Freitag, 29. März 2024

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Artemis Quartett und Elisabeth Leonskaja
Glasklar und präzise

Jahrelang hat das Artemis Quartett gewartet, um Schostakowitschs Klavierquintett mit Elisabeth Leonskaja aufzunehmen. Nun liegt es auf CD vor, kombiniert mit zwei Streichquartetten des russischen Komponisten. Das Warten hat sich gelohnt, meint unser Autor.

Am Mikrofon: Norbert Hornig | 22.04.2019
    Die Musiker des Artemis Quartett sitzen mit ihren Instrumenten roten Sesseln und blicken nach oben, Bild aufgenommen in Vogelperspektive
    Zum letzten Mal ist das Artemis Quartett in dieser Besetzung zu hören, v.l.n.r.: Anthea Kreston (Violine), Vineta Sareika (Violine), Gregor Sigl (Viola) und Eckart Runge (Violoncello) (Nikolaj Lund)
    Seit nunmehr 30 Jahren steht das Artemis Quartett in der Welt der Kammermusik für höchste künstlerische Qualität. Es ist in den Musikzentren der Welt ein gern gesehener Gast und mit vielen herausragenden CD-Aufnahmen auf dem Klassikmarkt vertreten. Sein Jubliäumsjahr feiert das 1989 gegründete Ensemble jetzt mit einer ganz besonderen Aufnahme. Zum ersten Mal legt das Artemis Quartett beim Label Erato eine Einspielung mit Werken von Dmitri Schostakowitsch vor: die Streichquartette Nr. 5 und Nr. 7 sowie das Klavierquintett op.57 zusammen mit der russischen Pianistin Elisabeth Leonskaja. Außerdem handelt es sich um die letzte Aufnahme des Ensembles in der Besetzung mit Vineta Sareika und Anthea Kreston, Violine, Gregor Sigl, Viola sowie Eckart Runge, Violoncello.
    Musik: Dmitri Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 5 B-Dur op. 92, 1. Satz
    In der Welt der Kammermusik gibt es wohl keine künstlerische Verbindung, in der Menschen so intensiv zusammenarbeiten und zusammenleben wie in einer Streichquartett-Formation. Streichquartette sind eingeschworene Gemeinschaften, aus gutem Grund sprechen die Musiker hier manchmal von einer "Ehe zu viert" - die immer auch gefährdet ist. Was passiert wenn man sich plötzlich nicht mehr versteht oder ein langjährig bewährtes Mitglied das Ensemble verlässt, warum auch immer. Einen adäquaten Ersatz zu finden ist mitunter sehr schwierig, manchmal sogar unmöglich. Längst nicht allen Quartetten gelingt es, über viele Jahre hinweg motiviert und ein Team zu bleiben.
    Artemis Quartett schlägt neues Kapitel auf
    Auch das Artemis Quartett hat mehrere Besetzungswechsel hinter sich und musste Krisen bewältigen. Besonders einschneidend war im Jahr 2012 der Wechsel an der ersten Geige, die lange von Natalia Prishepenko gespielt wurde. Ihr folgte Vineta Sareika nach, ebenfalls eine hervorragende Geigerin. Damit änderten sich zwangsläufig auch der Klang und das künstlerische Profil des Ensembles, das aber auch unter der neuen Führung am ersten Pult zielstrebig auf höchstem Niveau weiter musizierte. Mit dem Cellisten Eckart Runge wird in diesem Jahr das letzte Gründungsmitglied das Artemis Quartett verlassen, ebenso die derzeitige zweite Geigerin Anthea Kreston. Ab Juni spielt das Quartett dann in der neuen Besetzung mit Suyoen Kim an der zweiten Geige sowie Harriet Krijgh am Cello. Damit beginnt für das Artemis Quartett ein neues Kapitel seiner Erfolgsgeschichte. Und der aktuellen Schostakowitsch-Aufnahme, die letzte Einspielung in der alten Besetzung, hört man schon mit ein wenig Wehmut zu.
    Musik: Dmitri Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 5 B-Dur op. 92, 3. Satz
    Lang ausgehaltene Töne in den Violinen und der Bratsche, umspielt von melodischen Verzierungen des Cellos - entrückt, wie ein stiller Zauber endet das 5. Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch. Das Artemis Quartett fühlt sich tief ein in diese ätherische Klangwelt, es verliert sich förmlich darin und kreiert eine geradezu meditative Atmosphäre.
    Schroffer, zarter Schostakowitsch
    Mit seinen 15 Streichquartetten, die zur bedeutendsten Kammermusik des 20. Jahrhunderts gehören, schuf Schostakowitsch einen Werkzyklus, der schon bald in einem Atemzug mit den Streichquartetten von Ludwig van Beethoven genannt wurde. Das Artemis Quartett hat für seine Schostakowitsch-Premiere auf CD mit dem 5. und dem 7. Quartett zwei Werke ausgewählt, in denen sich der Komponist von seiner nachdenklichen und manchmal schroffen, aber auch von seiner ganz zarten und poetischen Seite zeigt.
    Rätselhafte Totenklage
    Das in drei Sätzen quasi sinfonisch gestaltete 5. Streichquartett entstand 1952. Ernst, ungestüm und manchmal geradezu verzweifelt klingt dieses Quartett, in dem der Komponist die Initialen seines Namens D-S-C-H als musikalische Signatur hinterließ. Vom 7. Quartett schien das Publikum bei der Uraufführung 1960 in Leningrad ein wenig überfordert gewesen zu sein. Es erschien ihm rätselhaft und nur schwer zugänglich. Für Schostakowitsch war es eine Totenklage, er schrieb das 7. Streichquartett "in memoriam" an seine früh verstorbene erste Frau Nina.
    Musik: Dmitri Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 7 fis-Moll op. 108, 3. Satz
    Intensiv und dynamisch wie klangfarblich höchst differenziert gestaltet das Artemis Quartett diesen Satz aus dem Streichquartett Nr. 7 von Dmitri Schostakowitsch. Er steht beispielhaft für das Spiel der vier Musiker. Hier sind Künstler am Werke, die über eine immense Erfahrung verfügen, die sich nichts mehr beweisen müssen und die nie den reinen Effekt suchen. Vielmehr sind Ruhe und Gelassenheit, gemeinsames Fühlen und Denken in einem Maße ausgeprägt, dass Interpretationen von großer Geschlossenheit und Überredungskraft entstehen.
    Klavierquintett bildet Kern der CD
    Mit der Einspielung des Klavierquintetts von Schostakowitsch erfüllte sich das Artemis Quartett einen lang gehegten Wunsch. Als Gastkünstlerin mit dabei ist die Pianistin Elisabeth Leonskaja, mit der das Artemis Quartett seit Jahren eng zusammenarbeitet. Mit keinem seiner vielen Kammermusikpartner ist das Ensemble häufiger in Konzerten aufgetreten. So kann man das Klavierquintett mit einer Aufführungsdauer von über 30 Minuten auch als das zentrale Werk der CD betrachten, wo es in der Reihenfolge zwischen den beiden Streichquartetten angeordnet ist.
    Markige Artikulation durch Leonskaja
    Das Klavierquintett op. 57 entstand auf Anregung des Beethoven-Quartetts, zusammen mit Schostakowitsch am Klavier spielte es am 23. November 1940 im Moskauer Konservatorium die Uraufführung. Das fünfsätzig angelegte Werk beginnt im Klavier mit einem markigen Präludium, das die motivische Grundsubstanz des Werkes vorstellt und den ganz klaren, antiromantischen Charakter der Musik umreißt. Elisabeth Leonskaja artikuliert diesen Beginn mit großer Deutlichkeit, in schwelgend lyrischem Ton folgt dann der Einsatz der Streicher.
    Musik: Dmitri Schostakowitsch, Klavierquintett g-Moll op. 57, 1. Satz
    Es ist faszinierend, welche Vielfalt an musikalischen Gestalten und Emotionen Schostakowitsch auch in sein Klavierquintett einbrachte. Nicht ohne Grund ist das Stück eines seiner populärsten Kammermusikwerke. Nach dem langsamen 2. Satz folgt ein quicklebendiges Scherzo, das Elisabeth Leonskaja und das Artemis Quartett mit Uhrwerkpräzision und mitreißender Spielfreude angehen.
    Musik: Dmitri Schostakowitsch, Klavierquintett g-Moll op. 57, 3. Satz
    Das Artemis Quartett und die Pianistin Elisabeth Leonskaja sind ein perfekt aufeinander eingespieltes Team. Ihr häufiges gemeinsames Konzertieren und der der damit verbundene Erfahrungshorizont sind ganz offensichtlich in diese Aufnahme eingegangen. Das nahtlos funktionierende Zusammenspiel, das Atmen und Gestalten musikalischer Phrasen und Abläufe geschieht mit traumwandlerischer Sicherheit. Am Ende bleibt der Hörer gebannt zurück, mit dem Gefühl: ja, so sollte es klingen und nicht anders. Dass die Aufnahme einen durchweg überzeugenden Eindruck hinterlässt, ist auch dem transparenten, immer gut durchhörbarem und ausbalanciertem Klangbild zu verdanken.
    Musik: Dmitri Schostakowitsch, Klavierquintett g-Moll op. 57, 5. Satz
    Sanftmütig und gelassen endet das Klavierquintett op. 57 von Dmitri Schostakowitsch. Mit den Streichquartetten Nr. 5 und Nr.7 gehört es zum Programm der neuen CD des Artemis Quartetts. Den Klavierpart spielt Elisabeth Leonskaja. Damit erfüllte sich das Artemis Quartett einen lang gehegten Wunsch, dieses Werk mit der russischen Pianistin aufzunehmen.
    Diese letzte CD des Artemis Quartetts in der alten Besetzung mit Vineta Sareika und Anthea Kreston, Violine, Gregor Sigl, Viola und Eckart Runge, Violoncello, ist beim Label Erato erschienen.
    Dmitri Schostakowitsch
    Streichquartette Nr. 5 und Nr. 7
    Klavierquintett g-Moll op. 57
    Elisabeth Leonskaja, Klavier
    Artemis Quartett
    Label: Erato