"Abu Dhabi stellt Pläne für weltgrößtes Kulturzentrum vor - Frankreich und Abu Dhabi unterzeichnen großes Louvre-Projekt -- Kritiker fürchten kulturelles Disneyland und warnen vor Zensur - Petrodollars gegen Kunst: Verkauft der Louvre seine Seele?"
Schlagzeilen der letzten Monate. Die kulturpolitischen Pläne des Emirats Abu Dhabi sind spektakulär: In den nächsten Jahren will man einen weltweit wohl einzigartigen Kulturbezirk schaffen, auf einer Insel, die wenige hundert Meter von der Küste entfernt bei der Stadt Abu Dhabi im Persischen Golf liegt. Das Eiland, "Jazeera Saadiyat", zu deutsch "Insel der Freuden", ist etwa so groß wie Norderney. Derzeit liegt es noch brach. Wenn alles fertig ist, in zehn Jahren, wird dort unter anderem ein Guggenheim-Museum stehen, eine Dependance des Louvre, ein Zentrum für darstellende Kunst, das Nationalmuseum der Vereinigten Arabischen Emirate und ein Schifffahrtsmuseum. Unter Vertrag sind so bekannte Architekten wie Frank Gehry, Zaha Hadid, Jean Nouvel und Tadao Ando. Errichtet werden auch Luxushotels, Villen, Wohnhäuser, drei Yachthäfen und zwei Golfplätze. 170.000 Menschen sollen einmal auf der Insel Saadiyat wohnen. Gesamtkosten der Bauvorhaben: 27 Milliarden US-Dollar.
"Es gibt verschiedene Projekte hier, die auf die Bildung, die Erziehung der neuen Generationen gezielt ist."
Zaki Nusseibeh ist einer der Köpfe hinter den Plänen für die Insel Saadiyat; Nusseibeh berät den Herrscher von Abu Dhabi in kulturpolitischen Angelegenheiten.
"Die Zivilisation ist eine. Es ist eine Zivilisation der Menschlichkeit. Und wir haben in dieser Zivilisation etwas sehr Wichtiges beigetragen, wir wollen das zeigen. So es wird nicht nur mit dem Westen tun. Es wird unsere Kultur zeigen und die Kultur der anderen auch hierherbringen."
Abu Dhabi ist eines der sieben Scheichtümer, die sich 1971 zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, kurz VAE, zusammenschlossen. Es verfügt über schätzungsweise zehn Prozent der weltweiten Ölreserven. Dabei gibt es ein echtes Problem: Wohin mit dem Ertrag? Abdulkhaleq Abdullah, Politologe an der Universität der Emirate in Al-Ain:
"In den letzten 20 Jahren hat sich der Staat meiner Meinung nach zu viel um den Aufbau der Infrastruktur gekümmert, um das Errichten beeindruckender Gebäude, um die Fassade des Ganzen - und man hat die Kultur und die schönen Künste vernachlässigt. Ich denke, jetzt ist die Zeit gekommen, wo das Thema Kultur in all seinen Facetten auf der Liste der Prioritäten nach oben kommen muss. Mit Saadiyat geschieht das bereits. Einige der weltbesten Künstler in das Land zu holen - natürlich sieht das nach guter Werbung aus; aber mir ist es lieber, dafür Geld auszugeben als immer nur für das höchste dies und das größte das."
Vor dem Ölboom war das Leben in Abu Dhabi armselig und voller Entbehrungen. Die Menschen lebten vom Perlentauchen und Fischen und ernährten sich vor allem von Datteln und Kamelmilch. Mit der Entdeckung von Ölvorkommen in Abu Dhabi, die kommerziell nutzbar waren, im Jahr 1960 wendete sich das Blatt - dramatisch und atemberaubend.
Heute haben die Emiratis pro Kopf eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte der Welt. Vor allem Dubai hat sich international einen Namen gemacht, als Handels- und Finanzzentrum und begehrtes Reiseziel für Touristen aus aller Welt. Mit dem Saadiyat-Projekt will Abu Dhabi aufholen - also ist es die Tourismusbehörde, die für das Projekt zuständig ist. Man möchte vor allem gebildete, gut betuchte und kulturell interessierte Besucher anziehen, Menschen mit einer gewissen Sensibilität für die Empfindlichkeiten einer islamisch geprägten und konservativen Gesellschaft. Das bisherige kulturelle Zentrum der Emirate, Sharjah, dürfte man dabei bewusst in den Schatten stellen wollen.
Frauke Heard-Bey glaubt jedoch, dass es bei der Museums- und Kulturinsel Saadiyat um sehr viel mehr als nur um ein Tourismusprojekt geht. Die Historikerin lebt seit mehr als 40 Jahren in Abu Dhabi; sie weiß, wie man in der Herrscherfamilie denkt.
"Ein Museum ist immer ein Fenster auf die Kulturen anderer Leute. So was wie in Berlin die großen Museen, die sind gebaut worden zu einer Zeit, wo eben Fritzchen Soundso es sich nicht leisten konnte, nach Ägypten zu reisen, und man praktisch zur Erbauung und Erziehung der Mittelklasse, die von Bildung was halten, aber eben nicht dorthin reisen konnten, und hauptsächlich für die hat man das gesammelt. Und dementsprechend könnte man auch sagen, dass Museen in Abu Dhabi eben auch der Bevölkerung die Möglichkeit geben sollen, ihr Bild vom Rest der Welt zu erweitern. Jetzt muss man natürlich sagen, dass heutzutage auch die meisten, die an so was Interesse hätten, auch reisen. Dennoch ist es natürlich eine ganz andere Sache, wenn man solche anspruchsvollen Exponate im Herzen seiner Stadt hat, was ein Motor ist auch auf die Selbstbesinnung auf die Korrelanz zwischen der eigenen Kultur und dem, was man jetzt da hinstellt."
"Lebe mein Land" - die Nationalhymne der VAE, gespielt von der Staatskapelle Dresden vor ein paar Wochen in Abu Dhabi, zum Auftakt des angeblich ersten Richard-Wagner-Konzerts am Persischen Golf. Für Nashla Bu Sit war dieses Konzert ein einzigartiges Erlebnis. Die junge Frau liebt Wagner.
"Unser Land öffnet uns anderen Kulturen. Wir werden hier bald das Guggenheim haben und den Louvre. Ich glaube, dass der Staat große Anstrengungen unternimmt, uns junge Leute für andere Kulturen empfänglich zu machen. Eine Kultur, die eigene - das ist nicht genug. Wir müssen auch offen für andere Kulturen sein, aufgeschlossen und ohne Vorurteile. Unser Land möchte dies wirklich zeigen."
Nashla Bu Sit ist Anfang 20, sie spricht fünf Sprachen. Gekleidet ist sie ganz traditionell, wie es eigentlich alle emiratischen Frauen in der Öffentlichkeit sind, mit einem schwarzen Gewand, der Abaya, und Kopftuch. Nashla studiert an der Sorbonne-Universität - aber nicht in Paris, sondern am örtlichen Ableger der Sorbonne in Abu Dhabi. Im November 2006 wurde er eröffnet. Das Curriculum ist dasselbe wie in Paris, der Abschluss ebenfalls, die Dozenten kommen aus dem Mutterhaus. Einer von ihnen ist Ronald Perlwitz:
"Am Anfang hat man immer gesagt, die Emiratis kaufen sich einen Namen, die kaufen sich die Sorbonne so, wie sie sich Louis Vuitton kaufen. Da ist natürlich die Frage: Wo ist Oxford? Wo ist Cambridge? Wo ist Harvard? Die sind nicht da. Die Sorbonne ist da. Warum gerade eine französischsprachige Uni in einem englischsprachigen Raum? Wenn man da genauer hinschaut: Die Sorbonne ist eine Universität, die wirklich für eine gewisse Freiheit im Denken steht. Also, "68" ist von der Sorbonne ausgegangen. Wenn Sie sich eine Uni aussuchen würden, die quasi die Geister ein bisschen befreien soll, die Mentalitäten befreien soll - dann suchen Sie sich die Sorbonne aus. Und genau das ist es."
Studentinnen und Studenten werden gemeinsam unterrichtet, und es gibt keinerlei Zensur.
"Wir haben eine Bibliothek, in der steht Freud, in der steht der 'Marquis de Sade', in der sind Bücher der Kunstgeschichte mit nackten Körpern - in einem Land, in dem eigentlich Pornographie, die Darstellung von nackten Körpern verboten ist. Wir haben keine Zensur in der Bibliothek."
Keine Zensur, und auch kein Zugeständnis an die Religion: Auf dem gesamten Gelände der Universität gibt es keinen Gebetsraum. An der Sorbonne herrscht das Prinzip des Laizismus, in Paris, wie in Abu Dhabi.
"Hier ist eine Regierung am Werk, die natürlich versucht, die Leute in das 21. Jahrhundert zu führen, die natürlich möchte, dass die Traditionen der Emiratis erhalten bleiben - der aber andererseits völlig bewusst ist, dass sie ihre Leute jetzt in ein kosmopolitischeres, internationaleres Zeitalter hineinführt - der natürlich bewusst ist, dass hier einige Traditionen aufgebrochen werden müssen. Das kann nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, die Regierung, der Scheich kann hier nicht von einem Tag auf den anderen sagen: So, so werden die Frauen jetzt behandelt - das geht nicht, das kann er nicht-. Es müssen sich die Mentalitäten ändern, und das kann nun mal über Bildung geschehen, und dafür sind wir da."
Vor 1000 Zuschauern im Saal rezitiert ein junger Mann ein Gedicht, das er selbst gereimt hat. Er trägt ein weißes Gewand, die Dishdasha, und die traditionelle Kopfbedeckung. Mehrere Wettbewerber ringen darum, wer am besten dichten kann. Es gibt eine Expertenjury, und das Publikum entscheidet.
Die sogenannte Nabati-Poesie ist uralte beduinische Tradition. Früher diente sie vor allem dazu, Erlebtes und geschichtliche Ereignisse weiterzuerzählen; heutzutage schmückt es jeden Golf-Araber, wenn er schnell, kreativ und elegant dichten kann.
Die Sendung heißt "Sha'er al-Million", "Poet der Millionen." Jeden Dienstagabend läuft sie bei Abu-Dhabi-TV, mehrere Millionen Menschen in der gesamten Golf-Region schauen zu. Omar Ghobash ist vom gewaltigen Erfolg der Sendung nicht überrascht:
"Es geht da um etwas, das bei uns sehr tief sitzt: sie Liebe zur Poesie. Wenn sich Leute gegenseitig auf diese Weise herausfordern, mit ihrem Intellekt und ihrer Weisheit, dann ist das, als würden Pfaue ein Rad schlagen. Es ist fast wie ein verbaler Boxkampf oder wie 'Gladiatoren-Poesie' und nicht wie Poesie im gewöhnlichen westlichen Sinne. Das Zusammensein dabei ist auch wichtig."
In der Kulturszene der Emirate ist Omar Ghobash, Mitte 30, bereits eine feste Größe. Er ist Mitbesitzer einer der derzeit wohl interessantesten Galerien für zeitgenössische Kunst aus der arabischen Welt. Derzeit kümmert er sich vor allem um den Verlag, den er kürzlich gründete.
"Man liest doch immer in Berichten über die etwa 100 Millionen jungen Leute in der arabischen Welt, dass sie entweder eine wirtschaftliche Bedrohung oder eine politische Bedrohung oder eine soziale Bedrohung für die Stabilität seien. Ich sehe diese einhundert Millionen als junge Leute, die auf der Suche nach Sinn sind. Sie sollten sich Gedanken über ihre Lebenssituation machen können, und das können sie mithilfe der Literatur machen, indem sie schreiben, indem sie ermuntert werden, füreinander zu schreiben, und indem sie angeregt werden, einander zu lesen."
Der neue Verlag wird bald das erste Buch drucken lassen, das Werk eines Tunesiers. Omar Ghobash glaubt, das es eine Marktlücke gibt. Zu oft höre er von Gleichaltrigen, dass es auf Arabisch nichts Gescheites zu lesen gebe - zumindest nichts, was für junge Araber im 21. Jahrhundert relevant sei.
"Ich wünsche mir, dass wir moralische Komplexität darstellen ohne eine sofortiges Urteil zu fällen - moralische Vielschichtigkeit und eine sehr nuancierte Schilderung dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein. In Diskussionen und in Veröffentlichungen gibt in diesem Teil der Welt häufig eine Art Selbstzensur, wo es dann heißt: Nein, es gibt keine moralische Vielschichtigkeit, alles ist schwarz oder weiß. Gerade so ist es nicht, und das wissen wir alle."
Dubai, in einem einfachen, staubigen Viertel im Schatten der Baustelle des vielleicht höchsten Wolkenkratzers der Welt: Abdel-Rahim Sharif führt durch sein Haus. Zum weißen Gewand trägt er eine Baseball-Kappe, eine ungewöhnliche Kombination. An den Wänden hängen Fotos und Gemälde, vom Fußboden bis an die Decke, dicht an dicht. Die Zimmer sind mit Installationen zugestellt. Sharif, Ende 50, ist ehemaliger Geschäftsmann. Vor vielen Jahren gab er seine Firma an die Söhne und verschrieb sich dem Sammeln von Kunst. Sharif ist kein Kunstsammler im herkömmlichen Sinne: Er sammelt, um zu dokumentieren und zu bewahren, was emiratische Künstler seit Anfang der 70er Jahre geschaffen haben. Sein Dokumentationszentrum nennt er "The Flying House".
"Zwar verkaufen wir auch einiges, weil wir unabhängig sind und von irgendwas leben müssen - aber wir haben einige Arbeiten, die wir nicht verkaufen. Das Ziel ist es, dass diese Werke eines Tages in irgendein Museum kommen, da sie ein Teil unserer Geschichte sind."
In den Emiraten gibt es kein Museum für zeitgenössische Kunst, und ohne Sharif wären viele der Arbeiten, die im Flying House zu sehen sind, wohl längst verloren gegangen. Auf einer Webseite hat Sharif die Arbeit von fünf zeitgenössischen emiratischen Künstlern vollständig katalogisiert. Für die Öffentlichkeit ist das Flying House aber nicht geöffnet. Die Behörden verweigern eine Genehmigung, weil sie die Galerie als Firma sehen, die in einem reinen Wohnviertel nichts zu suchen habe.
Sharif will die Regierung nicht kritisieren, staatliche Subventionen lehnt er ab. Allerdings wünscht er sich, dass seine Mitmenschen mehr Verständnis für Kunst und Kultur entwickeln.
"Wir haben ein Problem mit der Gesellschaft. Es sind reiche Leute, unglaublich reiche Leute. Aus meiner Sicht sind sie aber arm, denn sie wollen nur, dass ihr Bankkonto immer fetter wird; sie haben Angst, dass irgendetwas passieren könnte und sie dann plötzlich ohne Geld und ohne was zu essen dastehen. Diese Menschen verstehen nicht, dass es auch an ihnen ist, die Gesellschaft mit aufzubauen. Stattdessen stellen sie immer nur Forderungen an die Regierung. Wieso sagen wir als Individuen nicht: Unsere Verantwortung ist es, mitzumachen und teil zu haben."
Sharif weiß noch nicht, was er von dem geplanten Kulturbezirk auf der Saadiyat-Insel halten soll. Das Guggenheim-Museum könnte ja durchaus der passende Ort sein, um einige Stücke zeitgenössischer emiratischer Kunst aus dem Flying House zu zeigen. Ja, die Saadiyat-Leute hätten ihn bereits kontaktiert, erzählt er -und seien diese Kontakte vielversprechend gewesen? Ja und nein, antwortet Sharif geheimnisvoll, zieht an seiner Zigarette und rückt die Baseball-Kappe zurecht.
Kaum jemand in den Galerien in Abu Dhabi oder Dubai fürchtet, dass Saadiyat wie ein Bulldozer über die örtliche Kulturszene hinwegfahren wird. Aber viele wissen noch nicht, was Saadiyat für einheimische Künstler bringt. Der Verleger Omar Ghobash wünscht sich mehr Informationen von oben und eine öffentliche Debatte.
"Es muss eine Reihe von Diskussionen geben und zwar, allgemein gesagt, über die Rolle von Kunst und Kultur in unserem Teil der Welt. Was bedeutet es denn für uns, die wir vor dreißig Jahren noch in der Wüste saßen, dass wir nun den Louvre und das Guggenheim hier haben werden - da muss man etwas philosophischer herangehen. Wenn wir nicht nur als die Financiers großartiger Projekte weltweit gesehen werden wollen, dann müssen wir über diese Themen nachdenken und diskutieren - unter uns und mit denkenden Menschen von außen."
Im Westen rümpften einige die Nase, als die Pläne für den Saadiyat-Kulturbezirk veröffentlicht wurden; sie sahen das Projekt als einen ungenierten Versuch, mit Petrodollars neue Attraktionen für Touristen einzukaufen. Zaki Nusseibeh, der Kultur-Berater des Herrschers von Abu Dhabi, hofft hingegen, dass eine andere Botschaft von der Insel Saadiyat ausgehen wird - die Botschaft nämlich, dass die Emiratis kulturelle Brücken der Verständigung schlagen möchten:
"Das Wichtigste ist in dieser Strategie, dass Kultur kein Produkt ist, aber eine Prozess, ein Prozess von interchange, interwechseln, exchange, dialogue zwischen unsere Kultur und die Kultur den anderen. Der Wille ist, dass hier eine Gesellschaft ist, die offen zu die Welt ist, dass die Kultur in Zusammenhang mit die Kulturen der Welt kommt."
Schlagzeilen der letzten Monate. Die kulturpolitischen Pläne des Emirats Abu Dhabi sind spektakulär: In den nächsten Jahren will man einen weltweit wohl einzigartigen Kulturbezirk schaffen, auf einer Insel, die wenige hundert Meter von der Küste entfernt bei der Stadt Abu Dhabi im Persischen Golf liegt. Das Eiland, "Jazeera Saadiyat", zu deutsch "Insel der Freuden", ist etwa so groß wie Norderney. Derzeit liegt es noch brach. Wenn alles fertig ist, in zehn Jahren, wird dort unter anderem ein Guggenheim-Museum stehen, eine Dependance des Louvre, ein Zentrum für darstellende Kunst, das Nationalmuseum der Vereinigten Arabischen Emirate und ein Schifffahrtsmuseum. Unter Vertrag sind so bekannte Architekten wie Frank Gehry, Zaha Hadid, Jean Nouvel und Tadao Ando. Errichtet werden auch Luxushotels, Villen, Wohnhäuser, drei Yachthäfen und zwei Golfplätze. 170.000 Menschen sollen einmal auf der Insel Saadiyat wohnen. Gesamtkosten der Bauvorhaben: 27 Milliarden US-Dollar.
"Es gibt verschiedene Projekte hier, die auf die Bildung, die Erziehung der neuen Generationen gezielt ist."
Zaki Nusseibeh ist einer der Köpfe hinter den Plänen für die Insel Saadiyat; Nusseibeh berät den Herrscher von Abu Dhabi in kulturpolitischen Angelegenheiten.
"Die Zivilisation ist eine. Es ist eine Zivilisation der Menschlichkeit. Und wir haben in dieser Zivilisation etwas sehr Wichtiges beigetragen, wir wollen das zeigen. So es wird nicht nur mit dem Westen tun. Es wird unsere Kultur zeigen und die Kultur der anderen auch hierherbringen."
Abu Dhabi ist eines der sieben Scheichtümer, die sich 1971 zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, kurz VAE, zusammenschlossen. Es verfügt über schätzungsweise zehn Prozent der weltweiten Ölreserven. Dabei gibt es ein echtes Problem: Wohin mit dem Ertrag? Abdulkhaleq Abdullah, Politologe an der Universität der Emirate in Al-Ain:
"In den letzten 20 Jahren hat sich der Staat meiner Meinung nach zu viel um den Aufbau der Infrastruktur gekümmert, um das Errichten beeindruckender Gebäude, um die Fassade des Ganzen - und man hat die Kultur und die schönen Künste vernachlässigt. Ich denke, jetzt ist die Zeit gekommen, wo das Thema Kultur in all seinen Facetten auf der Liste der Prioritäten nach oben kommen muss. Mit Saadiyat geschieht das bereits. Einige der weltbesten Künstler in das Land zu holen - natürlich sieht das nach guter Werbung aus; aber mir ist es lieber, dafür Geld auszugeben als immer nur für das höchste dies und das größte das."
Vor dem Ölboom war das Leben in Abu Dhabi armselig und voller Entbehrungen. Die Menschen lebten vom Perlentauchen und Fischen und ernährten sich vor allem von Datteln und Kamelmilch. Mit der Entdeckung von Ölvorkommen in Abu Dhabi, die kommerziell nutzbar waren, im Jahr 1960 wendete sich das Blatt - dramatisch und atemberaubend.
Heute haben die Emiratis pro Kopf eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte der Welt. Vor allem Dubai hat sich international einen Namen gemacht, als Handels- und Finanzzentrum und begehrtes Reiseziel für Touristen aus aller Welt. Mit dem Saadiyat-Projekt will Abu Dhabi aufholen - also ist es die Tourismusbehörde, die für das Projekt zuständig ist. Man möchte vor allem gebildete, gut betuchte und kulturell interessierte Besucher anziehen, Menschen mit einer gewissen Sensibilität für die Empfindlichkeiten einer islamisch geprägten und konservativen Gesellschaft. Das bisherige kulturelle Zentrum der Emirate, Sharjah, dürfte man dabei bewusst in den Schatten stellen wollen.
Frauke Heard-Bey glaubt jedoch, dass es bei der Museums- und Kulturinsel Saadiyat um sehr viel mehr als nur um ein Tourismusprojekt geht. Die Historikerin lebt seit mehr als 40 Jahren in Abu Dhabi; sie weiß, wie man in der Herrscherfamilie denkt.
"Ein Museum ist immer ein Fenster auf die Kulturen anderer Leute. So was wie in Berlin die großen Museen, die sind gebaut worden zu einer Zeit, wo eben Fritzchen Soundso es sich nicht leisten konnte, nach Ägypten zu reisen, und man praktisch zur Erbauung und Erziehung der Mittelklasse, die von Bildung was halten, aber eben nicht dorthin reisen konnten, und hauptsächlich für die hat man das gesammelt. Und dementsprechend könnte man auch sagen, dass Museen in Abu Dhabi eben auch der Bevölkerung die Möglichkeit geben sollen, ihr Bild vom Rest der Welt zu erweitern. Jetzt muss man natürlich sagen, dass heutzutage auch die meisten, die an so was Interesse hätten, auch reisen. Dennoch ist es natürlich eine ganz andere Sache, wenn man solche anspruchsvollen Exponate im Herzen seiner Stadt hat, was ein Motor ist auch auf die Selbstbesinnung auf die Korrelanz zwischen der eigenen Kultur und dem, was man jetzt da hinstellt."
"Lebe mein Land" - die Nationalhymne der VAE, gespielt von der Staatskapelle Dresden vor ein paar Wochen in Abu Dhabi, zum Auftakt des angeblich ersten Richard-Wagner-Konzerts am Persischen Golf. Für Nashla Bu Sit war dieses Konzert ein einzigartiges Erlebnis. Die junge Frau liebt Wagner.
"Unser Land öffnet uns anderen Kulturen. Wir werden hier bald das Guggenheim haben und den Louvre. Ich glaube, dass der Staat große Anstrengungen unternimmt, uns junge Leute für andere Kulturen empfänglich zu machen. Eine Kultur, die eigene - das ist nicht genug. Wir müssen auch offen für andere Kulturen sein, aufgeschlossen und ohne Vorurteile. Unser Land möchte dies wirklich zeigen."
Nashla Bu Sit ist Anfang 20, sie spricht fünf Sprachen. Gekleidet ist sie ganz traditionell, wie es eigentlich alle emiratischen Frauen in der Öffentlichkeit sind, mit einem schwarzen Gewand, der Abaya, und Kopftuch. Nashla studiert an der Sorbonne-Universität - aber nicht in Paris, sondern am örtlichen Ableger der Sorbonne in Abu Dhabi. Im November 2006 wurde er eröffnet. Das Curriculum ist dasselbe wie in Paris, der Abschluss ebenfalls, die Dozenten kommen aus dem Mutterhaus. Einer von ihnen ist Ronald Perlwitz:
"Am Anfang hat man immer gesagt, die Emiratis kaufen sich einen Namen, die kaufen sich die Sorbonne so, wie sie sich Louis Vuitton kaufen. Da ist natürlich die Frage: Wo ist Oxford? Wo ist Cambridge? Wo ist Harvard? Die sind nicht da. Die Sorbonne ist da. Warum gerade eine französischsprachige Uni in einem englischsprachigen Raum? Wenn man da genauer hinschaut: Die Sorbonne ist eine Universität, die wirklich für eine gewisse Freiheit im Denken steht. Also, "68" ist von der Sorbonne ausgegangen. Wenn Sie sich eine Uni aussuchen würden, die quasi die Geister ein bisschen befreien soll, die Mentalitäten befreien soll - dann suchen Sie sich die Sorbonne aus. Und genau das ist es."
Studentinnen und Studenten werden gemeinsam unterrichtet, und es gibt keinerlei Zensur.
"Wir haben eine Bibliothek, in der steht Freud, in der steht der 'Marquis de Sade', in der sind Bücher der Kunstgeschichte mit nackten Körpern - in einem Land, in dem eigentlich Pornographie, die Darstellung von nackten Körpern verboten ist. Wir haben keine Zensur in der Bibliothek."
Keine Zensur, und auch kein Zugeständnis an die Religion: Auf dem gesamten Gelände der Universität gibt es keinen Gebetsraum. An der Sorbonne herrscht das Prinzip des Laizismus, in Paris, wie in Abu Dhabi.
"Hier ist eine Regierung am Werk, die natürlich versucht, die Leute in das 21. Jahrhundert zu führen, die natürlich möchte, dass die Traditionen der Emiratis erhalten bleiben - der aber andererseits völlig bewusst ist, dass sie ihre Leute jetzt in ein kosmopolitischeres, internationaleres Zeitalter hineinführt - der natürlich bewusst ist, dass hier einige Traditionen aufgebrochen werden müssen. Das kann nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, die Regierung, der Scheich kann hier nicht von einem Tag auf den anderen sagen: So, so werden die Frauen jetzt behandelt - das geht nicht, das kann er nicht-. Es müssen sich die Mentalitäten ändern, und das kann nun mal über Bildung geschehen, und dafür sind wir da."
Vor 1000 Zuschauern im Saal rezitiert ein junger Mann ein Gedicht, das er selbst gereimt hat. Er trägt ein weißes Gewand, die Dishdasha, und die traditionelle Kopfbedeckung. Mehrere Wettbewerber ringen darum, wer am besten dichten kann. Es gibt eine Expertenjury, und das Publikum entscheidet.
Die sogenannte Nabati-Poesie ist uralte beduinische Tradition. Früher diente sie vor allem dazu, Erlebtes und geschichtliche Ereignisse weiterzuerzählen; heutzutage schmückt es jeden Golf-Araber, wenn er schnell, kreativ und elegant dichten kann.
Die Sendung heißt "Sha'er al-Million", "Poet der Millionen." Jeden Dienstagabend läuft sie bei Abu-Dhabi-TV, mehrere Millionen Menschen in der gesamten Golf-Region schauen zu. Omar Ghobash ist vom gewaltigen Erfolg der Sendung nicht überrascht:
"Es geht da um etwas, das bei uns sehr tief sitzt: sie Liebe zur Poesie. Wenn sich Leute gegenseitig auf diese Weise herausfordern, mit ihrem Intellekt und ihrer Weisheit, dann ist das, als würden Pfaue ein Rad schlagen. Es ist fast wie ein verbaler Boxkampf oder wie 'Gladiatoren-Poesie' und nicht wie Poesie im gewöhnlichen westlichen Sinne. Das Zusammensein dabei ist auch wichtig."
In der Kulturszene der Emirate ist Omar Ghobash, Mitte 30, bereits eine feste Größe. Er ist Mitbesitzer einer der derzeit wohl interessantesten Galerien für zeitgenössische Kunst aus der arabischen Welt. Derzeit kümmert er sich vor allem um den Verlag, den er kürzlich gründete.
"Man liest doch immer in Berichten über die etwa 100 Millionen jungen Leute in der arabischen Welt, dass sie entweder eine wirtschaftliche Bedrohung oder eine politische Bedrohung oder eine soziale Bedrohung für die Stabilität seien. Ich sehe diese einhundert Millionen als junge Leute, die auf der Suche nach Sinn sind. Sie sollten sich Gedanken über ihre Lebenssituation machen können, und das können sie mithilfe der Literatur machen, indem sie schreiben, indem sie ermuntert werden, füreinander zu schreiben, und indem sie angeregt werden, einander zu lesen."
Der neue Verlag wird bald das erste Buch drucken lassen, das Werk eines Tunesiers. Omar Ghobash glaubt, das es eine Marktlücke gibt. Zu oft höre er von Gleichaltrigen, dass es auf Arabisch nichts Gescheites zu lesen gebe - zumindest nichts, was für junge Araber im 21. Jahrhundert relevant sei.
"Ich wünsche mir, dass wir moralische Komplexität darstellen ohne eine sofortiges Urteil zu fällen - moralische Vielschichtigkeit und eine sehr nuancierte Schilderung dessen, was es heißt, ein Mensch zu sein. In Diskussionen und in Veröffentlichungen gibt in diesem Teil der Welt häufig eine Art Selbstzensur, wo es dann heißt: Nein, es gibt keine moralische Vielschichtigkeit, alles ist schwarz oder weiß. Gerade so ist es nicht, und das wissen wir alle."
Dubai, in einem einfachen, staubigen Viertel im Schatten der Baustelle des vielleicht höchsten Wolkenkratzers der Welt: Abdel-Rahim Sharif führt durch sein Haus. Zum weißen Gewand trägt er eine Baseball-Kappe, eine ungewöhnliche Kombination. An den Wänden hängen Fotos und Gemälde, vom Fußboden bis an die Decke, dicht an dicht. Die Zimmer sind mit Installationen zugestellt. Sharif, Ende 50, ist ehemaliger Geschäftsmann. Vor vielen Jahren gab er seine Firma an die Söhne und verschrieb sich dem Sammeln von Kunst. Sharif ist kein Kunstsammler im herkömmlichen Sinne: Er sammelt, um zu dokumentieren und zu bewahren, was emiratische Künstler seit Anfang der 70er Jahre geschaffen haben. Sein Dokumentationszentrum nennt er "The Flying House".
"Zwar verkaufen wir auch einiges, weil wir unabhängig sind und von irgendwas leben müssen - aber wir haben einige Arbeiten, die wir nicht verkaufen. Das Ziel ist es, dass diese Werke eines Tages in irgendein Museum kommen, da sie ein Teil unserer Geschichte sind."
In den Emiraten gibt es kein Museum für zeitgenössische Kunst, und ohne Sharif wären viele der Arbeiten, die im Flying House zu sehen sind, wohl längst verloren gegangen. Auf einer Webseite hat Sharif die Arbeit von fünf zeitgenössischen emiratischen Künstlern vollständig katalogisiert. Für die Öffentlichkeit ist das Flying House aber nicht geöffnet. Die Behörden verweigern eine Genehmigung, weil sie die Galerie als Firma sehen, die in einem reinen Wohnviertel nichts zu suchen habe.
Sharif will die Regierung nicht kritisieren, staatliche Subventionen lehnt er ab. Allerdings wünscht er sich, dass seine Mitmenschen mehr Verständnis für Kunst und Kultur entwickeln.
"Wir haben ein Problem mit der Gesellschaft. Es sind reiche Leute, unglaublich reiche Leute. Aus meiner Sicht sind sie aber arm, denn sie wollen nur, dass ihr Bankkonto immer fetter wird; sie haben Angst, dass irgendetwas passieren könnte und sie dann plötzlich ohne Geld und ohne was zu essen dastehen. Diese Menschen verstehen nicht, dass es auch an ihnen ist, die Gesellschaft mit aufzubauen. Stattdessen stellen sie immer nur Forderungen an die Regierung. Wieso sagen wir als Individuen nicht: Unsere Verantwortung ist es, mitzumachen und teil zu haben."
Sharif weiß noch nicht, was er von dem geplanten Kulturbezirk auf der Saadiyat-Insel halten soll. Das Guggenheim-Museum könnte ja durchaus der passende Ort sein, um einige Stücke zeitgenössischer emiratischer Kunst aus dem Flying House zu zeigen. Ja, die Saadiyat-Leute hätten ihn bereits kontaktiert, erzählt er -und seien diese Kontakte vielversprechend gewesen? Ja und nein, antwortet Sharif geheimnisvoll, zieht an seiner Zigarette und rückt die Baseball-Kappe zurecht.
Kaum jemand in den Galerien in Abu Dhabi oder Dubai fürchtet, dass Saadiyat wie ein Bulldozer über die örtliche Kulturszene hinwegfahren wird. Aber viele wissen noch nicht, was Saadiyat für einheimische Künstler bringt. Der Verleger Omar Ghobash wünscht sich mehr Informationen von oben und eine öffentliche Debatte.
"Es muss eine Reihe von Diskussionen geben und zwar, allgemein gesagt, über die Rolle von Kunst und Kultur in unserem Teil der Welt. Was bedeutet es denn für uns, die wir vor dreißig Jahren noch in der Wüste saßen, dass wir nun den Louvre und das Guggenheim hier haben werden - da muss man etwas philosophischer herangehen. Wenn wir nicht nur als die Financiers großartiger Projekte weltweit gesehen werden wollen, dann müssen wir über diese Themen nachdenken und diskutieren - unter uns und mit denkenden Menschen von außen."
Im Westen rümpften einige die Nase, als die Pläne für den Saadiyat-Kulturbezirk veröffentlicht wurden; sie sahen das Projekt als einen ungenierten Versuch, mit Petrodollars neue Attraktionen für Touristen einzukaufen. Zaki Nusseibeh, der Kultur-Berater des Herrschers von Abu Dhabi, hofft hingegen, dass eine andere Botschaft von der Insel Saadiyat ausgehen wird - die Botschaft nämlich, dass die Emiratis kulturelle Brücken der Verständigung schlagen möchten:
"Das Wichtigste ist in dieser Strategie, dass Kultur kein Produkt ist, aber eine Prozess, ein Prozess von interchange, interwechseln, exchange, dialogue zwischen unsere Kultur und die Kultur den anderen. Der Wille ist, dass hier eine Gesellschaft ist, die offen zu die Welt ist, dass die Kultur in Zusammenhang mit die Kulturen der Welt kommt."