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Auf der Suche nach Mladic und Hadzic

Das Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien soll spätestens 2014 seine Arbeit abgeschlossen haben. Doch zwei der insgesamt 161 Angeklagten sind immer noch auf freiem Fuß - der serbisch-kroatische Politiker Goran Hadzic und General Ratko Mladic, der sich wegen Völkermordes in Srebrenica zu verantworten hat.

Von Kerstin Schweighöfer | 24.09.2010
    Prozessalltag am Haager Jugoslawientribunal: Im dritten Gerichtssaal muss sich der serbische Nationalist Vojislav Seselj verantworten, im ersten Serbenführer Radovan Karadzic. Gleich sieben Verfahren laufen derzeit gleichzeitig. Das Tribunal setzt zum Endspurt an. Spätestens 2014 soll es schließen. Doch zwei der insgesamt 161 Angeklagten sind immer noch auf freiem Fuß - der serbisch-kroatische Politiker Goran Hadzic und General Ratko Mladic: Seit 15 Jahren wird er wegen Völkermordes in Srebrenica gesucht: Ohne Mladic und Hadzic zur Rechenschaft gezogen zu haben, könne dieses Tribunal seine Arbeit nicht beenden, so Chefankläger Serge Brammertz:

    "Das wäre eine Schande, die Glaubwürdigkeit der internationalen Staatengemeinschaft steht auf dem Spiel. Denn gerade um Verbrechen wie Srebrenica zu sühnen, wurde dieses Tribunal ja gegründet. Es wäre eine Katastrophe für die Überlebenden und für die Angehörigen der Opfer. Es würde der Versöhnung und der Stabilität auf dem Balkan im Weg stehen. Und es wäre ein falsches Signal: Kriegsverbrecher in aller Welt könnten sich dann sagen: Wir brauchen nur lange genug zu warten und dann gehen wir straffrei aus."

    Bislang hat Brüssel den EU-Beitritt Serbiens von der Zusammenarbeit mit dem Tribunal abhängig gemacht. Insbesondere die niederländische Regierung hatte die Auslieferung von Mladic immer wieder als Bedingung genannt - nicht zuletzt deshalb, weil es niederländische Blauhelme waren, die das Massaker von Srebrenica 1995 nicht verhindern konnten. Srebrenica gehört seitdem zu den schwärzesten Kapiteln der niederländischen Geschichte. Serbien müsse alles tun, so betonte der niederländische Außenminister Maxime Verhagen deshalb immer wieder, um dafür zu sorgen, dass Mladic vor dem Jugoslawientribunal lande.

    Doch inzwischen hat sich der anfängliche Widerstand der Niederländer gelegt: Denn erstens hat Serbien im Kosovokonflikt eingelenkt: Belgrad verweigert nicht länger den Dialog mit dem Kosovo, das sich unabhängig erklärt hat, aber von Serbien immer noch als Teil seines Staatsgebiets betrachtet wird. Anfang September hat die serbische Regierung zur Erleichterung von Brüssel einen umstrittenen Entwurf für eine Kosovoresolution vor den Vereinten Nationen abgeschwächt. Jetzt stehen die Zeichen in dieser Frage auf Dialog.

    Zweitens hat Chefankläger Brammertz den Serben im Juni in seinem Halbjahresbericht bescheinigt, dass die Zusammenarbeit mit dem Tribunal in einigen Punkten durchaus besser geworden sei.

    "Die EU-Außenbeauftrage Catherine Ashton machte daraufhin hocherfreut den Weg für die Ratifizierung des EU-Annäherungsabkommens mit Serbien frei."

    Chefankläger Brammertz allerdings fragt sich seitdem verwundert, ob die EU-Minister seinen Bericht vielleicht zu schnell überflogen oder gar falsch interpretiert und zu viel Nachdruck auf die positiven Dinge gelegt haben:

    "Was die laufenden Verfahren betrifft, ist die Zusammenarbeit mit Belgrad zufriedenstellend, das stimmt. Aber was die beiden noch flüchtigen Angeklagten betrifft, haben wir große Bedenken geäußert. Da waren wir sogar noch kritischer als in unserem vorletzten Bericht vom Dezember 2009. In Sachen Aufspüren und Ausliefern von Mladic und Hadzic sind wir alles andere als zufrieden, da muss weitaus mehr geschehen!"

    Das Tribunal selbst hat keine eigene Polizeimacht, bei der Auslieferung von Verdächtigen ist es auf die Unterstützung der Staatengemeinschaft angewiesen. Politischer Druck hat sich dabei seit seiner Gründung 1993 als erfolgreichste Methode erwiesen.

    Für Brammertz ist es besonders wichtig, dass diese "Konditionalität", wie er es nennt, auch in der Schlussphase beibehalten wird. Anders gesagt: ohne Mladic und Hadzic vor dem Gericht in Den Haag kein EU-Beitritt für Serbien. Der Kampf gegen die Straflosigkeit, betont der Chefankläger, dürfe nicht zugunsten geopolitischer Interessen auf den zweiten Platz verdrängt werden:

    " "Jedes Mal, wenn ich mit Politikern in Europa oder anderswo spreche und Gerechtigkeit fordere, bekomme ich Eindruck, um etwas von gestern zu fragen, es sei höchste Zeit, endlich nach vorne zu schauen. Wer an der Wichtigkeit der Auslieferung von Mladic zweifelt, dem rate ich, nach Srebrenica zu reisen und mit den Angehörigen der Opfer zu sprechen. Für sie ist dieses Massaker keine 15 Jahre her, es beherrscht ihr Leben noch immer. Es ist ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Deshalb fordern sie die Verhaftung von Mladic. Ihre Geliebten bekommen sie dadurch nicht zurück, das wissen sie auch. Aber wenigstens, und darum geht es ihnen, werden die Täter zur Rechenschaft gezogen. "