutschkurse, lernt man keine Sprache, lernt man die deutsche Sprache nicht. Das ist nicht gut. Ja."
    Es gab eine Alternative. Youssef Fakie nimmt an einem Modellprojekt der Bundesagentur für Arbeit, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und des Europäischen Sozialfonds teil. Im Juni hat er mit einem Intensiv-Deutschkurs für Akademiker begonnen, danach sechs Wochen Praktikum bei der Bremer Lagerhaus Gesellschaft - einem international agierenden Logistik-Unternehmen; halbtags in der Abteilung für Projekt-Management.
    "Von neun bis 14 Uhr einfach wieder zu arbeiten, produktiv zu sein und eine konkrete Aufgabe zu bekommen und diese Aufgabe zu bearbeiten, zu machen, zu erledigen. Ja. Und im Büro sitzen, mit Kollegen sprechen. Ja, das war sehr gut. Ja, wie früher."
    Studium, Praktikum, keine Unterlagen
    Youssef Fakie lebt seit einem Jahr in Bremen. Er füllt seine Tage so gut es geht. Als Gast-Student besucht er Seminare an der Bremer Uni, zum Lesen und Lernen geht er in die Bibliothek. Eine Arbeitsstelle hat er über das Modellprojekt noch nicht gefunden, aber das Praktikum beim Logistik-Unternehmen war ein Vorgeschmack: "Ich hab da auch sehr positive Erfahrungen bekommen. Natürlich vermisse ich das. Ja..."
    Der Syrer hat ein paar Semester BWL studiert und bereits erste Arbeitserfahrungen in der Logistik-Branche gesammelt. Aber hier in Deutschland geht es nicht nur ums Können, sondern auch ums Beweisen. Und Fakies Beweise – Studienbescheinigungen zum Beispiel, Zeugnisse – sind größtenteils im Krieg verschüttgegangen. Kurz: Youssef Fakies Bewerbungsunterlagen sind unvollständig, kein deutscher Standard. Ohne Hilfe wäre er verloren auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
    "Ah, hallo Herr Fakie." – "Frau Touré." – "Kommen Sie rein." – "Frohes neues Jahr!" – "Ja, Ihnen auch. Ist ja schön, dass wir das so schnell hinbekommen haben. Sie hatten ja einige Fragen." – "Ja, wegen meinem Zeugnis..."
    Auch für die Wirtschaft verschenkte Zeit
    Youssef Fakie und Angela Touré kennen sich seit einem Dreivierteljahr. Die Arbeitsvermittlerin betreut inzwischen mehr als einhundert Flüchtlinge im Rahmen des Modellprojektes. Sie schickt sie in Deutschkurse, leiert Anerkennungsverfahren an, lässt Dokumente übersetzen – alles schnellstmöglich nach der Ankunft in Deutschland.
    "Also es wäre nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die Wirtschaft verschenkte Zeit, denke ich, wenn wir da nicht so früh ansetzen. Und so wie es in der Vergangenheit häufig war, haben die Flüchtlinge diese Zeit kaum nutzen können."
    Viele Flüchtlinge sind hoch motiviert und qualifiziert, sagt Angela Touré. Eine Zwischenbilanz des Modellprojekts gibt Ihr Recht: Bundesweit hat bereits eine Handvoll Teilnehmer eine Arbeitsstelle gefunden. Eine ganze Reihe, darunter Youssef Fakie, hat Praktika absolviert. Mehr kann man nicht erwarten innerhalb des ersten Jahres, sagt die Arbeitsvermittlerin.
    "Man muss bedenken, dass die meisten mindestens ein Jahr brauchen, um den Deutschstand zu erreichen, mit dem sie arbeiten können. Und dann müsste man mal schauen, was dann möglich ist. Ich bin ziemlich sicher, dass ich alle, die ich im Projekt habe – sobald sie Deutsch gelernt haben in ausreichendem Umfang – in kürzester Zeit unterbringen werde."
    Ein fremdes Arbeitssystem
    Unter Angela Tourés Klienten sind zwei Zahnärzte – quasi einsatzbereit. Ein dritter Teilnehmer hat seinen Ausbildungsvertrag als KFZ-Mechatroniker schon fast in der Tasche. Und Youssef Fakie?
    Der Schreibtisch, an dem er während seines Praktikums bei der BLG Logistics gearbeitet hat, ist derzeit frei. Allerdings: Wenn es nach Jens-Uwe Niegel ginge, könnte sich das auch wieder ändern. Niegel leitet das Projekt-Management des Unternehmens und ist überzeugt von Fakies Potenzial: "In jedem Fall hätte er bei uns im Unternehmen viele Einsatzmöglichkeiten, wenn er die Chance bekommt, eine entsprechende Ausbildung zu machen."
    Ein duales Studium wäre seiner Meinung nach ideal, um Youssef Fakie parallel Theorie und Praxis zu vermitteln. Eingetütet ist die Ausbildung noch nicht, aber theoretisch könnte es im September losgehen. Die Gespräche mit der Personalabteilung laufen. Die BLG hat erkannt, dass Flüchtlinge Potenzial und Energie ins Land bringen, sagt der Leiter der Abteilung für Personalentwicklung, Angelo Caragiuli. Eines wird seiner Meinung nach aber häufig vergessen:
    "Die sind zwar zum Teil recht gut qualifiziert, aber die kennen natürlich das deutsche Arbeitssystem so gut wie gar nicht. Und die Institutionen, die sie auffangen – sag ich mal: Arbeitsagenturen oder die typischen Betreuungsinstitutionen – sind ja auch nicht allzu arbeitgebernah. Das heißt: Die haben in der Regel auch keinen guten Überblick darüber, was es denn überhaupt für Arbeitsperspektiven gibt."
    Bei Youssef Fakie hat vieles gut funktioniert, sagt der Personaler. Die Arbeitsvermittlerin der Agentur für Arbeit hat ja auch persönlich im Unternehmen angerufen und nachgefragt. Auf lange Sicht werden Flüchtlinge aber nur dann schnell Arbeits- oder Ausbildungsplätze finden, wenn auch die Arbeitgeber aktiver werden. Diese Anstrengung müssen sie wohl in Kauf nehmen, um hoch motivierte Mitarbeiter zu gewinnen, die meistens nur eines wollen: endlich wieder arbeiten.