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Aufreger im Bücherregal

"Wer heute die Werte der Aufklärung verteidigen will, der muss intolerant sein". So lautet die zentrale These von Henryk M. Broders neuem Buch. Darin widmet sich der Autor in der ihm eigenen bissigen, streitlustigen Art dem Umgang verschiedener Kulturen miteinander. Michael Köhler hat die Streitschrift gelesen.

    Dieses Buch schürt Ressentiments. Dieses Buch ist einseitig, es ist islamfeindlich, es ist integrationsskeptisch, es ist kulturkritisch und westlich-arrogant. Es ist überheblich und übermütig, kämpferisch und polemisch.

    Kann man Besseres über ein Buch sagen, dass streitlustig sein und wirken will? Henryk M. Broder ist für manchen Leser ein rotes Tuch, weil er mit dem schwarzen Besteck aus Fremdenfeindlichkeit und kultureller Überlegenheit zu spielen scheint.

    Wenn "Ehrenmorde" als ganz normale Verbrechen gelten oder wenn Terroristen zu "Widerstandskämpfern" deklariert werden, dann wird Intoleranz zur Pflicht und Tugend, so der leitende Gedanke in Broders Buch "Kritik der reinen Toleranz".

    "Intoleranz bedeutet heute, dass man bestimmte Sachen einfach nicht dulden darf. Ich sag ihnen gerne ein Beispiel, weil ich ungern im Theoretischen verbleibe. Das Osnabrücker Symphonieorchester fährt immer wieder zu Sinfonie-Konzerten nach Teheran. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen, wenn das Osnabrücker Symphonieorchester nicht nach den Regeln des Gastgeberlandes spielen würde.

    Das heißt, die Musikerinnen im Orchester verhüllen sich, tragen Schleier oder schleierartige Gewänder, und das Orchester spielt auch nicht Kompositionen jüdischer Komponisten, es spielt auch kein Requiem, es spielt neutrale Klassik, um die Gastgeber nicht zu provozieren.

    Das geht nicht, weil zu der Zeit, wo das Orchester hinfährt, nicht am selben Tag, aber im selben Zeitraum, werden Homosexuelle an Baukränen aufgehängt und untreue, ehebrüchige Frauen gesteinigt. Das kann es nicht geben. Das ist eine Form der Toleranz, die tödlich ist, die mörderisch ist, die unsolidarisch ist, die über die Opfer hinwegsieht."

    Intoleranz sei eine Tugend, die mit Nachdruck vertreten werden muss, denn Toleranz sei die Einladung zum Selbstmord. Davon handelt das kleine Buch. Es wirft damit den landläufigen Begriff von Toleranz als großzügige Duldung über den Haufen und behauptet, Toleranz sei eine Form bequemer Gleichgültigkeit. Insofern ist das Buch engagiert. Es ruft zum Engagement für demokratische Grundwerte auf.

    "Ja, Toleranz ist ein Zeichen von Schwäche, wenn sie so wollen von Gleichgültigkeit, von Ignoranz. Es ist jedenfalls keine Tugend. Im Übrigen, eins will ich klarstellen, ich bin kein Polemiker. Wenn etwas polemisch ist, ist es die Wirklichkeit, die Realität in der wir leben. Ich reproduziere sie nur, ich spiegele sie, ich nehme sie zur Kenntnis. Insofern bin ich für die Zustände nicht verantwortlich."

    Henryk M. Broder scheint damit rechtes Ressentiment und kulturkritische Pessimisten zu bestätigen. Eltern, die ihren Kindern bei Tisch erlauben zu schreien, zu stören und andere am Hosenbein zu ziehen, sind nicht tolerant, sondern üben falsche Liberalität aus und missachten die Rechte anderer. So wie Bildung durch kritisches Bewusstsein ersetzt worden ist, ist gutes Benehmen durch schlechte Toleranz ersetzt worden.

    "Toleranz ist nicht nur ein Zeichen von Schwäche, es ist auch ein Nicht-zur-Kenntnisnehmen-Wollen von realen Zuständen. Das finde ich noch viel schlimmer. Wenn wir vieles, was wir nicht zur Kenntnis nehmen wollen, zur Kenntnis nehmen würden, müssten wir uns überlegen, was machen wir jetzt. Und wir kämen nicht weiter mit der Frage der runden Tische, mit der Frage der Dialoge auf Augenhöhe.

    Ich kann leider keinen Dialog mit jemandem auf gleicher Augenhöhe führen, der mir erklärt, du bist Scheiße, denn du liebst das Leben. Ich aber bin großartig, denn ich liebe den Tod. Ein Kannibale und ein Vegetarier können nicht einen Dialog auf gleicher Augenhöhe führen.

    Aber wenn ich das alles toleriere, wenn ich sage: Okay , das ist eine andere Kultur und da gelten andere Werte, gehe ich einem Konflikt aus dem Wege. Das heißt, ich tue mir einen Gefallen, nicht demjenigen den ich toleriere. Insofern ist Toleranz Feigheit, Faulheit, Bequemlichkeit und eine Konfliktvermeidungsstrategie."

    Der Autor zieht einen Begriff heran, der aus dem 18. Jahrhundert kommt und heute als Total-Entschuldigungsvokabel für allerlei gesellschaftliche, individuelle und kollektive Entgleisungen herhalten muss. Er kommt aus einer Zeit in der Staat und Religion noch nicht getrennt waren. Heute ist das anders. Broder macht aber keine Arbeit am Begriff. Er liefert keine historische Begriffsgeschichte und sprachliche Verwendungsweise von "Toleranz". Das ist unsystematisch. Broder erlaubt sich gewissermaßen selber historische Toleranz, die er anderen abspricht. Er fasst unter dem Begriff alle paradoxen Erscheinungen unserer Zeit zusammen und hält den Begriff für angestaubt.

    Insofern tut er etwas Kluges, was die deutschen Romantiker schon erkannt haben. Er legt die Doppelstruktur des Guten und Bösen frei; dass es nämlich immer auch sein Gegenteil beinhaltet. Der Geist, der stets das Tolerante will und doch das Intolerante schafft. Toleranz - so Broder - sei nämlich "ein Instrument, das auch der Rücksichtslosigkeit den Weg ebnet".

    "Und wenn sie heute bürgerliche, zivile Rechte, die Errungenschaften der Zivilisation verteidigen wollen, dann müssen sie intolerant sein. Sie müssen intolerant sein gegenüber Leuten, die die Toleranz der Gesellschaft nur missbrauchen, um ihren eigenen Standpunkt totalitär oder zumindest autoritär durchzusetzen."

    Toleranz kann genau das Gegenteil dessen erzeugen, was sie vorgibt zu sein. Sie ist nicht großherzig duldend, sondern billigt mit zugekniffenen Augen Unrecht. Broder spricht von Toleranz, meint aber falsche Liberalität. Er spricht von Intoleranz der Stärke und meint das Recht der demokratischen Mehrheitsgesellschaft und die Rechte, die Minderheiten schützen, ihnen aber nicht alles durchgehen lassen sollten. Seine rhetorischen Interventionen leben von begrifflicher Unschärfe, klugen und heiteren Reihungen.

    Es gibt in Deutschland nur eine Handvoll Autoren, die so aufregen und spalten können. Im Grunde ist er ein moderner konservativer Revolutionär. Das macht ihn bei Rechten so populär und Linken verhasst. Man muss ihm für diese intellektuelle Chuzpe dankbar sein. Denn Demokratie erzeugt ästhetisches Mittelmaß und Langeweile. Broders Buch ist das alles nicht. Es ist eine frisch aufgegossene Frontstellung des alten Streites zwischen Kultur und Zivilisation und keine philosophische Kritik.

    "Nein, es ist natürlich kein philosophisches Buch. Es ist ein Protokoll, wenn Sie so wollen. Eine Streitschrift, das ist mir schon zu ambitioniert. Es ist eine Bestandsaufnahme, eine Momentaufnahme. Und Momentaufnahmen sind vielleicht in einem Jahr verjährt, aber in50 Jahren werden sie wieder gelesen werden."

    Henryk M. Broder: Kritik der reinen Toleranz
    Verlag Wolf Jobst Siedler, Berlin 2008
    214 Seiten, 18,00 Euro.