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Auf Streife mit dem Cross-Motorrad

Zwei Polizisten sind rund um die Uhr auf der kleinen, brasilianischen Insel Boipeba im Einsatz. Sie kennen jeden Bewohner, jedes Problem - und sind auf ihren Cross-Motorrädern Tag und Nacht unterwegs. Jörg-Christian Schillmöller und der Fotograf Dirk Gebhardt sind mitgefahren.

Von Jörg-Christian Schillmöller | 07.11.2013
    Es ist Nachmittag auf der Insel Boipeba, die Sonne steht schon tief, und hier unten am kleinen Hafen laden die Packer gerade das Frachtschiff aus, das die Insel jeden Tag versorgt. Gleich daneben liegt die Polizeistation - ein schmuckloses, beige verputztes Haus mit gefliestem Boden.

    Ich bin Washington und arbeite seit sieben Jahren hier, sagt der junge Militärpolizist. Er und sein Kollege Filho tragen eine khakifarbene Uniform mit kurzen Ärmeln und eine kugelsichere Weste, außerdem Pistole und Funkgerät. Wir wollen mit Washington und Filho auf Streife gehen - oder besser: fahren.

    Wir drehen jetzt eine kleine Runde, sagt Washington, und wir suchen dabei den Kontakt zur Bevölkerung. Die beiden Cross-Maschinen vom Typ Yamaha XTZ 125 leuchten weiß-blau im Sonnenlicht. Auf dem Schutzblech tragen sie den Aufkleber "Polícia Militar" und die Nummern 7 und 8. Dass eine der Maschinen so gut wie keinen Sprit mehr hat, wissen wir jetzt noch nicht. Der Fotograf Dirk Gebhardt und ich steigen hinter den beiden Polizisten auf die Crossräder.

    Washington fährt den Hügel vom Hafen hinauf zum Dorfplatz. Dort liegt die kleine Klinik der Insel, dahinter biegen wir links ab in die schmale Dorfstraße mit Lebensmittelläden, ein paar Restaurants und zwei Internetcafés. Es ist nicht so einfach, sich mit der einen Hand festzuhalten und mit dem Mikrofon in der anderen Hand Fragen zu stellen.

    Auf die Frage, warum er als Polizist arbeitet, antwortet Washington ohne zu zögern: "Weil ich mich damit identifizieren kann." Wieder geht es einen Hügel hinauf, diesmal über Kopfsteinpflaster. Dort oben liegt die 400 Jahre alte katholische Kirche der Insel, die Fassade leuchtet in hellblau und weiß. Der Blick ist spektakulär, bis zum Horizont ziehen sich Strände, Palmen, Mangroven und der Atlantische Regenwald.

    "Früher haben die Leute diesen Ort hier als Drogenumschlagplatz genutzt, weil er etwas isoliert ist. Auch die Drogenkonsumenten hielten sich hier auf, aber dann haben wir unsere Arbeit hier intensiviert und die Bar dort hat aufgemacht, und heute nutzen die Menschen den Ort als Ausflugsziel."

    Wir fahren den Kirchenhügel wieder hinunter, und biegen dann links durch ab in das Dorf. Washington begrüßt so gut wie jeden hier. Die Ortsteile, erklärt er, haben bei uns eigene Namen: Ribeirinho, Tiririca, Matanca. Und dann gibt unser Crossrad plötzlich den Geist auf. Washington greift zum Funkgerät, denn sein Kollege Filho ist schon weitergefahren.

    Wir stehen an der Piranha-Brücke, sagt Washington, kannst Du ein bisschen Sprit holen? Der Grund ist einfach: Die Cross-Maschinen sind nagelneu, sie kamen erst gestern mit dem Schiff an und waren nicht vollgetankt.

    Ein Betrunkener schwankt vorbei. Washington kennt auch diesen Mann und fragt freundlich, na, trinkst Du wieder? Wir nutzen die Zeit ohne Cross-Rad und gehen ein Stück zu Fuß. Ein Handschlag hier, ein Küsschen da: Washington stellt uns das halbe Dorf vor. Es ist ihm wichtig, zu signalisieren: Wir stehen in engem Kontakt zu den Menschen. Das ist nicht selbstverständlich in Brasilien - gerade im Zuge der Massenproteste im Juni stand die Polizei in der Kritik, weil sie rasch und hart durchgriff. Vor der Streife auf dem Motorrad haben wir mit dem Chef von Washington und Filho gesprochen, mit dem Kommandanten Gilbert. Er sagt deutlich: Die Position der Militärpolizei ist nicht einfach, denn im Grunde unterstützen die Polizisten die Proteste.

    "Ich sehe das als positiv und legitim an. Die Bevölkerung und auch die Polizei hatte es satt, allen waren müde von den Versprechen der Politik und der Korruption. Darum ist es angemessen, in friedlicher Form für einen Wandel zu demonstrieren. Wir als Militärpolizei sind aber nun einmal auch der starke Arm der Regierung, und das heißt: Wir müssen die öffentliche Ordnung gewährleisten."

    Zurück bei Washington, dem Inselpolizisten. Sein Kollege Filho hat inzwischen in einer 1,5-Liter-Plastikflasche etwas Treibstoff mitgebracht. Wir tanken - und starten zum letzten Teil der Motorrad-Streife.

    Es dämmert schon, die Sonne geht hier immer gegen 18 Uhr unter, der Äquator ist nicht weit. Washington berichtet, dass es der Insel heute schon viel besser geht, dass ein Krankenhaus und eine Schule gebaut wurden - und dass trotzdem noch viel zu tun ist.

    "Es gibt noch große Unterschiede in der Lebensqualität der Anwohner. Jetzt gerade sind wir im Viertel Tiririca. Hier wohnen Menschen mit wenig Kaufkraft, arme Menschen, und hier gibt es noch Häuser aus Holz- und Lehm, weil die Menschen kein Geld für bessere Häuser haben - und damit auch für eine bessere Lebensqualität."

    Polizeistreife in Brasilien: Eineinhalb Stunden dauert die Fahrt, und später bestätigen uns mehrere Dorfbewohner, dass Soldat Washington wirklich ganz in Ordnung ist und dass der enge Kontakt zu den Menschen nicht geheuchelt war, um der Presse ein gutes Bild zu vermitteln. Am Ende bleibt ein Eindruck: Mit Menschen wie Washington gelingt der Brückenschlag zwischen Militär und Bevölkerung. Im Kopf bleiben uns die Worte von Kommandant Gilbert, Washingtons Chef. Im Zweifelsfall, so hatte er gesagt, bedienen wir uns hier auf den Inseln des jeitinho brasilieiro. Das ist jene kaum zu übersetzende Fähigkeit, mit Improvisation und eher auf dem kleinen Dienstweg jedes Problem in den Griff zu bekommen.

    "Wenn wir kein Motorrad hätten, dann würden wir uns ein Auto suchen, und wenn wir das nicht finden, dann nehmen wir eben ein Pferd - aber wir werden es immer schaffen, die Menschen zu versorgen."

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    Boipeba Landkarte


    Unser Blog-Team: Jörg-Christian Schillmöller (links) und Dirk Gebhardt