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Artenvielfalt im Tropenwald schwindet dramatisch

Über das brasilianische Amazonasgebiet brach im letzten Jahr die schlimmste Dürre seit vier Jahrzehnten herbei. Eine der Ursachen ist wohl die fortschreitende Abholzung der Regenwälder, die das globale Klima verändert. In den Tropen sind die Auswirkungen besonders dramatisch.

Von Anke Petermann |
    Durch die Verinselung der einst zusammenhängenden Waldgebiete wurden die Böden und die genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt bereits so geschädigt, dass sie extreme Wetterlagen schlechter kompensieren können. Das ist ein Thema auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Tropenökologie. 250 Experten aus aller Welt diskutieren bis Freitag in Kaiserslautern, wie der Raubbau an tropischen Wäldern zu stoppen ist.

    10 Millionen Hektar Regenwald werden pro Jahr weltweit abgeholzt, um Acker- und Weideflächen zu gewinnen, Straßen zu bauen oder Erdölquellen zu erschließen - 10 Millionen Fußballfelder jährlich. Immer größere Schneisen zerteilen Waldgebiete, die früher zusammenhingen. Als isolierte Ökosysteme verändern sie ihr Gesicht - das fand der Tropenökologe Rodolfo Dirzo von der Stanford University heraus, indem er schrumpfende Wälder im mexikanischen Bundesstaat Veracruz erforschte. Zunehmend beobachtet er:

    "Das Syndrom des leeren Waldes. Der Wald sieht gut aus, also das Grün darin, aber es sind keine Tier mehr da. Der springende Punkt ist: Wenn keine Tiere mehr da sind, verändert sich anderes auch, zum Beispiel die Vielfalt in der Pflanzengesellschaft."

    Die Vielfalt nämlich nehme ab, wenn Affen, Tapire und Pekaris nicht mehr die Samen verteilten, dominante Pflanzen niedertrampelten und damit unter Kontrolle hielten. Nicht nur der Verlust großer Waldflächen sei deshalb verheerend für das Ökosystem, sondern auch die zunehmende Fragmentierung des Waldes.

    "Wenn wir kleine Waldflächen verlieren, verlieren wir vielleicht keine Arten, die können anderswo überleben. Aber die lokalen Populationen verschwinden. Und das ist in meinen Augen der dramatische Pulsschlag des Aussterbens."

    Ein Raubbau, der vor allem auf das Konto der Holzwirtschaft und des explodierenden Sojabohnen-Anbaus geht - Soja, das als Viehfutter nach China und Europa exportiert wird. "Es gibt bislang keine an das jeweilige Klima und Ökosystem angepassten Nutzungssysteme in den Tropen, die langfristig Ernten sichern, ohne dass man dafür viel investieren muss", sagt Karl-Eduard Linsenmair, Präsident der Gesellschaft für Tropenökologie. Traditionelle Ansätze einheimischer Völker würden zunehmend verdrängt.

    "Es gibt zum Beispiel die berühmten Baumgärten im südostasiatischen Bereich, im indonesischen Bereich vor allem, die über sehr lange Zeit indem sie Waldsysteme in ihrer Struktur nachahmen - man hat große, kleine mittlere Bäume, man hat freie Flächen und all diese ist eine Simulation im kleinen Maßstab eines tatsächlichen Waldes. Das sind Systeme, die langfristig nutzbar sind. Jetzt ist natürlich das Problem, dass überall Intensivlandwirtschaft betrieben wird, und da haben wir unsere Methoden exportiert, die dort in kürzester Frist, in vielen Fällen in zwei, drei Jahren zur völligen Erschöpfung der Böden führen."

    Alte, gut funktionierende Nutzungsmethoden seien immer extensiv. Und damit nicht eingerichtet auf das rasante Bevölkerungswachstum in den Tropen und schon gar nicht auf riesige Viehfutter-Exporte. Hoffnungsvolle Ansätze erkennt Linsenmair in einer nachhaltigen Holzwirtschaft, wie sie zum Beispiel der Forest Stewardship Council zertifiziert, eine internationale auch von Umweltverbänden mit getragene Organisation. Ein Rat der Tropenökologen an Verbraucher hierzulande lautet daher, nur Holz, Möbel und Papier mit dem FSC-Garantiesiegel zu kaufen. Ein weiterer ist, Biofleisch und Biomilchprodukte zu konsumieren - Ökobauern greifen nämlich auf hiesige Futterpflanzen zurück. Der Präsident der Gesellschaft für Tropenökologie klagt Politik und Wirtschaft an:

    "Wir haben Milliarden aus den Tropenwäldern rausgeholt und geben nicht ein paar Millionen aus, um irgendwo vernünftige Versuchsgebiete anzulegen, wo wirklich mal probiert wird, was man einem Wald antun kann, ohne ihn auf längere Sicht zu zerstören, und was nicht. Unsere Forschungspolitik auf dem Gebiet ist sehr, sehr schlecht – kurzfristige Projekte, die niemals erlauben, einen Wald zu verstehen."