Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Architektur gegen das Unglück der Menschen

Auch ohne Architekturdiplom wurde Le Corbusier zu einem der bekanntesten Architekten unserer Zeit. Mit seiner Architektur wollte er den Bewohnern der Städte die Freude am Leben wiedergeben.

Von Björn Stüben | 06.10.2012
    Die für den Industriellen Raoul La Roche 1923 im schicken Pariser Stadtteil Auteuil errichtete Villa wirkt hier wie ein Fremdkörper inmitten der pompösen Häuserfassaden des späten 19. Jahrhunderts. Ein Teil des kubischen Baukörpers ruht auf zerbrechlich wirkenden Piloti, schlanken Betonpfeilern. Die schlichten weißen Außenwände werden von schmalen Fensterbändern und einer riesigen Glasfront strukturiert. Erbauer dieser puristisch konzepierten Villa ist Charles-Édouard Jeanneret, der am 6. Oktober 1887 im schweizerischen La Chaux-de-Fonds geboren wurde und sich später Le Corbusier nannte. Doch den prestigeträchtigen Bauaufträgen für eine reiche Kundschaft galt nicht sein eigentliches Interesse:

    "Il fallait s‘occuper non seulement ... Der Architekt hat sich nicht nur um eine kleine soziale Gruppe zu kümmern. Nicht der Haushalt einer Familie oder eines Ehepaares, sondern das große Kollektiv der Menschen muss von ihm ins Auge gefasst werden. Alles dreht sich hierbei um den Urbanismus. Der Architekt und Künstler muss Visionär sein und sich als Schöpfer und Erfinder mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um die Menschen kümmern. Er soll ihr Unglück bekämpfen. Der Architekt kann durch seine Arbeit den Bewohnern der Städte etwas ganz Besonderes wiedergeben, die Freude am Leben."

    Um moderne, zeitgemäße Architektur, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Menschen in den großen Städten entwerfen zu können, bereiste Le Corbusier ganz Europa. Er studierte die antiken Bauten in Italien und Griechenland und arbeitete in den Architekturbüros von Auguste Perret in Paris und Peter Behrens in Berlin. 1917 übersiedelte er nach Paris und widmete sich der puristischen Malerei. Er begann seine Ideen in theoretischen Schriften zu verbreiten. Wohneinheiten in Serienproduktion beschäftigten ihn und Planungen für eine "Zeitgenössische Stadt für drei Millionen Einwohner" entstanden, allerdings nur auf dem Papier. Zum Glück, meint der Architekt Christian de Porzamparc:

    "Si vous voulez la vision … Die Vision von Le Corbusier und anderen Architekten bestand für Paris etwa darin, erst einmal 75 Prozent der gewachsenen Stadt abzureißen. Dazu gab es tatsächlich fertige Pläne. Es sollten dann vor allem riesige Wohntürme errichtet werden. Man hat dann aber schnell begriffen, dass dies naiv und ein großer Unsinn gewesen wäre."

    Zwischen den Weltkriegen gründete Le Corbusier, der selber kein Architekturdiplom besaß, eine einflussreiche internationale Architektenvereinigung und erbaute in der Stuttgarter "Weißenhofsiedlung" ein mit in Serie gefertigten Bauteilen konzipiertes Musterhaus. Während des Zweiten Weltkriegs nahm er enge Kontakte mit dem Vichy-Regime auf und zeigte Sympathien für das Dritte Reich. Le Corbusiers städtebauliche Konzeptionen wurden später von Kritikern in Verbindung mit Hitlers Wahnideen von der architektonischen "Neugestaltung Europas" gebracht. 1952 entstand in Marseille die erste "Unité d‘habitation", ein vielstöckiger Gebäuderiegel mit über dreihundert Wohneinheiten und in Indien wurde nach Le Corbusiers Plänen eine ganze Stadt errichtet. Mit dem Kapellenbau Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp schrieb er 1955 Architekturgeschichte. Dennoch wurde ein Großteil seiner Architekturvisionen nie verwirklicht. Der Chefredakteur der Zeitschrift "urbanisme" Thierry Paquot:

    "Évidemment il y a un enorme écart … Ein großer Unterschied klafft zwischen dem, was Le Corbusier in seinen Schriften über den Urbanismus äußerte und der Umsetzung dieser Ideen in reale Architektur. Tatsächlich hat er ja recht wenig gebaut in seinem Leben, aber sein Einfluss war dennoch enorm. In der modernen Architekturtheorie Le Corbusiers gab es die Stadt wie wir sie alle kennen eigentlich gar nicht, die Stadt als Ort der Vielfalt und des zufälligen Zusammentreffens von Menschen. Das alles fiel der Rationalität zum Opfer. Eine Stadt sollte eben perfekt funktionieren wie eine Maschine."

    Seit 1951 verbrachte Le Corbusier seine Sommer an der Côte d‘Azur. Aus Holz entwarf er eine knapp 14qm kleine Hütte am Cap Martin, die er nach einem dem Menschen entsprechenden Proportionssystem, dem "Modulor" gestaltete, und die er alleine bewohnte. Im August 1965 ertrank Le Corbusier beim Schwimmen nach einem Herzinfarkt.