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Arthur Millers Klassiker am New Yorker Broadway

"Der Tod eines Handlungsreisenden" von Arthur Miller ist ein Klassiker des amerikanischen Theaters und des Broadways. Im Publikum bei der Uraufführung saß damals Mike Nichols – der heute ebenfalls, wenn man so will, ein Klassiker des amerikanischen Theaters und Filmbetriebs ist. Er hat das Stück jetzt am Broadway neu inszeniert.

Von Andreas Robertz | 24.03.2012
    Und da steht er im neblig blauen Licht der Nacht mit zwei schweren Koffern, den Hut tief ins Gesicht gezogen. Langsam überquert er die Bühne, begleitet von traurig schöner Musik wie aus einem lang vergessenen Film. Willy Loman, der müde Handlungsreisende, ist der amerikanische Archetyp des Antihelden. Als wäre er aus dem Nebel wiederauferstanden, steht er nun plötzlich da, unvergessen, als hätte Arthur Miller mit ihm einen verfluchten Geist erschaffen, der keine Ruhe finden kann. So beginnt Arthur Millers "Death of a Salesman" in der vierten Broadway Neuinszenierung seit der Premiere 1949. Die Regie führt Mike Nichols, ein Altmeister des Broadways und Hollywoods. Mit Filmen wie "Who is afraid of Virginia Woolf" mit Richard Burton und Elisabeth Taylor, "The Graduate" mit Dustin Hoffman oder zuletzt "Charlie Wilson's War" mit Tom Hanks und Philipp Seymour Hoffman gehört Nichols zu einem der wenigen amerikanischen Regisseure, die ebenso erfolgreich am Theater wie im Film arbeiten und das seit mehr als fünf Jahrzehnten. Auch der Anfang seiner Inszenierung spricht ganz die filmische Sprache. Nichols forscht in seiner Inszenierung nach den Ursprüngen. Er lässt das Bühnenbild, das Skelett eines Hauses, in dem man alle Räume immer gleichzeitig sehen kann, nach den Originalentwürfen von Jo Mielziner aus der Uraufführung von 1949 unter der Regie von Elia Kazan nachbauen und benutzt die Originalmusik von Alex Roth. In einem Interview in der New York Times beschreibt er, dass er "ganz zurückgehen wollte", herausbekommen, was der ursprüngliche Impuls war, dieses Stück zu machen. Und obwohl die Ästhetik durchaus nach 60 Jahren noch funktioniert, wird man den Eindruck nicht los, die Chance, mit dem Stoff neue Wege zu gehen, sei verpasst. Damit liegt natürlich die gesamte Aufmerksamkeit auf dem Ensemble und vornehmlich auf Philip Seymour Hoffman, der Willy Loman spielt.

    Der erst 44 Jahre alte Hoffman, bekannt durch seine intensiven Charakterstudien und kompromisslosen Figurendarstellungen, spielt Willy Loman nicht müde vom Alter, sondern müde von Allem, vor allem aber vom Denken. Immer wieder scheint es so, als meißele er seine Sätze wie eine Skulptur vor sich hin, um sie zu beobachten, zu verwerfen, neu zu formulieren. Sein Loman ist ein kalter, unangenehmer, brutaler Mann. In den Auseinandersetzungen mit seinem Sohn Biff und seinem Vorgesetzten Howard brüllt er wie ein verletzter Stier und wird schnell handgreiflich. Dann wieder wirkt er in seiner Gedankenverlorenheit völlig unberührbar, murmelt den Text in sich hinein, als wolle er nur seinen inneren Widerhall hören. Nur in den Erinnerungen, vor allem wenn sie sich um Bruder Ben drehen, zeigt sich eine leichtere Seite, ein Gefühl von Aufbruch vielleicht.

    Linda Emond spielt Linda Loman wie eine Ehefrau, deren Mann Krebs hat und der, koste es was es wolle, vor jeder Form von Ärger weggehalten werden muss. Diesem unterwürfigen, fast suchtartigem Verhalten stellt sie am Ende am Grab von Willy ein fast grimmiges "Wir sind frei" entgegen und meint damit weit mehr, als die Tatsache, dass ihr Haus endlich abgezahlt ist. Andrew Garfild, der, seit er in "The Social Network" Mark Zuckerbergs Freund Eduardo gespielt hat, zu einem begehrten jungen Schauspieler geworden ist, spielt Biff so, wie wir es erwarten: Rebellisch, verwirrt, voller Zorn und Scham. Doch gelingt es ihm leider nicht, in dieser doch sehr traditionellen Inszenierung etwas Eigenes für sich zu finden. Und neben dem brüllenden und übermächtigen Hoffman ist das zugegebenermaßen auch sehr schwer. Doch auch Hoffman selbst lässt uns nicht wirklich an seinem Willy Loman teilnehmen, so intensiv und interessant er ihn auch spielt. Man sieht das überragende Monument, aber spürt den Menschen nicht dahinter. Am Ende beschreibt Lindas Geständnis an Willys Grab, keine Träne für ihn zu haben, durchaus die Wahrheit. Dieser Mann war ein egozentrischer Tyrann, der jeden und alles mit seinen Träumen erstickt hat.

    Das Publikum feiert den Abend und vor allem Philip Seymour Hoffman begeistert mit Standing Ovations, doch vielleicht mehr in dem Wissen, soeben großes Theater gesehen zu haben, als es tatsächlich auch erfahren zu haben.