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Arznei vom Schnell-Grill

Medizin. - Krankheitserreger setzen vor allem auf zwei Angriffsstrategien: Entweder sie greifen in einer Blitzattacke an oder unterwandern versteckt das Immunsystem. Berliner Forscher entdeckten jetzt neue verblüffende Tricks der getarnten Schläfer.

Von Volkart Wildermuth |
    Helicobacter pylori lebt an einem ausgesprochen unwirtlichen Ort: dem menschlichen Magen. Das schraubenförmige Bakterium mit den langen Propellerfäden ist in der Lage, die Magensäure in seiner Umgebung zu neutralisieren und sich so im Magen zu etablieren, ein Coup, den Mediziner noch vor einigen Jahren für unmöglich gehalten hatten. Über Jahre verläuft die Infektion völlig symptomfrei, auf Dauer aber entsteht ein Geschwür, in seltenen Fällen sogar ein Magenkrebs. Dafür ist nicht der Keim selbst verantwortlich, sondern die Entzündungsreaktion, die er auslöst. Bei seinen erfolglosen Versuchen, den Eindringling hinaus zu werfen, schädigt das Immunsystem letztlich den eigenen Körper. So gesehen ist es im Interesse beider Seiten, Frieden zu bewahren, weder die Infektion noch die Immunantwort außer Kontrolle geraten zu lassen. Wie dieses Gleichgewicht ausgehandelt wird, hat der russische Forscher Dr. Yuri Churin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin untersucht. Im Zentrum steht ein Molekül, das in Bakterien eigentlich gar nichts zu suchen hat: das Cholesterin.

    "Helicobacter infiziert menschliche Zellen und nach einiger Zeit sehen wir, dass Cholesterin - was die Membran der menschlichen Zellen war - einfach auf Helicobacter übergeht."

    Warum, weiß keiner so genau, vielleicht ist es schlicht billiger, sich die Bausteine für die Zellhülle zu stibitzen, als sie selbst zu produzieren. In jedem Fall kann das Bakterium ohne Cholesterin nicht existieren. Im Magen ist sein Tisch reich gedeckt, schließlich findet sich in jeder menschlichen Zelle Cholesterin. Sich hier einfach zu bedienen, ist für Helicobacter aber nicht ohne Risiko. Nimmt das Bakterium zuviel Cholesterin auf, ruft es das Abwehrsystem auf den Plan.

    "Ja, das ist dann gefährlich für Helicobacter, zuviel Cholesterin zu haben. Erstes entscheidendes Experiment war, dass wir Helicobacter mit großen Mengen von Cholesterol behandelt haben und gesehen, dass die Fresszellen Helicobacter aufnehmen und töten."

    Hält Yuri Churin die Bakterien dagegen im Labor kurz und gibt ihnen nur das notwendigste Cholesterin, werden sie vom Immunsystem ignoriert. Im Magen könnte der Keim also einfach Diät halten. Dann wäre er zwar in Sicherheit, aber keinen Schritt weiter, schließlich benötigt er das Cholesterin, um sich zu vermehren. Aus dieser Sackgasse hat ein Vorfahr von Helicobacter einen Ausweg entdeckt. Der Erreger nutzt weiterhin das menschliche Cholesterin für seine Membran, aber er verknüpft es schnell mit einem Zucker. Er setzt ihm sozusagen eine Tarnkappe auf, denn das Zuckercholesterin ist für die Abwehrzellen unsichtbar. Nun herrscht ein Gleichgewicht der Kräfte. Das Bakterium kann dauerhaft im Magen schmarotzen und wird die meiste Zeit vom Immunsystem ignoriert. Yuri Churin hat nun untersucht, ob man dieses Gleichgewicht von außen beeinflussen und so das Bakterium vertreiben kann. Dazu hat er Mäusen entweder eine Art "Burger-Diät" gefüttert oder ihnen Cholesterin freie Nahrung vorgesetzt und beide Gruppe nach einer Weile mit Helicobacter infiziert.

    "Nach zwei Wochen es gibt noch keinen Unterschied, aber nach längerer Zeit haben wir festgestellt, dass Helicobacter-Kolonisierung von Mäusen, die ganz viel Cholesterol haben, ganz stark reduziert wird. Aber es gibt noch eine Besonderheit von dieser Infektion, dass die Helicobacter-Kolonisierung zwar runtergeht, aber die Mägen von diesen Mäusen sind stark entzündet."

    Wenn Dank der "Burger-Diät" viel Cholesterin im Magen landet, baut Helicobacter auch viel in seine Membran ein. Das Bakterium schafft es aber nicht, das Cholesterin rechtzeitig mit dem Zucker der Tarnkappe zu verknüpfen. Das Immunsystem beseitigt den Keim, allerdings um den Preis einer Entzündung, die ihrerseits zumindest kurzfristig den Magen schädigt. Es sieht so aus, als ob Fast Food hier einmal doch einen gesundheitlichen Vorteil bietet und sozusagen mit einer Cholesterin-Kur Helicobacter das Leben schwer macht. Doch wer jetzt Burger auf Rezept fordert, sollte überlegen, ob er bereit ist einen dicken Bauch in Kauf zu nehmen, nur um einen keimfreien Magen zu erhalten.