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Arbeitsrecht
Rausschmiss nach 88 Zeitverträgen

Anja Helffenstein war gerne Postbotin. Und offensichtlich hat sie ihren Job gut gemacht, denn 88 mal hintereinander hat sie von der Post einen befristeten Arbeitsvertrag bekommen. 17 Jahre ging das so. Dann war sie für kurze Zeit krank.

Von Almuth Knigge | 13.06.2014
    Eine Briefträgerin in Sachsen-Anhalt
    Eine Briefträgerin in Sachsen-Anhalt (dpa / picture-alliance / Jens Wolf)
    Anja Helffenstein ist eine kleine, proppere und ungemein freundliche Frau. Es scheint, als würde sie die ganze Zeit lächeln, ein bisschen nur, aber immer lächeln. Dabei hätte sie allen Grund, zu schreien, wütend zu sein, enttäuscht, trotzig. Aber sie sitzt in ihrer kleinen puppigen Souterrain-Wohnung im mecklenburgischen Wittenburg, eine kleine Teddysammlung um sich herum, knetet die Hände - und lächelt. Es ist ein Vormittag um elf - und nur der Papagei im Wohnzimmer macht etwas Lärm.
    Anja Hellfenstein hat momentan viel Zeit - sie schaut auf die Uhr. Vor zwei Monaten im diese Zeit war das anders. Da hätte sie um diese Zeit in ihrem gelben Postauto den Stützpunkt verlassen, um die mecklenburgischen Dörfer mit Post zu versorgen - 17 Jahre lang war das so, "ich fühlte mich schon zum Inventar gehörend." Und dann war auf einmal alles anders. "Das war schon ein Schock."
    1997 hatte die 42-Jährige bei der Post angefangen. Gelernt hat sie eigentlich Bekleidungsfertigerin - aber ihren Postjob hat sie geliebt - der Menschen wegen. Und offensichtlich hat sie ihren Job gut gemacht - denn 88 mal hintereinander, 88 Mal, hat sie von der Post eine befristeten Arbeitsvertrag bekommen.
    "Die Verträge liefen immer so ca. zwei Wochen, vier Wochen, drei Monate, halbes Jahr, mit großem Glück auch mal ein Jahr - das ist aber selten."
    Die rechtliche Lage ist undurchsichtig
    Die soziale Lage ist klar: unverantwortlich. Die rechtliche Lage ist - zumindest interpretierbar. Unternehmen dürfen Aushilfen befristet einstellen - um flexibel zu sein bei hohem Krankenstand oder Urlaub. So stand es auch immer in den Verträgen von Anja Helffenstein - der sogenannte Sachgrund. "Drei Wochen vorher, da fragt man schon mal nach, wie sieht es auch, der läuft aus der Vertrag, wie geht es weiter, manchmal habe ich einen Tag vor Ablauf Bescheid bekommen ob es weiter geht manchmal auch einen Tag danach erst."
    Ein Leben in Unsicherheit, in einer Region, in der es nicht viele Alternativen gibt - und wo der Arbeitgeber mit dem Kalkül, dass sich Frauen wie Anja Helffenstein lieber selbst ausbeuten als Forderungen zu stellen, gute Umsätze macht. "Planen kann man nicht viel - Urlaub planen - das geht gar nicht - ich kann ja auch nicht planen, habe ich nächsten Monat noch einen Arbeitsvertrag oder nicht - weiß ich ja nicht - dann kann ich nicht in Urlaub fahren, wenn ich dann keine Arbeit mehr habe. Und dann sind ja andere Sachen wichtiger. Auto kaufen geht nicht. Ne Wohnung anmieten - ohne Festvertrag - ist schwierig - Kredite bei der Bank, ohne Festvertrag - gar nicht möglich."
    17 Jahre ging das so, Schikanen inbegriffen. Die kleine Frau hat in der Zeit zwei Kinder alleine großgezogen. "Dann bekommt man im Sommer zwei Monate mal keinen Vertrag - Schon hängt das dran - man bekommt kein Weihnachtsgeld, kein Urlaubsgeld, man ist ja kein ganzes Jahr beschäftigt. Das sind auch so ein paar Sachen die da mitspielen."
    Die Post schweigt
    Sieht nach Strategie aus - ist aber nicht zu beweisen. Und schließlich hat sie auch nach Arbeitspausen immer wieder neue Verträge bekommen. Nur der 89. - der Ende Mai hätte kommen müssen - der kam dann nicht mehr. "Ich war fassungslos", sagt Anja Helffenstein, und jetzt ist das Lächeln sehr dünn. Auch ihre Kollegen waren fassungslos. "Das verstehen die heute noch nicht. Ich weiß ja auch ganz genau, dass die Post Leute sucht - dringend - ich habe meine Sachen parat, ich könnte morgen arbeiten." Aber sie darf nicht mehr.
    "Man hat mir ja gesagt, ich bin, was bin ich... jetzt ist mir das Wort entfallen - untragbar - ich bin untragbar geworden - und ich fühl mich nicht untragbar."
    Sie schüttelt immer noch fassungslos den Kopf. "Das ist für mich als wenn ich geklaut hätte, als wenn ich unterschlagen hätte, das ist für mich untragbar - aber ich bin ja noch nicht einmal einen Tag zu spät gekommen - sogar im Urlaub bin ich arbeiten gegangen." Warum ist sie dann auf einmal aber untragbar geworden für die Post - die übrigens auch heute noch in der Region händeringend nach Aushilfskräften sucht, "das könnte er mir auch nicht sagen warum."
    Anja Helffenstein hat eine Vermutung: "Ich war krank im Januar." Mittelohrenzündung - Schwindelanfälle - auch wenn Sie sich sonst immer krank zur Arbeit geschleppt hat - an Autofahren war nicht zu denken "Und ich hab zu oft nachgefragt, wie sieht es aus, Festanstellung, wie sieht es aus geht es weiter, man darf keine Fragen stellen." Das haben Anwälte für Sie gemacht - mit Erfolg - die Post - die zu der ganzen Angelegenheit bislang immer geschwiegen hatte, will ihr einen unbefristeten Arbeitsvertrag anbieten - das Thema Kettenverträge ist damit aber noch nicht vom Tisch.