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Auf den Lehrer kommt es an

In seinem ersten Buch sang Bernhard Bueb einer desorientierten Elternschaft das Loblied der Disziplin - und bezog dafür viel Prügel, aber auch mehr Lob, als sich mancher jahrelang empirisch arbeitende Bildungsforscher je erträumen kann. In seinem neuesten Buch schreibt der ehemalige Leiter des Elite-Internats Schloss Salem "von der Pflicht zu führen". Das hört sich erneut danach an, als ob längst überkommene Erziehungsrezepte aufgetischt werden, doch unsere Rezensentin Sandra Pfister findet genau das nicht.

    Auf den Lehrer kommt es an. Eine Grundwahrheit, die so banal ist, dass man sich wundert, dass sie unter all den Strukturreformen seit der ersten PISA-Studie verschütt' gehen konnte. Das große Verdienst Bernhard Buebs ist es, dass er leidenschaftlich darauf zurückkommt - und dabei viel milder klingt als in seinem ersten Buch: Schulreformen sollen die Pädagogen, nicht die Strukturen in den Mittelpunkt stellen. So weit, so gut. Deswegen wird ein erfahrener Pädagoge wie Bueb nicht angefeindet, sondern, weil er sich mit großer Selbstverständlichkeit eines Vokabulars bedient, das hierzulande immer noch unter Totalitarismusverdacht steht.

    In seinem ersten Buch redete er der Disziplin das Wort gegen die Nachlässigkeit vieler Eltern und Lehrer, die Erziehung angeblich längst aufgegeben hätten. Einige Fachleute attestierten ihm eine reaktionäre Einstellung mit totalitären Tendenzen. Diesmal führt der ehemalige Internatsleiter als Leitbegriff das "Führen" im Titel - wer führt, muss sich als Führer verstehen, und wir wissen ja, was die im schlimmsten Fall anrichten können. Bueb entscheidet sich bewusst für dieses konservative Vokabular. In der Frankfurter Rundschau sagte er unlängst, er sehe nicht ein, warum er gute deutsche Wörter durch farblose Begriffe ersetzen solle:

    "Also Strafe durch Konsequenz oder Führung durch Leadership. Das ist Unsinn. Wir sollten genau sagen, was wir meinen, und nicht aus angeblicher politischer Korrektheit drum herum reden. Lehrer besitzen Macht - ob wir das nun gut finden oder nicht. Sie als Mutter haben ja auch Macht über Ihre Kinder. Aber die Macht wandelt sich in Autorität im positiven Sinne durch die Liebe zum Kind."

    An dem Begriff "Führen" kann man sich redlich abarbeiten - vor allem, weil Bueb allzu vieles darunter subsumiert. Denn obwohl Bueb von Führen spricht, betont er doch auffällig häufig das Partnerschaftliche der Erziehung: von Ermutigen, Zuwenden, den Weg weisen ist da die Rede - schwer, das nicht zu unterschreiben.

    Der Tenor so mancher Rezension hat das völlig in den Hintergrund treten lassen, frei nach dem Motto: Da kommt der alte Leiter eines Eliteinternates und predigt noch mal seinen ultrakonservativen Rezepte. Mit anderen Worten: Der Mann führt uns direkt in eine demokratiefreie Zone. Wer Bueb das unterstellt, handelt nahezu böswillig, denn für eine solche Lesart finden sich keine Indizien. Zwar hat Bueb an anderer Stelle gesagt, Schule könne keine basisdemokratische Veranstaltung sein. Aber er hält seinen Kritikern auch entgegen:

    Führung, die nur auf Charisma beruht, wird scheitern und kann mehr Schaden anrichten als eine Führung, die auf Tugenden wie Gerechtigkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen beruht.

    Wer will Kindern und Jugendlichen die Sehnsucht nach Leitbildern absprechen - oder zumindest nach Menschen, die sie für bestimmte Fächer begeistern? Nichts anderes fordert Bueb. Damit nimmt er psychologische Erkenntnisse über Bindung und Vorbildfunktionen ernst.

    Es gehört zu den großen Missverständnissen des Lehrerberufs, dass es vor allem auf die didaktisch richtige Aufbereitung des Unterrichts ankomme, dass man die richtigen Fragen stellen und die richtigen Antworten herauslocken müsse, dass es auf die Worte ankomme und nicht so sehr darauf, zu begeistern und Gefühle in Bewerbung zu bringen. Darin liegen die Ursachen eines der größten Übel landläufigen Unterrichts, nämlich Langeweile.

    Woher soll man die Lehrer neuen Typs nehmen? Eine andere, mehr praxisorientierte Lehrerausbildung kann der Schlüssel sein, dauert aber eine halbe Generation. Und kann man überhaupt lernen, eine Klasse zu begeistern? Wie erkennt man diese Fähigkeit? Bueb bleibt eine Antwort schuldig. Er umkreist nur das Thema Das Ergebnis wirkt halbgar: Fürs Erste rät Bueb, sich mit Fortbildungen zu behelfen, die auch Verhaltenstraining, Coaching und Führungsseminare umfassen.

    Provozierender fällt sein nächster Reformgedanke aus. Gerade weil Bueb den Lehrern einen der verantwortungsvollsten Führungsjobs überhaupt zudenkt, fordert er: Wir müssen die Verbeamtung abschaffen. Dann nämlich bekommen wir eher die Überzeugungstäter. Wir müssten, schreibt er, die aus dem Lehrerberuf herausdrängen,

    die aus den falschen Motiven ihren Beruf ergreifen - etwa wegen des Sicherheit des Beamtenstatus - oder Klassen nicht führen können, aber nicht den Mut aufbringen, einer anderen Tätigkeit nachzugehen.

    Wenn dann jemand Lehrer geworden ist, wie kann dann die Qualität seines Unterrichts bewertet werden? Das schält sich als die Kernfrage nach dem Plädoyer für mehr führungsstarke Lehrer heraus. Bueb empfiehlt eine "geregelte Rückmeldung". Darunter versteht er Fragebogen, in denen Schüler offen und unter Nennung ihres Namens ihre Lehrer bewerten.

    Lehrer begreifen sich als individuelle Künstler. Sie sind Herren des Unterrichtsgeschehens. Sie interpretieren die Autonomie, die ihnen das Gesetz gewährt, als das Recht, ihren Unterricht wie ein Kunstwerk nach eigenem Qualitätsempfinden zu gestalten.

    Lehrer brauchen die Führung, die Orientierung durch ihren Schulleiter, sagt Bueb. Und die Kontrolle. Der Schulleiter solle seine Lehrer auswählen und ihr Verhalten sanktionieren können - bis zur Entlassung. Heute sei das Schlimmste, was einem schlechten Lehrer passieren kann, dass er an eine andere Schule versetzt wird - mit der Folge, dass dann einfach eine andere Klasse unter ihm leide. Nicht wenige Eltern wissen davon ein Klagelied zu singen.

    Am Ende bricht Bueb mit seinem Credo, dem zufolge die Strukturen zweitrangig seien. Gemeinschaftsschule oder dreigliedriges Schulsystem - dieses Glaubensbekenntnis wird heute jedem Bildungsexperten abverlangt. Bueb wählt den Mittelweg - den, nebenbei - Sachsen, Hamburg und demnächst auch Berlin vormachen:

    Weder das eine noch das andere ist konsensfähig. Wir sollten einen pragmatischen Mittelweg beschreiten: Haupt- und Realschule sollten zusammengelegt werden und eine Schule bilden, aber mit eigener gymnasialer Oberstufe, die zum Abitur führt. Parallel dazu sollte das achtjährige Gymnasium angeboten werden.

    Sicher, Bueb hätte seine Ideen gewaltig eindampfen können - insbesondere die Schlusskapitel über die Kunst des Delegierens und der Entspannung sind so selbstverständlich in ihrer Denkart, dass sich der Verdacht aufdrängt, dass um einen klaren und richtigen Grundgedanke viele Worte gemacht werden sollte. Im Prinzip ist das Buch ein in die Länge gezogener Essay. Das Ergebnis sind einige Redundanzen und einige historisch naiv wirkende Passagen, beispielsweise eine unkritische Sicht auf Napoleon.

    Bueb bewegt sich nicht auf den allerneuesten pädagogischen Pfaden - im Gegenteil: schon seit Jahrzehnten wird immer mal wieder diskutiert, was er fordert. Nur: Geschehen ist nicht viel, deshalb behält seine Kritik ihre Berechtigung. Die Person des Lehrers muss gestärkt, dafür ihm aber auch mehr abverlangt werden - solche vermeintlichen Selbstverständlichkeiten bleiben in der aktuellen Bildungsdiskussion nahezu vollständig außen vor. Das Verdienst des Buches könnte sein, dass es eine Debatte anstößt - eine Debatte, die von Lernpsychologen übrigens längst im Sinne Buebs beantwortet ist: Moderne Pädagogen sind am erfolgreichsten, wenn sie die Begeisterung der Kinder entfachen. Dass darüber hinaus Forderungen als Provokation empfunden werden, Lehrer leistungsorientiert zu bezahlen, und dass es mit Bespitzelung gleichgesetzt wird, wenn Lehrer ihre Arbeit bewerten lassen sollen - das sagt viel über unser verknöchertes Bildungssystem aus.

    Bernhard Bueb: Von der Pflicht zu führen. Neun Gebote der Bildung. Ullstein Verlag, Berlin 2008, 176 Seiten, 18 Euro.