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Architektur der Zukunft

Moderne japanische Architektur wird oft von Funktionalität beherrscht: die Platznot der Gegenwart zeichnet sich deutlich ab. Doch die ganz moderne Architektur denkt auch die Zukunft neu. Die monografische Ausstellung zu den Arbeiten des Architekten Sou Fujimoto in der Kunsthalle Bielefeld heißt dementsprechend "Futurospektive Architektur".

Von Carsten Probst |
    "Haus NA" steht in Tokio und sieht aus wie ein großes Lagerregal. Vergangenen Herbst wurde es fertiggestellt. Die Wände sind zu allen Seiten offen, zwischen den wie Kisten aufeinandergestapelten Stockwerken bewegen sich die Bewohner über Leitern und Treppchen, wobei man ihnen von draußen zusehen kann. Und abgesehen von der Küchenzelle und dem Badezimmer lassen sich alle Module herausnehmen und beliebig kombinieren. Von der relativ luftigen Konstruktion abgesehen, die auch nicht wirklich erdbebensicher aussieht, wirkt "Haus NA" durchaus wie eine leichthändige architektonische Meditation auf die klassische Moderne Europas, auf die schubkastenartige Wohnarchitektur Le Corbusiers oder Mies van der Rohes schwerelose Sommerhäuser, wie Farnsworth House. Fujimoto Sou nennt sein "Haus NA" einfach einen "angenehmen Ort, als würde man von Sträuchern und Büschen umgeben leben".

    Überhaupt hat es ihm das Wachsende und Waldige sehr angetan, Tokio selbst erscheint ihm als eine Art Wald aus Gebäuden, denn "von Körpergröße bis zur Größe einer Stadt existieren die Dinge im Wald nebeneinander und stehen in wechselseitiger in Beziehung zueinander. In diesem Sinn ähneln die Stadtviertel von Tokio einem Wald."

    Allein die Häufigkeit solcher kleinen Bonmots, die Fujimoto Sou seinen einmal winzigen, einmal ausladenden Architekturmodellen beizugeben pflegt, machen diese erste Zusammenschau seines noch gar nicht langen Schaffens sehenswert und überaus unterhaltsam. Man muss nicht alles gleich so ernst nehmen und nicht hinter jeder Fantasie gleich einen Angriff auf den in Deutschland derzeit florierenden Historismus vermuten. Fujimoto sucht die poetische Inspiration, er probiert aus, was ihn selbst inspiriert hat, etwa die luftigen Hängemodelle, mit denen einst ein Antoni Gaudí seine "Sagrada Familia" in Barcelona plante.

    Nicht alles erfindet Fujimoto neu, aber er durchdenkt es mit erfrischender Unbefangenheit für die heutige Zeit, für Städte wie vom Typus Tokios, in denen für gewöhnlich architektonisch nichts mehr geht, was noch halbwegs den Anspruch auf Kreativität erfüllen will.

    "Stell dir vor, du würdest in dieses Modell, das nur aus Blättern besteht, einziehen. Eine völlig neue Raumerfahrung für den Körper", bietet Fujimoto seinem Publikum auf einem kleinen Schrifttäfelchen an. Das Modell liegt darunter, sieht aus wie ein kunstvoll zusammengesteckter Mini-Feldsalat und zählt zu den Lieblingsobjekten des Architekten. Aber Fujimoto kann auch richtig groß. Sein "Final Wooden House", für das Fujimoto 2008 einen internationalen Architekturpreis erhielt, ist im Park vor der Bielefelder Kunsthalle im Maßstab eins zu eins nachgebaut worden. Eine Art Wohnhöhle aus Holz, die von außen kubisch-geometrisch erscheint, in ihrem Inneren jedoch aus unregelmäßigen, vor- und zurückspringenden Balkenensembles besteht, die auf engstem Raum wechselweise als Sitz- beziehungsweise Liegegelegenheit, als Tisch oder Regal dienen können.

    "An die innovative Architektur der Zukunft zu denken", sagt Fujimoto Sou, "gleicht erstaunlicherweise der Reflexion über ihre primitiven Anfänge." Multifunktionale Moderne und das Wohnen auf Bäumen und in Höhlen bilden einen Kreis der Zeitlosigkeit. "Primitive Future" heißt folgerichtig Fujimotos programmatische Schrift aus dem Jahr 2008. Fast beruhigen wirkt es, das er dabei auch ganz handfeste Aufträge zur Sanierung von Altbauten nicht ausschlägt, wie beim Haus eines Unternehmerpaars in Hannover, dessen Dachstuhl er von allen Schindeln befreit hat und dessen Gebälk nun als luftige Konstruktion in den Himmel ragt. Die wahre Herausforderung aber wartet noch auf den Japaner. Denn er hat unlängst den Wettbewerb für den 300 Meter hohen "Taiwan Tower" in der taiwanesischen Stadt Taichung gewonnen, Baubeginn noch dieses Jahr. Er soll, wie nicht anders zu erwarten, einem Baum mit Blättern ähneln.