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Auf der Suche nach dem Phänomen Barack Obama

Bei seiner Wahl vor zwei Jahren wollte jeder wissen: Wie konnte Barack Obama es wider Erwarten schaffen, so viele Wähler hinter sich zu vereinen? Jetzt fragt man sich: Wie konnte er diese Mehrheit so schnell wieder verlieren? Zwei Autoren haben sich erneut auf die Suche nach Antworten begeben.

Von Martin Klingst |
    "Das Verlangen, in Obama etwas Großes zu sehen, war unverkennbar – er war genau zu dem Zeitpunkt aufgekreuzt, als das Selbstvertrauen der Amerikaner auf einem Tiefstand war. Für Millionen von Menschen war George Bush eine nationale und persönliche Peinlichkeit."


    Schreibt David Remnik, und der deutsche Autor stimmt dem zu. Doch dann bilanziert er, Obama habe kläglich versagt. Er habe die Reformen nicht herzhaft genug angepackt und sei, so Philipp Schläger, immer wieder vor der konservativen Opposition eingeknickt.

    "Mit ihm erlebten die Amerikaner einen Präsidenten, der Hoffnung wagen wollte und zögerlich regierte. 'Hope' und 'Change' waren im Wahlkampf. 'Fired up, ready to go!' ist niemand mehr. Die Party ist schon lange vorbei."

    Das Wahlergebnis vom Dienstag scheint Schläger recht zu geben. Man könnte darum meinen, Remnicks Buch sei verstaubt, weil er nur Obama, den Kandidaten beschreibt, aber nicht Obama, den Präsidenten. Doch das Gegenteil ist richtig: Der Blick des Amerikaners führt weiter und tiefer als der Blick des Deutschen. Remnicks Werk ist zugleich ein Porträt, ein ebenso feinfühliges wie kritisches Sittengemälde der amerikanischen Gesellschaft. Philipp Schlägers Buch dagegen ist ein ziemlich holzschnittartiger Verriss der ersten zwei Regierungsjahre. Wer wissen will, warum die Linke von Obama enttäuscht ist, erfährt bei Schläger die Beweggründe. Doch der Autor sieht alles sehr durch eine europäische und obendrein grün-rot gefärbte Brille. Obama wird nicht wirklich verstanden und wird nicht in die amerikanische Gesellschaft gesetzt, mit ihrer Andersartigkeit und mit ihren vielen Brüchen und Widersprüchen.
    Zudem: Der deutsche Autor geht von einer falschen Grundannahme aus. Er schreibt:

    "Präsident Barack Obama hatte keinen Mangel an Krisen. Doch er ließ sie alle ungenutzt und ging in die Defensive. Anstatt einen echten Wandel, eine Transformation der amerikanischen Gesellschaft durchzusetzen, für die er immerhin eine Mehrheit der Bevölkerung gewonnen hatte, bewegte sich Obama schon bald nach seiner Wahl in die politische Mitte."

    Das ist schlichtweg falsch. Zwar wurde Obama gewählt, aber nicht seine Reformagenda. Gleich nach der Präsidentschaftswahl 2008 zeigten die ersten Umfragen, dass die meisten Amerikaner immer noch eher konservativ denken und radikalen Reformen misstrauen. Wie Philipp Schläger lässt sich nur argumentieren, wenn man sich in eine Raumkapsel verabschiedet und sich da oben eine künstliche Fantasiewelt zurechtlegt. Schläger verschweigt nicht Obamas reale Schwierigkeiten, die verheerende Wirtschaftslage, die beinharte konservative Opposition, den Hass der rechten Tea-Party-Bewegung. Aber er setzt sie nicht in ein Gesamtbild. Erst bei David Remnick beginnt man zu verstehen, warum sich dieser vor Selbstbewusstsein strotzende Barack Obama immer wieder an den amerikanischen Verhältnissen stößt.

    "Obamas Selbstvertrauen beruhte zum Großteil auf seiner Überzeugung, er könne in jeden Raum mit jeder beliebigen Sorte Menschen hineingehen und ein Verhältnis zu diesen Menschen herstellen und sie sogar von der Richtigkeit seiner Ansichten überzeugen. Jim Cauley, ein früherer Wahlkampfleiter Obamas, glaubte, dass Obama sich zutraute, auch einen Raum voller Skinheads für sich gewinnen zu können."

    Es ist eine Ironie der Geschichte: Dieser Präsident, der glaubte, Berge versetzen zu können, erfährt jetzt mit aller Macht die Grenzen der Politik – und seiner eigenen Gestaltungsmöglichkeit. Und ausgerechnet dieser erste schwarze Präsident muss jetzt seinem Volk verkünden, dass die goldenen Zeiten vorüber sind und vielleicht nie wieder kommen. Die Zeichen der amerikanischen Misere sind überall sichtbar: zwei Kriege, eine marode Infrastruktur und eine notleidende Wirtschaft. Auch Philipp Schläger nennt diese Probleme. Aber er vergisst, welche geradezu übermenschlichen Anstrengungen notwendig sind, um sie zu lösen. Amerika hat sich der Realität lange verweigert und sich gebetsmühlenartig eingeredet: "Wir sind die Nummer eins, die Nummer eins, die Nummer eins!" Jetzt soll es Obama richten – und zwar sofort. Geduld ist keine amerikanische Tugend. Schläger hat recht: Obama hat Zugeständnisse gemacht und aus politischem Kalkül von einigen Reformversprechen – wie etwa dem Klimaschutzgesetz – Abstand genommen. Auch das Gefangenenlager von Guantánamo steht leider immer noch. Doch der deutsche Autor verdrängt, dass nur ein kompromissbereiter Obama eine allgemeine Krankenversicherung und härtere Finanzmarktregeln durchsetzen konnte. In seiner kurzen Zeit als Präsident hat er mehr gestemmt als die meisten seiner Vorgänger. Barack Obama war schon immer ein auf Ausgleich bedachter Pragmatiker, einer der schon früh von einer Koalition der Vernunft träumte und lieber erst einmal zuhört als mit einer festen Meinung vorzupreschen. Das alles erfährt man bei David Remnick. Er macht das vielschichtige Phänomen namens Barack Obama lebendig und begreifbar.


    Remnick, David: Barack Obama, Leben und Aufstieg. Berlin Verlag, 976 Seiten, 34 Euro. ISBN 978-3827008930 und
    Schläger, Philipp: Der entzauberte Präsident. Barack Obama und seine Politik. Rotbuch Verlag, 192 Seiten, 9,95 Euro. ISBN 978-3867891134