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Asymmetrie aus dem All

Biochemie. - Die rechts drehende Milchsäure im Joghurt ist nur ein Beispiel: Viele Naturstoffe kommen in zwei Varianten vor, deren Moleküle aussehen wie ein Bild und sein Spiegelbild. Auch der Mensch besteht überwiegend aus solchen asymmetrischen Bausteinen, etwa den Aminosäuren. Nur eine der beiden möglichen Formen wird in Eiweißmoleküle eingebaut. Warum aber ist vieles, das mit dem Leben zu tun hat, asymmetrisch aufgebaut? Eine internationale Forschergruppe sagt: Das Licht im Weltall ist schuld und die Asymmetrie ist mit Meteoriten auf die Erde gekommen.

Von Hellmuth Nordwig |
    Nicht alle Meteoriten hinterlassen Kilometer große Einschlagkrater wie das Nördlinger Ries in Schwaben. Die meisten Geschosse aus dem Weltall sind so klein, dass sie unbemerkt bleiben. Doch alle Mikrometeoriten eines Jahres zusammen genommen wiegen immerhin 20.000 Tonnen - Materie, die aus dem Weltraum zu uns kommt.

    " In einer bestimmten Art dieser kosmischen Körper, den so genannten kohligen Meteoriten, sind Aminosäuren enthalten. Und es gibt dabei einen Überschuss von einer der beiden Formen, in denen Aminosäuren vorkommen können."

    sagt André Brack, Professor an der Universität Orléans in Frankreich. Aminosäuren gibt es in zweierlei Gestalt, und genau wie die linke und die rechte Hand sind sie Bild und Spiegelbild. Stellt man Aminosäuren chemisch her, so entsteht ein Gemisch dieser beiden Formen. Die Natur nutzt aber nur eine davon, nämlich die linkshändige, um sie in Eiweißmoleküle einzubauen.

    " Wir müssen also erklären, warum nur die linkshändige Form vorkommt, was also der Ursprung dieser Asymmetrie in der Natur ist. Denn die ist eine Voraussetzung des Lebens: Versuche haben gezeigt, dass Leben nicht möglich ist, wenn die Zellen eine Mischung der beiden spiegelbildlichen Formen verwenden."

    Jüngste Versuche haben nun gezeigt, dass die linkshändigen Aminosäuren unter den Bedingungen der Weltraumstrahlung entstehen. Ein großer Anteil des Lichts im Kosmos ist nämlich selbst asymmetrisch. Seine elektromagnetischen Wellen schwingen sozusagen einem Schraubengewinde entlang - und zwar entweder links- oder rechtsherum. Die Fachleute sprechen von einem zirkular polarisierten Licht. Und diese Weltraumstrahlung haben die Forscher nun auf der Erde erzeugt, im Synchrotron Soleil in Frankreich.

    " Wir haben ein Eins-zu-eins-Gemisch von Aminosäuren dieser zirkular polarisierten Strahlung ausgesetzt,"

    sagt Dr. Uwe Meierhenrich von der Universität Nizza, der ebenfalls an den Versuchen beteiligt war,

    "und zu unserer Überraschung ist das eine kaputt gegangen, das nennt sich photolysiert, und das andere ist entstanden. Wir sind also in der Lage, mit Hilfe des zirkular polarisierten Lichts in den Aminosäuren, die zunächst symmetrisch sind, eine Asymmetrie zu induzieren. "

    Um die Weltraumbedingungen so genau wie möglich nachzustellen, haben die Wissenschaftler mit Kristallen von Aminosäuren gearbeitet. Denn es gibt im All kein Wasser, in dem sie gelöst sein könnten. Unter dem Einfluss der asymmetrischen Lichtstrahlung verwandelten sich zwar viele rechts- in linkshändige Moleküle; das heißt aber nicht, dass ausschließlich die linkshändige Form übrig geblieben wäre. Genau genommen, lag sie nach der Bestrahlung nur in einem Überschuss von 2,6 Prozent vor. Doch dieser geringe Vorsprung könnte den linkshändigen Aminosäuren ausgereicht haben, um nach und nach auch ihre Spiegelbilder umzuwandeln.

    " Man glaubt heute, dass beim Ursprung lebender Systeme viele autokatalytische Reaktionen beteiligt waren. Und derartige Reaktionen sind einfach in der Lage, aus einem relativ kleinen Überschuss von 2,6 Prozent einen Überschuss von 100 Prozent zu produzieren. "

    Das könnte erklären, warum in den natürlichen Eiweißmolekülen nur eine der beiden Spiegelbildformen vorkommt. Beweisen lässt sich diese Erklärung natürlich nicht. Um die Hinweise aber weiter zu verdichten, plant André Brack eine weitere Versuchsreihe:

    " In unseren Experimenten haben wir versucht, die Zerstörung einer der beiden Formen durch Licht nachzuahmen. Das ist aber nicht sehr produktiv. Wir wollen deshalb sehen, ob es auch eine asymmetrische Synthese unter Weltraumbedingungen gibt. Unser Plan ist, alle Bausteine für die Aminosäuren bereitzustellen und sie der polarisierten Strahlung im Synchrotron auszusetzen. So hoffen wir, dass von vornherein die Asymmetrie entsteht."