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Atheismus
Immer wieder sonntags

Vor zwei Jahren wurde der deutsche Ableger der Sunday Assembly in Hamburg gegründet. Unter diesem Namen trifft sich eine bekennend säkulare Gemeinde. Es gibt Musik, Lesungen und gemeinsames Schweigen. Die Kirche ohne Gott hat dieselben Probleme wie die mit Gott: Das Publikumsinteresse lässt nach.

Von Arne Schulz |
    Fröhliche Menschen feiern mit erhohenen Händen.
    Die Hände zum Himmel - auch wenn der leer sein sollte bei der Kirche ohne Gott. (dpa / picture alliance / Uwe Zucchi)
    "Wir sind heute hier, um das Leben zu feiern. Wir vergessen leider viel zu oft, das Leben zu feiern. Und es ist so toll, dass wir da sind, dass wir überhaupt existieren. Unser Motto ist: Lebe besser, hilf oft und staune öfter." Es ist ein heißer Spätsommertag im Herzen St. Paulis. In einem autonomen Kulturzentrum in der Sternstraße hat sich die "Gemeinde", von den Stühlen erhoben: Kreisende Hüften, schnipsende Finger und Stimmen, die nach der passenden Tonlage suchen.
    Der Ablauf ist immer derselbe. Die beiden Erfinder aus London, die Komiker Sanderson Jones und Pippa Evans, haben ihn fest vorgegeben. Es gibt unter anderem eine Lesung, einen Vortrag, Zeit für eine stille Reflexion. Aber vor allem viel Musik. Viele der Elemente erinnern an einen christlichen Gottesdienst.
    "Wir feiern das Leben in allen Facetten und lassen uns von keinen Gesetzen begrenzen"
    "Es unterscheidet sich von daher, dass wir keine Dogmen haben. Wir feiern das Leben in allen Facetten und lassen uns von keinen Gesetzen in irgendeiner Form begrenzen", sagt Christina Kruse, die Gastgeberin heute. Oder wie man hier sagt: der "Host".
    "Acht Leute sind wir im Organisationsteam, heute bin ich der Host. Darf ich der Host sein. Wir machen das mit voller Begeisterung."
    Von der Gründung der Sonntagsversammlung in Hamburg las Christina Kruse in der Zeitung. Sie kam dann zum nächsten Treffen. Seitdem hat sie kaum eines ausgelassen:
    "Wir finden neue Kontakte. Wir haben vielleicht sogar jemanden, der gerade einen Job anzubieten hat. Oder wir haben Kummer und können mit jemandem reden. Und alles, was sonst eine Gemeinschaft kirchlicher Art ausmacht und warum Leute auch dorthin gehen, das können wir als Sunday Assembly ohne Dogmen anbieten!"
    Zwei Jahre nach der Gründung kommen nur noch wenige zu den Assemblies
    Jede "Assembly" hat ein Thema: Freundschaft, Mitgefühl, Zukunft, Zeit, Logik. Heute ist es Energie. Das ist nicht etwa esoterisch gemeint - es geht um Stromerzeugung.
    "Das Buch ist aus dem Jahr 1977. Also wirklich schon eine ganze Weile her, dass das geschrieben wurde. Aber ich denke einiges gilt immer noch: 'Der sanfte Weg'."
    Eine Frau liest aus einem Buch zur Antiatomkraftbewegung. Auf ihrem Namensschild steht: Martina. Man ist hier per Du.
    "Dennoch wird niemand abstreiten, dass diese politische Kraft, die in keines der bisherigen Denkschemen passt, überall dort, wo sie auftrat, schon starke Wirkung erzielt hat."
    Jeder der will, darf etwas vortragen. Und jeder kann sich auch ehrenamtlich an der Organisation beteiligen. Bei den Versammlungen wandert eine Spendenbox durch die Stuhlreihen. Das Geld reicht knapp, um die Kosten für Miete, Kaffee und Kuchen zu decken. Für mehr nicht. Denn zwei Jahre nach der Gründung kommen nur noch wenige zu den Assemblies: Am Anfang waren es mehr als 100 Menschen, mittlerweile sind es nur noch 40. Heute bei dem guten Wetter gerade mal 20.
    Eine Kirche für Atheisten
    Fast vier Jahre ist es nun her, dass Sanderson Jones und Pippa Evans mit der Verwirklichung ihrer Vision begannen. Eine weltweite säkulare Gemeinschaft wollten sie gründen, eine Kirche für Atheisten. Zu den Versammlungen in London kamen schon bald mehrere hundert Menschen. Die Gründer wollten noch mehr. In Internetvideos warben sie weltweit um neue Mitglieder. Das Ergebnis bis heute sind mehr als 70 Assemblies in 8 Ländern. Das jedenfalls behaupten Jones und Evans.
    Sucht man nach Veranstaltungen der lokalen Gruppen auf Facebook, findet man ein paar sehr aktive Gemeinschaften. Es scheint allerdings, als würden sich viele Gruppen nur unregelmäßig oder gar nicht mehr treffen. Auch die Sunday Assembly in Berlin hat sich inzwischen aufgelöst.
    "Es kamen immer neue Leute, weil das einfach neu und interessant war. Aber es kamen auch viele nicht wieder, obwohl wir uns bemüht haben", erzählt Mitorganisator Frank Spade. Eine Abschiedsveranstaltung werde es noch geben, dann sei Schluss:
    "Diese englischen Lieder und das Aufstehen und Mitsingen und die Meditation, auch wenn es nur eine Minute war, das hat die Leute irgendwie nicht angesprochen. Und da kann man nichts machen."
    "Eine selbsttragende Konstruktion, die erstmal einfach funktioniert"
    Hamburg ist nun die einzige deutsche Stadt mit einer Sunday Assembly. Im Kulturzentrum in St. Pauli ist der offizielle Teil fast vorbei. Gleich gibt es Kaffee und Kuchen, vorher noch eine Ankündigung: In vier Wochen, sagt Christina Kruse, finde die nächste Versammlung statt:
    "Wieder hier, um 14:00 Uhr. Sagt so vielen Leuten wie möglich Bescheid, damit der Kreis größer wird!"
    Droht auch in Hamburg das Ende, weil der Kreis zuletzt immer kleiner wurde? Christian, Sänger und Gitarrist der Band, widerspricht:
    "Ich mach das in erster Linie, weil es mir Spaß bringt. Und wenn es dann anderen Leuten auch Spaß bringt, umso besser. Aber es ist nicht so, dass ich hier arbeite und denke: 'Och, jetzt waren hier wieder nur 20 Leute, lohnt sich das noch?' oder sowas. Die Frage stellt sich so nicht und das scheint für die anderen auch so zu gelten. Insofern ist das so eine selbsttragende Konstruktion die erstmal einfach funktioniert."
    "Das Gefühl, nicht ganz allein zu sein auf der Welt"
    Eine Konstruktion, die von einem kleinen, aber stabilen Fundament getragen wird. Von Menschen wie Martina, die fast jedes Mal herkommt:
    "Wenn man eben nicht an Gott und an die alten Geschichten glaubt, hat man ja im Grunde keinen Anlass, sich mit Leuten zu treffen, irgendwelche Werte-Diskussionen zu führen. Und, ja, ich finde das eine gute Alternative."
    Ein paar mehr Leute bei den Treffen wären schon gut, findet Daniel. Aber auch die kleine Gemeinschaft sei für ihn etwas sehr Wertvolles:
    "Über die Vorträge, über die netten Gespräche, allein dadurch, dass man hier nette Leute trifft, hat man das Gefühl, nicht ganz allein zu sein auf der Welt. Das ist meine Empfindung."
    Daniel holt eine Mundharmonika aus seiner Jackentasche, Christian greift nach seiner Gitarre. Noch ein bisschen improvisieren, danach geht es nach Hause. In vier Wochen sehen sie sich wieder.