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Attraktive Religion

Religion. - Religion und Evolution sind scheinbar Gegensätze. Biologen möchten diesen Gegensatz auflösen und den Glauben in die Evolutionstheorie integrieren. Ein US-Forscher meldet nun, bei diesem Unterfangen einen entscheidenden Schritt weiter gekommen zu sein: eine Computersoftware soll den evolutionären Vorteil des Glaubens verdeutlicht haben.

Von Martin Hubert |
    Wer Religion und Evolution zusammen bringen will, muss nachweisen, dass religiöses Denken einen positiven Selektionswert besitzt. Religiösen Menschen müsste ihr Glaube also dabei helfen, zu überleben und sich fortzupflanzen. James Dow, Evolutionsanthropologe an der Oakland University in Rochester, will das jetzt wissenschaftlich nachgewiesen haben – per Computerprogramm:

    "Ich habe dieses Computerprogramm geschrieben, weil ich nur so schwierige mathematische Funktionen anwenden konnte, die der Komplexität der religiösen Entwicklung überhaupt gerecht werden."

    Dow taufte sein Simulationsprogramm "Evogod", eine Verbindung aus "Evolution" und "God". In Evogod agieren künstliche Wesen, welche die wesentlichen Eigenschaften von Lebewesen besitzen, die der Evolution unterworfen sind. Sie wollen zum Beispiel essen, sich fortpflanzen, kommunizieren und immer weiter dazu lernen. Und sie können Persönlichkeitseigenschaften vererben. Eine kleine Minderheit dieser Agenten stattete Dow zusätzlich mit Genen aus, die ihnen religiöse Überzeugungen verliehen. Wobei er Religion sehr allgemein definierte. Dow:

    "Für mich hat religiöses Denken mit der Kommunikation von Informationen zu tun hat, die nicht beweisbar sind. Man glaubt zum Beispiel an Geister oder Götter, die man weder sehen, berühren noch fühlen kann, aber man ist sich sicher, dass sie existieren. Das ist eines der Kernelemente aller Religionen. Und ich bin überzeugt, dass das menschliche Gehirn den Gesetzen der Evolution unterworfen ist und dass das religiöse Bedürfnis ein Bestandteil dieser grundlegenden Evolution der Gehirne ist."

    Wie würde sich die Minderheit der Agenten in Evogod entwickeln, die vom Übernatürlichen fasziniert ist? Schließlich sah sie sich einer überwältigenden Mehrheit von Agenten gegenüber, die eigentlich nur an belegbare Informationen über die natürliche Umwelt glaubte. James Dow spielte einige Szenarien durch und kam zu folgendem Ergebnis:

    "Es gab nur dann einen entscheidenden Wandel in der Evolution, wenn ich in Evogod eingab, dass die Ungläubigen sich den Gläubigen zuwendeten und sie für attraktiv hielten. Dann stellte sich ein Gleichgewicht zwischen beiden Gruppen ein. Die Zahl der Menschen, die bereit waren, an unbeweisbare Entitäten zu glauben, stieg dann dauerhaft an."
    
Wenn religiöse und nichtreligiöse Menschen miteinander kommunizieren und die nichtreligiösen Menschen sich davon einen Nutzen versprechen, dann breitet sich religiöses Denken gemäß den Gesetzen der Evolutionstheorie aus. Das ist die Lehre von Evogod. Der Reiz des Religiösen besteht dabei offenbar wirklich nur darin, dass an eine übernatürliche Wahrheit geglaubt wird. Denn das religiöse Denken florierte nicht, wenn die künstlichen Agenten die religiösen Lehren wie natürliches Wissen behandeln sollten. Evogod zeigt damit im wesentlichen, dass Religion und Evolution miteinander verträglich sind. Es erklärt aber weder, wie das religiöse Bedürfnis entsteht noch warum es für nichtreligiöse Menschen attraktiv wird. Die plausibelste - wenn auch nur spekulative - Erklärung dafür sieht für James Dow so aus:

    "Es ist wahrscheinlich so, dass die Menschen denjenigen vertrauen können, die sich einem Gott oder einem Geist unterwerfen. Denn diese demonstrieren damit ihre Bereitschaft, sich einem zentralen Gruppenideal unterzuordnen. Vertrauenswürdigkeit, so die Hypothese, könnte also der Grund sein, warum sich die Leute strenggläubigen Menschen zuwenden und sie auch unterstützen."