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Armut, Prostitution und ein autoritäres Regime

Durch die Nähe zu Somalia und dem Jemen ist Djibouti nicht nur für die USA von großer strategischer Bedeutung. Auch internationales Militär agiert von hier aus im Rahmen der Anti-Piraterie-Mission "Atalanta". Doch 35 Jahre nach seiner Unabhängigkeit ist die ehemalige französische Kolonie kein Vorzeigeland.

Von Benno Müchler | 08.09.2012
    Hoch über dem Roten Meer kreist der deutsche Seefernaufklärer P-3C Orion. Tausend Meter unter der schweren Propellermaschine kreuzt ein kleines Schiff. Das rote Segel bläht sich im Wind. Könnten das vielleicht Piraten sein? Das herauszufinden, ist die Aufgabe der Crew des Seefernaufklärers. Kein leichtes Unterfangen, sagt Luftfahrzeugoperationsbootsmann Björn H. Aus Sicherheitsgründen darf sein Nachname hier nicht genannt werden:

    "Na, zum einen ist es nicht wie in einem Hollywood-Film, dass die Piraten hier ‘ne schwarze Flagge am Schiff festgemacht haben, sondern dass die genauso aussehen wie jeder Fischer auch. Bewaffnet ist hier in diesem Seegebiet jeder. Das heißt an einer Kalaschnikow oder an einem Gewehr kann man hier nicht dran festmachen, dass es ein Pirat ist. Wir nutzen Indizien wie beispielsweise, dass die Leitern oder mehrere Enterhaken an Bord haben."

    Doch die Dau hat weder das eine noch das andere an Deck, so weit sich das von hier oben mit hochauflösenden Kameras erkennen lässt. Seit 2008 beteiligt sich die deutsche Marine an der europäischen Anti-Pirateriemission EU NAVFOR – ATALANTA. Sie soll vor allem die Frachter des Welternährungsprogramms und der Afrikanischen Union auf ihrem Weg nach Somalia schützen. Trotzdem werden immer wieder private Handelsschiffe gekapert. Die Regierung von Djibouti glaubt dennoch daran, dass sich die Piraten irgendwann zurückziehen werden. Auch darauf müsse sie vorbereitet sein, sagt ihr Sprecher, Khaled Haidar:

    "Die Grundlage jedes Staates muss eine gesunde Wirtschaft sein. Dazu gehört eine gute Infrastruktur und wir müssen unser Kapital nutzen. Das sind zuallererst Männer und Frauen von morgen, die ausgebildet werden müssen. Zu unseren Ressourcen gehört auch das Meer und alle mit ihm verbundenen Aktivitäten. Zum Beispiel der Hafen, über den Äthiopien heute 95 Prozent des internationalen Handels abfertigt."

    Aus Sicht der Regierung ist die Zukunft von Djibouti eng mit dem Container-Hafen verbunden. Sie will ihn ausbauen. Bereits 2009 entstand mit der Unterstützung Dubais ein hochmoderner Terminal. Zusätzlich soll das Land fünf weitere Häfen bekommen. Djibouti liegt an der wichtigen Handelsroute zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean, eine Route, wo jährlich rund 60 Prozent aller Handelsschiffe unterwegs sind.

    Die Piraterie ist nicht der einzige Grund, warum ausländische Truppen in Djibouti sind. Die Amerikaner sind seit zehn Jahren hier. Ihr Camp hier ist das einzige amerikanische Feldlager auf afrikanischem Boden. Von hier aus führen sie ihren Kampf gegen den Terrorismus. Auf Djiboutis Flughafen stehen amerikanische Drohnen,vermutlich sind sie häufiger im Luftraum über Jemen im Einsatz – auf der anderen Seite des Roten Meeres.

    Gut eine Stunde vor Djibouti-Stadt in der Wüste liegt Ali Oune, ein 200-Seelendorf aus pilzförmigen, zusammengeschusterten Hütten. Die Temperatur liegt bei 50 Grad. Auf einer Baustelle steht US-Marinesoldat Michael Dorsy im Schatten einer Zeltplane und isst ein Sandwich. Der 23-Jährige Mann aus Chicago macht gerade eine Pause:

    "Es ist sehr heiß hier draußen. Wir arbeiten sehr hart. Wir haben hier keine Küche, deshalb essen wir Dinge wie Sandwiches. Es könnte schlimmer sein. Nach der Arbeit brauchst Du auf jeden Fall nicht mehr ins Fitnessstudio zu gehen."

    Dorsy und fünfzehn seiner Kameraden bauen hier draußen eine Klinik – Teil der amerikanischen Zivilmission am Horn von Afrika, die 20 Länder stabilisieren soll. 80 Millionen Dollar investiert Amerika jährlich in den Bau von Schulen, Krankenhäuser oder Wasserleitungsnetzen. Warum bauen die Amerikaner gerade hier eine Klinik? Das weiß auf der Baustelle niemand. Unklar bleibt auch, ob die djiboutische Armee die Klinik später nutzen soll. Nur 500 Meter weiter steht eine ihrer Kasernen. Allem Anschein nach wissen die amerikanischen Soldaten nicht einmal, was die 200 Nomaden hierher, an diesen gottverlassenen Ort mitten in der Wüste verschlagen hat.

    Eine Dürre, sagen die Dorfbewohner. Vor elf Jahren hatten viele Familien der Gegend dabei ihre Ziegen und Schafe verloren. Danach taten sie sich zusammen um sich an dieser Stelle niederzulassen, denn hier gibt es einen kleinen Brunnen. Jetzt sind sie auf Lebensmittellieferungen internationaler Organisationen angewiesen. Es sei sinnlos, woanders Arbeit zu suchen , sagt Dorfbewohner Ali Jama.

    "Selbst in Djibouti ist es heutzutage schwer, einen Job zu finden. Und wir haben hier auch unser Vieh: Schafe und Kamele, die wir hüten müssen."

    Ein warmer Wind bläst durch die die Innenstadt von Djibouti. Es stinkt. An den Straßen türmt sich Müll. Häuserfassaden bröckeln. Zerzauste Hunde streunen umher. Auf dem Marktplatz verscheuchen Frauen Fliegen von ihren Obst- und Gemüseauslagen. Das Kilo Äpfel kostet umgerechnet 2,20 Euro. Europäische Preise, in Djibouti ist das nichts besonderes. Alles muss importiert werden. Äpfel, Mangos, Weißkohl, Spaghetti. Djibouti stellt fast nichts selber her. Das meiste kommt aus dem ebenso armen Nachbarland Äthiopien.

    Die meisten Djiboutiens sind arbeitslos, 40 Prozent müssen von zwei Dollar pro Tag leben. Der Präsident, Ismaïl Omar Guelleh, regiert das Land mit eiserner Härte und lässt sich gerade seinen schneeweißen Palast vergrößern. Die Opposition beklagt ihr Schicksal. Eine freie Presse gibt es nicht.

    Nach neun Stunden Einsatz fliegt die deutsche P-3C Orion wieder Djibouti an. Das Wasser im Hafenbecken ist türkis. Entlang der Küste sind paradiesische Sandstrände zu erkennen. Nur ein paar hundert Meter weiter liegt schon Balbala, das Elendsviertel von Djibouti. 200.000 Menschen leben dort in Blechbaracken, ein Drittel der gesamten Bevölkerung, die meisten müssen ohne fließendes Wasser und Strom auskommen. Bundeswehr-Soldat Wolfgang T. hat sich an die Armut gewöhnt:

    ""Wenn ich bei uns durch die Fußgängerzone manchmal gehe und da sitzt jemand einfach nur auf ‘ner Decke, stellt ein Schild auf: ‘Ich habe nichts zu Essen. Bitte um eine kleine Spende.’ Da frag’ ich mich immer, muss das in einer G-8-Nation sein. Hier stell’ ich mir die Frage gar nicht. Weil hier seh’ ich das so häufig, dass es schon zum Tagesgeschäft und zum Stadtbild gehört."