Samstag, 20. April 2024

Archiv


Auftakt mit starken Frauen

"Ihr seid also Jack Sparrow.” - "Fehlt da nicht irgendwo ein Captain. Kennt ihr das Gefühl, wenn man irgendwo runterspringen will.” "Haben das auch alle gesehen, weil ich das nicht noch mal machen werde.”"

Von Josef Schnelle | 14.05.2011
    Das Kino kommt vom Jahrmarkt. Deswegen gehört auch Jack Sparrow hierher mit seinem neusten Piratenabenteuer "Fremde Gezeiten”, in dem er sich auf die Suche nach dem Brunnen der ewigen Jugend begibt. Heute Abend, eine Woche vor dem weltweiten Start des Films, werden also Johnny Depp und Penelope Cruz über den Roten Teppich schreiten und nach 24 Stufen oben angekommen eine nagelneue 3-D-Brille bekommen wie alle anderen Besucher des jetzt schon feststehenden Kassenerfolgs des Kinosommers.

    Das ist keine große Filmkunst. Aber am ersten Wochenende ist Cannes sowieso ein Rummelplatz. Gigantische Stiefel auf der Mole vor dem Carlton-Hotel werben schon mal für die neuste Verfilmung des gestiefelten Katers. Jack Black posiert als Boxer vor einem überlebensgroßen Kung-Fu-Panda, dessen zweiter Teil ansteht. Bloß nicht die Kulissen klein und überschaubar halten. Sonst sähe man noch die Realität hinter der Illusion.

    Drinnen – im Wettbewerbskino "Grand Théâtre Lumiere" – geht es hingegen realistisch zu – zum Beispiel in "Polisse” von der französischen Schauspielerin Maiwenn. Es geht um eine Polizeieinheit, die sich mit Kindermissbrauch beschäftigt. Soviel – übrigens fast unerträgliche – Wirklichkeit war lange nicht mehr im Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes, weswegen der aufrichtige, spannende und temporeiche Film sogleich als Anwärter auf die goldene Palme gehandelt wird. Die Regisseurin spielt in diesem Ensemblestück auch gleich mit als Fotografin, die die Kinderschutzeinheit bei ihrer Arbeit beobachtet. Genauso hat es wohl auch Maiwenn selbst ihre Recherchen gemacht für dieses "Cinema Verité” für dieses Stück Kinowirklichkeit, das mit all den schrecklichen Details des Missbrauchs und der bedrohten heilen Welt der Kindheit ganz entschieden an die Nieren geht. Auch die Polizisten können es kaum ertragen, weswegen – auch das wird in diesem Dokudrama gezeigt - ihr Privatleben durcheinander gerät.

    Lynne Ramsay aus Großbritannien hat sich mit "Wir müssen über Kevin reden” an einem Bestsellerroman von Lionel Shriver gehalten. Der Film erzählt die Vorgeschichte eines Schulmassakers. Tilda Swinton ist die Mutter eines von Anfang an feindseligen Kindes. Sie will es trotzdem lieben. Was auf tragische Weise nicht gelingt. Die schottische Schauspielerin charakterisiert das Projekt:

    ""Es ist ein großes Tabu: Die Möglichkeit als Frau ein Kind zu haben, zu dem man keine Verbindung findet. Es gibt sicher Millionen von Frauen, die darunter leiden, dass das so ist und dann mit einer Art Scham leben. Davon handelt der Film."

    Der Film psychologisiert nicht. Das Scheitern dieser Mutter-Sohn-Beziehung ist gesetzt. Aus kleinen Verletzungen und Traumata werden immer größere, bis man denken kann, der kleine Junge, der schließlich zu einem dunkel schillernden Prinzen heranwächst, könnte auch die andere Seite der Schizophrenie seiner Mutter repräsentieren. Ein Film über den Horror, der noch jedem Alltag innewohnt. Ein Horrorfilm, der mit kalter Hand dahin greift, wo das Herz sein sollte.

    So etwas Ähnliches muss auch Nanni Moretti vorgeschwebt haben, als er sein Film "Habemus Papam" geplant hat. Ein Papst stirbt. Die Kutten der Kardinäle flattern beim Begräbnis im Wind. Im Konklave werden sie sich trotzdem schnell einig. Michel Piccoli soll es machen. Der von ihm gespielte neue Papst aber schafft es nicht Mal auf den Balkon, von dem aus er die Gläubigen auf dem Petersplatz begrüßen soll.

    "Habemus Papam"

    Der neue Papst fühlt sich seiner Aufgabe gleich nicht gewachsen, flieht unerkannt in den römischen Alltag. Auch Regisseur Nanni Moretti, der sich als atheistischer Pfarrer in die Handlung geschmuggelt hat, kann daran nichts ändern. Und wenn der Papst – übrigens wüssten die Filmkritiker aus aller Welt hier in Cannes sicher keinen Besseren für den Posten als Michel Piccoli – aus seinem Ausflug in die Wirklichkeit wenigstens ein paar Reformideen für die katholische Kirche mit zurück in den Vatikan brächte, wäre das vielleicht ein ansehnlicher Film geworden. Ein bisschen mehr Jahrmarkt wäre an dieser Stelle vielleicht hilfreich gewesen.