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Auf die Plätze, fertig, kleb!

Technologie.- Als einst die ersten Plasmaentladungen in einem Labor aufglimmten, dachte noch niemand daran, dass diese Entdeckung zu Leuchtstoffröhren führen würde. Völlig offen ist auch, was aus einer neuen Entdeckung Münchner Nanowissenschaftler werden könnte – Moleküle, die auf Knopfdruck kleben bleiben.

Von Hellmuth Nordwig |
    In der Natur ist es genau wie auf vielen Schreibtischen: Unordnung ist der Normalzustand. Zum Beispiel winden sich kettenförmige Moleküle, sogenannte Polymere, am Liebsten so unberechenbar wie möglich – wenn sie in einem Lösungsmittel schwimmen, gerne auch völlig verknäuelt. Hermann Gaub, Professor am Münchner Zentrum für Nanowissenschaften:

    "Das Polymer möchte so ungeordnet wie möglich sein, man spricht da von Entropie. Wenn es jetzt auf eine Oberfläche trifft, dann hat es die Wahl: Es kann Bindungsenergie gewinnen, indem es mit der Oberfläche wechselwirkt, muss aber dafür etwas von seiner Unordnung aufgeben. Und das Molekül sucht einen Kompromiss."

    Der sieht so aus, dass sich die Molekülkette zwar auf die Oberfläche legt, aber eben nicht schön gerade, sondern in vielen unordentlichen Schleifen. Das kann auch beim Spaghettiessen passieren, wenn man versucht, eine Nudel mit der Gabel behutsam auf dem Teller abzulegen.

    "Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder haben Sie ein klebriges Spaghetti, das wird mit der Unterlage überall eine klebrige Verbindung eingehen. Wenn das Spaghetti allerdings ölig ist, dann wird es auf der Unterlage nachrutschen. Und das ist ein wichtiger Unterschied, der für viele Anwendungen entscheidend ist: Ob diese Moleküle sich auf der Unterlage bewegen können, dann könnten sie die Wirkung von Schmierstoffen haben. Oder ob sie auf der Oberfläche kleben, dann könnten es Kleber sein."

    Hermann Gaub verfügt über eine von wenigen Versuchseinrichtungen weltweit, mit denen man einzelne Molekülfäden anfassen, auf einer Unterlage ablegen und sie wieder wegziehen kann. Eine Art Gabel, wie sie ein Kind benutzt, wenn es herausfinden will, ob eine Nudel auf dem Teller rutscht oder kleben bleibt, bis sie abreißt. Seine Nano-Gabel hat dem Münchner Physiker zu einer entscheidenden Entdeckung verholfen: Ob ein Molekül festklebt oder nicht, das hängt vor allem von der elektrischen Ladung der Unterlage ab.

    "Dann ist es sehr naheliegend, dass man Systeme wählt, wo man elektrisch die Ladung der Oberfläche steuern kann und damit die Bindungskraft des Polymers an die Unterlage steuert. Genau das haben wir gemacht. Man kann das so tun, dass die Oberfläche isolierend ist. Dann kann man elektrisch Ladungen durch Aufladen eines Kondensators in die Grenzfläche bringen und damit die Adsorption steuern. Wir haben das mit DNA-Molekülen – für die interessieren wir uns aus biophysikalischen Gründen besonders – demonstriert, dass es möglich ist, die elektrisch auf die Oberfläche zu binden oder sie von der Oberfläche zu vertreiben."

    Die heute üblichen Kleber nutzen dagegen chemische Reaktionen, die oft mehrere Minuten dauern. Hermann Gaubs Entdeckung eröffnet also eine ganz andere Möglichkeit: Kleben auf Knopfdruck. Man legt einen Schalter um, und augenblicklich wird eine bis dahin ölig-rutschige Substanz zum Klebstoff. Und, vielleicht genauso attraktiv: Schaltet man den Strom wieder ab, löst sich die Klebeverbindung.

    "Es gibt viele Anwendungen, wo man sich wünschen würde, dass das Trennen von einem Kleber etwas elektrisch gut Kontrolliertes ist. Man kann sich aber auch vorstellen, dass das elektrische Aufbauen einer Verbindung reizvoll sein könnte: Sie wollen ein Bauteil irgendwo positionieren und dann machen Sie 'schnalz', und es ist fest. Sie müssen nicht die Topfzeit abwarten, sondern sie können das elektrisch schalten. Und wenn es an der falschen Stelle ist, können Sie die Verklebung trennen und können auch das elektrisch machen. Elektrisch von außen einzugreifen, macht einfach physikalische Phänomene wie Klebung oder Reibung direkt kompatibel mit allem, was wir an hoch integrierter Elektronik haben."

    Bei Hermann Gaub haben bereits Firmen angeklopft, die sich dafür interessieren, elektrisch schaltbare Kleber zur Marktreife zu entwickeln. Wann es die geben wird und wofür genau, das ist aber noch offen. Hier ist noch viel Spielraum für Fantasie – vielleicht kommt ja einem der Entwickler die entscheidende Idee beim Spaghettiessen.