Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Atom-U-Boot "Nautilus"
Strahlendes Meer-Ungeheuer

Im Kalten Krieg zählten sie zu den mächtigsten Werkzeugen der nuklearen Abschreckung: Atom-U-Boote konnten Raketen mit nuklearen Sprengsätzen auf Feindesland abfeuern. Vor 60 Jahren lief das erste Atom-U-Boot, die US-amerikanische Nautilus, vom Stapel.

Von Frank Grotelüschen | 21.01.2014
    Die frühen 50er Jahre. Mit strahlendem Optimismus schauten die USA in die Zukunft. Gerade waren sie im Begriff, eine neue Energiequelle zu erschließen, scheinbar mächtig und unversiegbar – die Atomkraft. Und zwar nicht nur für Kernkraftwerke, sondern auch als Antrieb für Lokomotiven, Schiffe und Flugzeuge.
    Eine Revolution zu Lande, zu Wasser und zur Luft. So sah es nicht nur die US-Propaganda. Das meinte auch Präsident Harry Truman, als er im Juni 1952 mit feierlicher Ansprache die Nautilus auf Kiel legte – das erste Atom-U-Boot der Welt.
    "Der Tag, an dem die Schrauben dieses neuen Unterseebootes zum ersten Mal das Wasser zerteilen und es vorantreiben, wird der erhebendste Tag der Atomwissenschaft sein, seitdem der erste Blitz vor sieben Jahren in der Wüste aufleuchtete. Damals wussten wir, dass wir eine Bombe für den Krieg hatten. Nun werden wir eine Kraftanlage für den Frieden haben."
    Nur anderthalb Jahre später, am 21. Januar 1954, war die Nautilus bereit für den Stapellauf. Damals ein Weltereignis, auch für deutsche Reporter.
    "Eben ist die First Lady, Mrs. Eisenhower, an den Bug getreten. Soeben wird ihr die Champagnerflasche überreicht. Und nun tritt sie an das Boot, hebt die Champagnerflasche …"
    In den Augen der Zeitgenossen ein technisches Wunderwerk. Mit ihrer Länge von fast hundert Metern war die Nautilus das bis dato größte U-Boot der Welt. Und:
    "Das Bemerkenswerte an diesem schwimmenden Atom-Laboratorium ist natürlich der Reaktor oder Atommeiler, der wie eine Turbine die Schiffsschraube treibt."
    Der Reaktor brachte die Nautilus auf eine Rekordgeschwindigkeit von 23 Knoten, das sind 43 Stundenkilometer. Das Wichtigste aber war für die Militärs wie Kapitän Eugene Wilkinson etwas anderes:
    "Wir fahren nicht nur schneller, sondern tauchen tiefer. Und mit dem atomaren Antrieb können wir praktisch unbegrenzt unter Wasser bleiben."
    Tauchgang unter den Nordpol
    Mit nur vier Kilogramm Uran an Bord konnte die Nautilus eine Strecke von 62.000 Seemeilen zurücklegen. Damit war die maritime Kriegsführung auf den Kopf gestellt. Anders als konventionelle U-Boote musste die Nautilus nicht mehr regelmäßig auftauchen und konnte damit weder per Radar noch von Flugzeugen aufgespürt werden. Als die Sowjetunion im Oktober 1957 mit Sputnik den ersten Satelliten ins All schoss, waren die USA geschockt. Ihre technologische und militärische Überlegenheit war infrage gestellt. Um die Scharte auszuwetzen, gab die US-Regierung Order für eine prestigeträchtige Revanche. Als erstes U-Boot überhaupt sollte die Nautilus unter dem Kommando von Kapitän William Anderson den Nordpol unterqueren.
    100 Meter unter der Eisdecke fuhr die Nautilus durch eine bizarre Welt aus schroffen Unterwassergebirgen und grotesken Eisgebilden. Schließlich vermeldete Anderson den Vollzug.
    "Für die Vereinigten Staaten und die amerikanische Marine haben wir am Sonntag, dem 3. August 1958 um 23:15 Uhr amerikanischer Sommerzeit den Nordpol erreicht."
    Es war Balsam für die vom Sputnik-Schock verletzte Volksseele. Aber es war auch handfestes politisches Kalkül. Denn mit der Nordpol-Unterquerung hatten die USA bewiesen, dass sie jederzeit und unbemerkt im Hinterhof der Sowjets auftauchen konnten – was die Vorwarnzeit vor einem Nuklearangriff deutlich verkürzte.
    Zwar hatte die Nautilus selbst keine atomare Bewaffnung an Bord. Doch schon Ende 1959 stellte die US-Marine das erste Atom-U-Boot mit Nuklear-Sprengköpfen in Dienst. Damit setzte ein maritimes Wettrüsten ein. Die Sowjets zogen nach. Und heute verfügen auch Frankreich, Großbritannien, China und Indien über Atom-U-Boote. Die Nautilus wurde 1980 außer Dienst gestellt. Seitdem ist sie im Hafenstädtchen Groton im US-Bundesstaat Connecticut zu besichtigen – genau an jenem Ort, wo sie vor 60 Jahren vom Stapel gelaufen war.