"Zuerst habe ich mich gefragt, ob da nicht vielleicht ein Fehler vorliegt. Man hat mir versichert, dass es kein Fragezeichen geben wird. Anschließend habe ich mich gefragt, ob wir tatsächlich in Frankreich sind, in den Räumen des französischen Parlamentes. ... Aber nein, ich träume nicht, diese Kolloqium findet statt."
Nach dem Anfang vom Ende in Deutschland, wird der Atomausstieg also sogar in Frankreich auf höchster Ebene öffentlich andiskutiert. Von einer politischen Entscheidung in dieser Frage ist man allerdings noch meilenweit entfernt - darüber sind sich Atombefürworter und -Gegner einig. Aber immerhin. François Roussely, Präsident des staatlichen Strombetreibers EDF und damit Herr über 58 Atomkraftwerke ist bereit, sich der Frage zu stellen, ob bei EDF ein Ausstiegs-Szenario existiert für den Fall einer entsprechenden politischen Entscheidung:
"Nicht mehr, als anderswo. Wir haben erst vor ein paar Monaten das letzte Atomkraftwerk ans Netz genommen. Wir sind nicht dabei, es wieder zu schließen. Andererseits: EDF wurde nicht mit der Atomkraft geboren und ich denke, EDF wird auch ohne Atomkraft weiterbestehen - egal was kommt."
Rechtzeitig zum Kolloquium erschien eine repräsentative Umfrage, die zeigt, dass innerhalb der Bevölkerung der Trend eindeutig in Richtung Atomausstieg geht. Nur noch 49 Prozent aller Franzosen wollen die Atomkraft beibehalten. Im Januar 1999 waren es noch 56 Prozent. Den Atom-Ausstieg befürworten demnach 47 Prozent.
Premierminister Jospin, der eine Regierung leitet, die bekanntlich aus Pro-Atom-Sozialisten, Pro-Atom-Kommunisten und Anti-Atom-Grünen besteht, hat sich erst kürzlich eindeutig für die Beibehaltung der Atomkraft ausgesprochen. Industrie-Minister Christian Pierret:
"Die Energie-Politik unseres Landes ist klar: die Atomkraft bleibt der mehrheitliche Bestandteil unserer Stromproduktion. Auch wenn ihr Anteil in ein neues Gleichgewicht gebracht werden muss - zugunsten Erneuerbarer Energien. Ich darf freimütig bekennen: ich bin der erste Industrie-Minister Frankreichs, der dies sagt."
Das deutsche Erneuerbare-Energie-Gesetz - präsentiert von Hans-Josef Fell - wurde heftig beklatscht. Der Ausstiegs-Entschluss in Belgien - vorgetragen vom belgischen Energieminister - stieß auf offene Ohren. Die französischen Grünen geben jedenfalls die Hoffnung nicht auf. Schließlich hätten selbst die Industriellen das blinde Vertrauen in die Atomkraft verloren. Atomanlagen-Bauer Framatome und WAA-Betreiber Cogema bauen sich beide ein zweites industrielles Standbein auf - außerhalb der Nuklearindustrie. Und auch für Umweltministerin Voynet ist im Atomland Frankreich ein Atomausstieg möglich, ohne deshalb an den Engagements des Umweltgipfels von Kyoto zu rütteln:
"Das staatliche Planungs-Komissariat für Energiefragen hat drei Szenarien entworfen. Eines davon sieht ausdrücklich einen Atomausstieg vor und eine Energiepolitik ohne Atom. Das bedingt natürlich eine engagierte Politik der Energie-Einsparung, Gaskraftwerke, Kraft-Wärme-Kopplung, eine Diversifizierung der Energieträger, verbunden mit einer Dezentralisierung. (...) Etwas, was meines Erachtens bereits heutzutage der Kultur in vielen französischen Regionen entspricht."
Wie dieses Ausstiegs-Szenario konkret aussehen könnte, dazu Maryse Arditi, Sprecherin der französischen Grünen:
"Wir würden das letzte Atomkraftwerk im Jahre 2023 stilllegen. Was die verschiedenen Anteile an der Stromerzeugung anbetrifft, so kann man global sagen: die Erneuerbaren Energien werden dann ein Drittel ausmachen. Energiespar-Maßnahmen helfen uns ein Drittel einzusparen. Die Kraft-Wärme-Kopplung und effizientere Gaskraftwerke werden das verbleibende Drittel sicherstellen."