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Aufstand der Maschinen

Wer die Darwinsche Evolutionstheorie weiterdenkt, kommt zu einem erschreckenden Schluss. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass sich eines Tages Computer menschliches Wissen aneignen und ein Eigenleben entwickeln. Werden sie sich dann den Menschen noch als Haustier halten?

Von Peter Leusch | 14.09.2006
    "Ist das die Zukunft des Menschen: dieser kleine 1,60 Meter große Asimo von Honda, bei dem sie keine Chance haben werden. Sie werden reagieren, wenn der mit ihnen kommuniziert. Und der kann mit ihnen kommunizieren, wenn der auf der Bühne vor Ihnen tanzt. Oder tanzen wir selber auf der kosmischen Bühne? - Was ist der Mensch?

    Und damit danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit."

    Hubert Meisinger, Theologe und Studienleiter der Evangelischen Akademie Arnoldshain, spielt gegen Ende seines Vortrags auf den kleinen Roboter von Honda an. Wohin steuert die Evolution? Wird vielleicht ein Cyborg den Menschen in seiner Herrenrolle ablösen?

    Die Diskussion um die Evolutionstheorie geht weiter, 175 Jahre nachdem ihr Begründer Charles Darwin zu seiner dreieinhalbjährigen Weltreise aufbrach. Damals kehrte der junge Theologe mit Erkenntnissen zurück, die ihn, wie er selber eingestand, an die "Schwelle zur Ketzerei" führten. Denn Darwin lehrte, dass die Natur nicht durch sinnvollen Plan, sondern vom Spiel des Zufalls gelenkt werde. Neue Arten entstehen, indem sich bereits vorhandene variieren. Und der Wettbewerb zwischen dem Neuen und dem Alten entscheidet, wer überlebt.

    Wie kaum eine zweite naturwissenschaftliche Theorie löste der Darwinismus ideologische, kulturelle und religiöse Debatten aus - bis in die Gegenwart, wo in US-Bundesstaten darüber gestritten wird. ob Biologie oder Bibel den Schulkindern die Abstammung des Menschen erklären soll. Und hierzulande dringt die Evolutionstheorie in verschiedene Wissenschaftsfelder.

    "Evolution ist so ein heißes Thema der momentanen wissenschaftlichen Diskussion, und wir haben gemerkt, dass Evolution in verschiedenen Fachbereichen vollkommen anders diskutiert wird, da reden Leute nebeneinander her. Und wir wollten dafür sorgen, dass einige Leute miteinander auf einer Tagung im kleinen Rahmen diskutieren können."

    Sascha Dickel vom Delfi-Network, einer Frankfurter Initiative von Nachwuchswissenschaftlern und Studenten, hat Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zu Vortrag und Diskussion eingeladen. Die interdisziplinäre Tagung eröffnete der Physiker Bertram Köhler. Er hat in seinem Vortrag die Evolution zu einem Modell umfassender Welterklärung ausgebaut. Dazu verwendete er den Begriff des Mems. In Analogie zum Gen, das die biologischen Erbanlagen benennt, soll das Mem die kleinsten Einheiten aus Kultur, Wissenschaft und Technik bezeichnen, die gespeichert und weitergegeben werden.

    Und Bertram Köhler spekuliert, was passiert, wenn Computer solche Meme, also Wissen und Erfahrungen, für ihre Weiterentwicklung speichern und selbstständig nutzen können:

    "Wenn die Computer die Stufe erreichen, dass sie sich selbstständig entwickeln können, dann nehmen sie sicher auch untereinander Beziehungen auf, das machen sie heute schon. Wenn man an das Internet denkt, alle Computer sind schon miteinander in Kontakt und tauschen Informationen aus, das kann die Grundlage dafür sein, dass in Zukunft ähnliche Beziehungen aufgebaut werden wie wir sie heute von Menschen kennen.

    Das ist natürlich eine Entwicklung, wie lange die dauert, kann man heutzutage nicht sagen, beim Menschen haben sich diese Beziehungen über einen Zeitraum von 100.000 Jahren entwickelt. Und wenn man den Menschen nicht als etwas Besonderes sieht, wo eine höhere Macht, ein lieber Gott ihm den Geist gespendet hat, sondern wenn sich das alles auf natürliche Weise, entwickelt hat, dann gibt es gar keinen Grund warum den Computern nicht ebenfalls zusprechen kann, dass sie solche Eigenschaften entwickeln können."

    Solche Entwürfe von der Entthronung des Menschen, der dann vielleicht zum Haustier der Computer herabsinkt, provozieren nicht allein die Theologie. Aber von fortgeschrittener theologischer Seite hört man nicht nur Verteidigungsreden. Hubert Meisinger führt in seinem Vortrag Denker an, die offensiv reagieren und die Neuerungen der Technik gewissermaßen theologisch vereinnahmen.

    "Es gibt für mich einen ganz spannenden Ansatz eines amerikanischen Theologen, Philip Hefner, der hat als grundsätzliche Denkvoraussetzung, dass er sagt: 'Die Evolutionstheorie denkt die Fuß-Spuren Gottes in der Welt nach.'

    Phil Hefner ist jemand, der sehr gut zuhören kann, wenn Naturwissenschaftler sprechen, und der versucht, modernste naturwissenschaftliche und technische Erkenntnis mit einzubeziehen, gerade was die Entwicklung des Menschen angeht. So auch der Cyborg, der technisch gestylte Mensch, ist bei ihm nicht außerhalb der theologischen Denke, sondern ist letztendlich auch ein Geschöpf als Ebenbild Gottes, weil Technik ein Teil unserer Fähigkeiten als geschaffene Mitschöpfer ist - createt Co-creator ist sein zentraler Begriff, der geschaffene Mitschöpfer - und dazu gehört eben auch die Möglichkeit, technische Artefakte zu erzeugen."

    Die Evolutionstheorie entwickelt sich auch in den Naturwissenschaften weiter. Einer ihrer fruchtbarsten Zweige ist die so genannte Frankfurter Evolutionstheorie. Während Bertram Köhler die Evolution gleichsam zur Welterklärung ausbaut, vollzieht die Frankfurter Evolutionstheorie eine strenge Rückkehr in die Biologie. Einer ihrer Hauptvertreter, der Neurobiologe Michael Gudo, erklärt, dass man in diesem Ansatz die ideologisch missbrauchten Begriffe von Darwin, wie das berühmte Survival of the fittest, das Überleben der Angepassten, verabschiedet hat. Aber Gudo hält den Grundgedanken der Evolutionslehre fest und empfiehlt ihn auch anderen Disziplinen bei der wissenschaftlichen Erklärung der Welt. Das ist die Idee des steten Wandels.

    Gudo : "Die Tatsache, dass alle Vorgänge in der Natur, ebenso wie in der Gesellschaft, einem kontinuierlichen Wandel, einer kontinuierlichen Veränderung unterliegen - dass es Stasis eigentlich nicht gibt, oder wenn es sie gibt, dann in der Regel zu schlechtem Ausgang führt. Stasis in der Evolutionsgeschichte, im Fossilbefund ist immer ein Teil des Aussterbens gewesen, das heißt was wir aus der Evolutionstheorie und -forschung übernehmen können - als Allgemeinverständnis, wäre ein prozessuales Verständnis unserer Welt. Dass unsere Welt sich in kontinuierlichem Wandel befindet, und dass Stasis, die Stagnation und die Nichtveränderung das schlechtere sind."