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"Archäologie ist keine reine Antiquitätenwissenschaft"

"Viel mehr können wir erfahren, wenn wir auch über den Zusammenhang eines Fundes etwas wissen", appelliert Christina Wawrzinek, Kuratorin der Ausstellung, an Hobbyarchäologen. Auch Urlaubern sollte bewusst sein, dass sie nicht einfach archäologische Fundstücke mitnehmen dürfen.

Christina Wawrzinek im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Man kann auch ganz paradox fragen: Was verlieren wir eigentlich, wenn wir einen Fund finden – den Weg dorthin? Grund für uns, mit der Kuratorin Christina Wawrzinek zu sprechen, die im Landesmuseum "Natur und Mensch" in Oldenburg eine Ausstellung zum Thema eingerichtet hat. Und die heißt "Raubgräber - Grabräuber" und beginnt heute. Sie habe ich gefragt: Für den Museumsbesuchter, der vor eine Vitrine steht, erscheint ja der einzelne Fund, unter Umständen aus kostbarem Material, das wichtigste Ergebnis der Ausgrabung. Warum reicht Ihnen das aus archäologischer Sicht nicht?

    Christina Wawrzinek: Na ja, die Archäologie ist ja keine reine Antiquitätenwissenschaft. Es ist ja nicht so, dass wir sagen, wir möchten uns nur mit Objekten umgeben. Und die sehen dann toll aus in der Vitrine und man kann sie bestaunen. Und natürlich können auch viele Objekte aus sich selbst heraus schon Informationen geben, aus welchem Material sie bestehen zum Beispiel oder wie sie gemacht wurden. Aber die Archäologie ist nun mal eigentlich die Wissenschaft vom Leben der Menschen in vergangenen Zeiten. Und darüber erfahren wir aus den Funden heraus nur bedingt etwas. Viel mehr können wir erfahren, wenn wir auch über den Zusammenhang eines Fundes etwas wissen.

    Köhler: Das ist der Grund, ein Grund mit, warum Grabraub auch ein Problem ist. Ich halte mal für eine Sekunde dagegen und sage: Warum ist er so ein großes Problem? Er macht doch auf etwas aufmerksam, was vielleicht zuvor unbekannt war. Auch die berühmte Himmelsscheibe von Nebra war, wenn ich es richtig weiß, doch Ergebnis eines Fundes von Amateuren oder von Raubgräbern.

    Wawrzinek: Das stimmt natürlich. Man muss auf jeden Fall sehen: Das Thema ist kein reines Schwarz-Weiß-Thema. Es gibt ganz, ganz viele Graustufen in diesem Bereich. Wenn man das eine Ende, sage ich mal, nimmt und wirklich den Grabräuber, der in Italien zum Beispiel große Gräber mit großem Inventar komplett ausräumt, dann muss ich sagen, da geht es um rein monetäre Ziele. Und da kann ich nichts Positives sehen.

    Köhler: Das ist auch illegal!

    Wawrzinek: Genau, das ist auf jeden Fall auch illegal. Es gibt aber natürlich auch ein anderes Ende des Spektrums. Es gibt auch viele Menschen, die mit Metalldetektoren unterwegs sind. An sich kann das für uns auch tatsächlich sehr wertvoll sein. Die Bedingung ist allerdings, dass sich diese Sucher auch tatsächlich an gewisse Spielregeln halten. Denn wenn ich mit so einer Metallsonde unterwegs bin und mein Gerät macht mich aufmerksam, da ist etwas im Boden. Und ich hole diesen Gegenstand sofort direkt so aus dem Zusammenhang heraus, dann ist der Zusammenhang weg und damit auch wichtige Informationen über den Fund. Das heißt, jeder, der sich auf die Suche machen möchte, muss sich einfach an gewisse Spielregeln halten und dann kann das auch gut funktionieren. Im Fall von Nebra konnte man im Nachhinein dann tatsächlich noch den Fundzusammenhang einigermaßen rekonstruieren. Bei vielen anderen Funden haben wir das nicht. Da wissen wir gar nicht, wo überhaupt dieser Fund herkommt. Und man kann es überhaupt nicht rekonstruieren.

    Köhler: Frau Wawrzinek, ich würde gerne gleich Ihr Wort vom Fundzusammenhang aufgreifen, aber Sie haben mich gerade auf eine Idee gebracht. Haben die Raubgräber aufgerüstet? Sind sie nicht mehr Wünschelrute alleine unterwegs?

    Wawrzinek: Nein, nein! Da ist auf jeden Fall die neueste Technik angesagt. Wir haben uns natürlich auch ein bisschen umgesehen. Viele Raubgräber sind vernetzt, übers Internet, über Foren. Da kann man auch eine ganze Menge Informationen finden, und wir haben natürlich auch mal geschaut, was die so untereinander sich mitteilen. Und es scheint offenbar von großer Bedeutung zu sein, auch mit welchem Gerät man unterwegs ist und ob das auch wirklich das neueste Gerät ist. Da wird offenbar auch eine Menge Geld investiert in diese Metalldetektoren und natürlich sind auch die Hersteller der Detektoren da durchaus daran interessiert, dass die da vertrieben werden.

    Köhler: Sie stellen eine Frage in Ihrer Ausstellung: Was kann auch jeder Einzelne zum Schutz der Kulturgüter beitragen? Mich juckt es ehrlich gesagt ja schon manchmal in den Fingern und ich muss mir dann selber auf die Finger hauen, wenn man an der türkischen Riviera unterwegs ist und weiß genau, Mensch, hier hat die ionische Naturphilosophie angefangen und da liegen Mosaike herum, da hat man gefälligst die Finger von zu lassen. Wie es auch manchmal verlockend ist, irgendwelchen Händlern auf den Leim zu gehen. Welche Beispiele führen Sie in der Ausstellung an, die über Oldenburg hinausgehen?

    Wawrzinek: Konkrete Beispiele aus der Türkei haben wir jetzt nicht. Wir haben einen Aufsatz in unserem Begleitband über Griechenland. Da berichtet ein Kollege von den Problemen der griechischen Behörden. In Griechenland allerdings hat man es auch wirklich mit hoher krimineller Energie zu tun, da gibt es regelmäßige Einbrüche in Museen und in die archäologischen Depots. Das heißt, wenn ich als Urlauber in Griechenland bin und mich spricht ein Händler auf der Straße an und sagt, ich habe hier ein paar tolle echte Münzen, die stammen hier vielleicht aus einer Ausgrabung in der Nähe, oder so was. Dann muss ich natürlich misstrauisch werden. Das heißt, wenn ich wirklich Stücke kaufen möchte und es soll legal sein, dann muss ich mit einem hohen bürokratischen Aufwand rechnen und es muss dann wirkliche Ausnahmegenehmigungen geben. Das ist natürlich historisch bedingt. In früheren Zeiten, zu Zeiten des Osmanischen Reiches noch in der Türkei, durften Finder sehr, sehr viel ausführen. Das sieht man ja auch in den Museen in Europa. Hier in Deutschland und auch in England gibt es sehr viele Stücke aus der Türkei und aus Griechenland. Mittlerweile hat sich das Bewusstsein einfach in den Ländern auch geändert und man sagt sich, das ist unsere Vergangenheit hier, auf die wir auch Wert legen. Und die wir nicht außer Landes geben möchten so ohne Weiteres.

    Köhler: Das sagt Christina Wawrzinek über Raubgräber und Grabräuber. Ihre Ausstellung fängt heute an in Oldenburg.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.