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Arm und diskriminiert

Viele Roma kommen aus Serbien und Mazedonien nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. Bundesinnenminister Friedrich, CSU, will deshalb die Einreisebestimmungen für Bürger aus diesen Staaten verschärfen. Doch in Mazedonien zum Beispiel haben Roma mit Armut und Diskriminierung zu kämpfen.

Von Ralf Borchard | 24.10.2012
    Eine Hochzeitsgesellschaft zieht zu Trommeln und Blasmusik durch die Straßen von Sutka, dem ärmsten Viertel der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Mit dabei sind Almir aus Düsseldorf und Buzo aus Wuppertal:

    "Ich habe in Düsseldorf eine große Familie, viele Leute… Deinen Bruder … Mein Bruder ist in Deutschland"

    Die beiden sind 21 und haben es geschafft: Sie leben in Deutschland, nicht als Asylbewerber, sondern verheiratet mit Roma-Frauen mit deutschem Pass. In der rund hundertköpfigen Hochzeitsgesellschaft von Sutka sind sie die Stars. Gut gekleidet, coole Sonnenbrillen, sie können von Ausbildungschancen und Jobs erzählen, von denen gleichaltrige Roma hier nur träumen können. Zum Beispiel Ismail, 25, Vater von zwei Kindern, er steht zwischen den Ständen auf dem Markt von Sutka.

    "Wenn Sie mich fragen, warum hier alle weg wollen, um Asyl zu beantragen, ist die Antwort: Es gibt hier keine Arbeit", sagt er.

    "Mein Vater hatte noch das Glück, beim Staat Arbeit zu haben, er konnte uns Kindern noch eine Zukunft geben. Ich kann meinen Kindern nichts Schönes mehr geben. Man bekommt hier 30 Euro Sozialhilfe im Monat. Das reicht nicht mal fürs Essen, erst recht nicht für Medikamente oder ein Schulheft. Wenn die Leute dann hören, dass es in Deutschland 1.300 Euro im Monat für eine Familie gibt, wollen sie natürlich weg."

    Ismail hat vor einem Monat selbst versucht, nach Deutschland zu kommen - nur um Verwandte zu besuchen, wie er sagt - doch schon an der Grenze zu Serbien wurde er mit Frau und Kindern zusammen mit vier anderen Roma-Familien aus dem Bus geholt und zurückgeschickt.

    Der lebhafte Markt von Sutka liegt an der schlaglochgesäumten Hauptstraße des Viertels, zwischen den Autos fahren Mopeds und Pferdekarren, hier hat Ismail gerade einen Aushilfsjob bei einem Händler für umgerechnet 3 Euro 50 am Tag. Zusammen mit dem 29-jährigen Senad:

    "Wir Roma sind nicht nur alle arbeitslos, wir werden insgesamt sehr stark diskriminiert in Mazedonien", sagt er. "Wir müssen uns selbst helfen, die Regierung hier tut nichts für uns."

    "Ein kleines Beispiel für die Diskriminierung", ergänzt der 25-jährige Jahir, "sie lassen uns nicht mal ins öffentliche Schwimmbad hier, nur wegen unserer Hautfarbe."

    In Sutka leben schätzungsweise gut 30.000 Roma. Es gibt an manchen Ecken durchaus stattliche Häuser, gebaut mit Geld, das Rückkehrer oder Verwandte im Ausland verdient haben. Nicht weit vom Markt entfernt aber wohnen die ärmsten Roma-Familien, einen Steinwurf von der großen Müllkippe, wo Kinder nach brauchbaren Essensresten und Altmetall wühlen.

    An einer Straßenecke lässt uns Selma, 47, nach kurzem Zögern einen Blick in ihre Behausung werfen, ein einziger Raum, zwölf Quadratmeter vielleicht, mit Wellblech-Dach, den Raum teilt sie mit ihrer Schwester und vier Kindern. Die beiden Männer sind, nachdem sie die Kinder gezeugt haben, abgehauen, wie sie mit bitterem Lachen erzählt.

    Sie selbst war auch in Deutschland früher, als Flüchtling während der Balkan-Kriege, 1995 wurden sie zurück nach Mazedonien abgeschoben. Jetzt fehlen ihr die Kraft und das Geld, um es noch einmal zu versuchen, woher die rund 200 Euro nehmen, die Schlepperbanden pro Kopf verlangen, um die verschärften Grenzkontrollen nach Serbien zu umgehen und weiter nach Deutschland, Belgien oder in die Schweiz zu kommen. Und das Leben hier in Sutka, gehen ihre Kinder wenigstens in die Schule?

    "Nein …"

    Nein, auch das würde Geld kosten, das sie nicht hat, sagt Selma, für Bücher, für Schuhe und so weiter.
    Welche Hoffnung bleibt da für ihre Kinder?

    "Sie werden wohl nicht lesen und schreiben können und wieder arbeitslos sein, wie ich", sagt die 47-Jährige mit gesenktem Blick. "Ich will natürlich, dass sie in die Schule gehen, aber wann das passieren wird? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht."