Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Arbeitsmarkt-Chancen für Flüchtlinge
"Stärker über eine teilqualifizierende Ausbildung nachdenken"

Etwa zwei Drittel der Flüchtlinge, die aus Syrien, Irak oder Albanien nach Deutschland kommen, verfügten nicht über die Vorbildung, die es ihnen erlauben würde, am Unterrichtsgeschehen hierzulande erfolgreich teilzunehmen, sagte der Bildungsökonom Ludger Wößmann im DLF. An einer regulären dreijährigen Ausbildung würden sie deshalb wohl scheitern, so der der Forscher.

Ludger Wößmann im Gespräch mit Manfred Götzke | 19.11.2015
    Ein syrischer Flüchtling arbeitet mit seinem Ausbilder in einem Metallbetrieb in Schleswig-Holstein
    Ein syrischer Flüchtling arbeitet mit seinem Ausbilder in einem Metallbetrieb in Schleswig-Holstein (picture alliance / Carsten Rehder)
    Manfred Götzke: Fachkräftemangel und Flüchtlinge. Viele Politiker sehen hier die Win-win-Situation schlechthin. Die Wirtschaft könnte von den vielen motivierten jungen Leuten profitieren, die Flüchtlinge könnten sich durch einen Job schnell integrieren und auf eigenen Füßen stehen. Wie realistisch dieses Szenario ist, wie schnell und gut Flüchtlinge also in unseren Arbeitsmarkt integriert werden können, das hängt natürlich auch stark davon ab, welche Qualifikation die jungen Syrer, Iraker oder auch Afghanen so mitbringen. Der Bildungsökonom Ludger Wößmann hat das jetzt genauer untersucht, und er ist jetzt am Telefon. Hallo, Herr Wößmann!
    Ludger Wößmann: Guten Tag, Herr Götzke!
    Götzke: Herr Wößmann, welche Qualifikationen bringen die jungen Flüchtlinge mit?
    Wößmann: Das ist relativ schwer zu sagen, wenn man ehrlich ist. Das große Problem ist, dass also richtig belastbare Zahlen über die aktuelle ankommenden Flüchtlinge nicht vorliegen. Das ist natürlich sehr schade, wäre sehr wichtig zu wissen. Aber man kann natürlich versuchen, aus sonstigen Daten, zum Beispiel aus vorherigen Flüchtlingen aus den gleichen Ländern oder eben auch aus Daten aus den Heimatländern Informationen über die Bildungs- und Qualifikationsniveaus der Flüchtlinge abzulesen.
    Götzke: Und was haben Sie da abgelesen?
    Wößmann: Wenn wir mal auf das Bildungsniveau derer, die vielleicht als Jugendliche, junge Erwachsene hier ankommen, schauen wollen und uns anschauen eben, wie gut ist die Qualität des Bildungssystems in den Heimatländern, dann könnten wir dazu eben Daten des PISA-Tests oder auch des TIM-Tests, eines vergleichbaren Tests, nutzen. Und wir haben das mal für insgesamt 81 Länder in der Welt auf eine Skala gebracht, um dann zu sehen, wie gut sind eben diese Bildungsleistungen, bei TIM in der achten Klasse, bei PISA unter 15-Jährigen, und dann – man kann das verschieden drehen, aber man kann sich zum Beispiel anschauen, wie groß ist der Anteil derer im jeweiligen Land, die über ein Mindestmaß an Grundkompetenzen, das die OECD eben in der Stufe eins von Kompetenzniveau definiert, liegen. In Deutschland fallen darunter nur 16 Prozent ...
    Götzke: Also die das nicht haben, die das nicht erfüllen.
    Wößmann: Die das nicht erfüllen, die das nicht schaffen. Und wenn wir das zum Beispiel in Syrien, die in 2011 noch an den TIMMS-Tests teilgenommen haben, anschauen, dann sind das dort 65 Prozent. Oder für Albanien, ein weiteres Land, wo derzeit relativ viele Flüchtlinge herkommen, dann sind das 59 Prozent. Also sehr große Anteile, die eben selbst dieses Basisniveau von Grundkompetenzen, was man vielleicht sozusagen heutzutage bezeichnen muss, also wenn man da nicht drüber kommt, dann ist man funktional ein Analphabet in einer modernen Gesellschaft, die darüber nicht irgendwie hinauskommen.
    Götzke: Das heißt, 65 Prozent können nicht richtig lesen und schreiben?
    Wößmann: Zumindest eben nicht auf eine Art und Weise, die es ihnen erlauben würde, am Unterrichtsgeschehen in Deutschland erfolgreich teilzunehmen. Man kann durch das – die TIMMS zum Beispiel zielen ja dann vor allen Dingen auf Mathematik, Naturwissenschaften ab, und das heißt, sie kommen über ganz einfache Rechenaufgaben nicht drüber hinaus.
    " ... dass wir da mehr Hilfe anbieten, Ausbildungsbegleiter und ähnliches"
    Götzke: Das ist die Situation in den Heimatländern. Aber gilt das denn auch für die Geflüchteten? In der Regel fliehen ja die am besten qualifizierten Leute.
    Wößmann: Das ist die große Frage, über die wir über die aktuelle Welle herzlich wenig wissen, müssen wir sagen. Darum sollten wir ganz dringend eigentlich versuchen, das besser zu erheben, damit wir eben sehr früh wissen, was auf uns zukommt und dementsprechend eben auch Qualifikationsprogramme gestalten können. Aber wenn wir eben auf vorherige Flüchtlingswellen schauen, dann ist es eben so, dass aus diesen Ländern, von denen derzeit die meisten Flüchtlinge herkommen, die, die eben bei uns sind, waren je nach den verschiedenen Quellen so circa zehn Prozent vielleicht, die einen Hochschulabschluss hatten, aber Zweidrittel, die keinen berufsqualifizierenden Abschluss geschafft haben. Und das wiederum sind in Deutschland nur 14 Prozent der Menschen, gerade eben, weil wir in Deutschland ein gut funktionierendes Berufsbildungssystem haben und eben – das Ganze deutet darauf hin, dass es nun nicht so sein wird, dass es extrem hoch qualifizierte Leute im Durchschnitt sind, die hierhin kommen. Wir wissen es nicht genau. Sie werden sicherlich besser motiviert sein als der Durchschnitt, weil sie sich auf den Weg gemacht haben. Aber dass man zumindest über die Migrationsströme, die zurzeit ankommen, glaube ich nicht, dass man besonders stark davon ausgehen kann, dass sie die höchsten Bildungsabschlüsse hatten. Das ist häufig so, wenn Regime repressiv werden, dann ist es in der Tat so, dass zunächst mal Menschen mit höherer Bildung tendenziell eher fliehen, aber wir sind natürlich jetzt schon ein ganzes Stück weiter.
    Götzke: Was bedeutet das denn für die Integration auf unserem Arbeitsmarkt. Können wir uns eine schnelle Integration somit abschminken?
    Wößmann: Ich glaube, das bedeutet eben vor allem, dass wir realistisch werden müssen, uns keine Illusionen machen dürfen und eben eine Integrationspolitik machen müssen, die mit diesen Realitäten fertig wird. Das heißt eben, wir können nicht davon ausgehen, dass all diese Leute, zum Beispiel, wenn sie relativ jung ankommen, jetzt schlicht und einfach eine dreijährige Ausbildung bei uns machen können auf einem hohen theoretischen Niveau. Daran werden sie scheitern. Da gibt es auch wieder Zahlen zu, zum Beispiel die Handwerkskammer München-Oberbayern hat kürzlich berichtet, dass eben 70 Prozent derjenigen Azubis aus Syrien, Afghanistan und Irak, die vor zwei Jahren eine Lehre angefangen haben, die schon wieder abgebrochen haben. Und das ist genau die Gefahr, die eben besteht. Das heißt, wir müssen uns eben überlegen, dass wir da mehr Hilfe anbieten, Ausbildungsbegleiter und ähnliches, aber eben auch, aus meiner Sicht sollten wir viel stärker darüber nachdenken, eine teilqualifizierende Ausbildung zu geben, wo vor allem die praktischen Fähigkeiten betont werden und nicht so sehr die theoretischen Grundlagen, an denen die Leute leicht scheitern werden. Es kommt ja zusätzlich hinzu, dass sie zunächst mal die Sprache lernen müssen. Das ist ja noch eine zusätzlich Hürde, die eben davor steht. Ich kann mir vorstellen, dass man eben, so was gibt es im Bereich der Krankenpflege oder der Altenpflege, da gibt es Krankenpflegehelfer, wo man letztendlich eine einjährige Ausbildung hat und dann eben hoffen kann, dass man eben genügend Qualifikationen in dem Bereich hat, und dann gerade eben auch in Branchen, wo wir in Deutschland eine hohe Nachfrage haben am Arbeitsmarkt. Ich glaube, da kann man sich genügend vorstellen. Wir müssen nur dann flexibler sein und bereit sein, von den hohen Ansprüchen, die es ansonsten gibt, ein Stück weg zu kommen.
    Götzke: Viele der jungen Leute, die vor dem IS aus Syrien oder dem Irak fliehen, sind schlecht qualifiziert, zu schlecht möglicherweise, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sagt der Bildungsökonom Ludger Wößmann. Vielen Dank!
    Wößmann: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.