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Augen auf im Schiffsverkehr

Durch die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko diskutiert man in Istanbul wieder hitzig über die Sicherheit des Bosporus-Schiffsverkehrs. Um sich vor einer solchen Katastrophe zu schützen, sind jeden Tag Dutzende Lotsen auf der Meerenge unterwegs, um die Hochseeschiffe aus aller Welt zu begleiten.

Von Steffen Wurzel | 16.07.2010
    Wir befinden uns in einem der wahrscheinlich attraktivsten Büros der Türkei: sehr geräumig, gut klimatisiert, große Fenster und ein sensationeller Blick über den Bosporus.

    Es ist eines der Büros der "Bosporus-Lotsen". Die Lotsen-Station steht rund 20 Kilometer nördlich des Zentrums von Istanbul am Ufer der Meerenge. Dort, wo der Bosporus ins Schwarze Meer mündet. Hier im Büro, im dritten Stockwerk der Lotsenstation, geht es zu wie im Flughafen-Tower: Schiffe, die vom schwarzen Meer aus in die Meerenge einfahren wollen, bekommen Nummern zugewiesen. Und per Funk und Computer-Navigation wird eines nach dem anderen in den Bosporus hineingelotst.

    Die eigentliche Arbeit verrichten die Lotsen aber draußen auf dem Wasser. Genauer gesagt direkt auf den Schiffen.

    Von der Station aus starten im Minuten-Takt kleine, wendige knallorangene Schnellboote und bringen die Lotsen zu den teilweise mehr als 200 Meter langen Ozeanriesen.

    Einer der Bosporus-Lotsen ist Ismail Akpınar.

    "Wir nähern uns jetzt mit dem Lotsenboot diesem bulgarischen Öltanker dort. Es wird einer unserer Lotsen an Bord gehen, damit der Tanker sicher von Nord nach Süd durch den Bosporus kommt.
    So, jetzt docken wir an. Der Lotse geht zur Strickleiter und klettert hoch. Oben auf dem Deck angekommen wird er mit einem Matrosen und einem Schiffsoffizier die Treppen zur Brücke hinaufgehen und dort wird er dem Kapitän die nötigen Instruktionen geben, damit das Schiff sicher durchkommt. Der Lotse bleibt während der ganzen Durchfahrt an Bord."

    Die Verantwortung, die die Lotsen tragen, ist enorm. Die Meerenge ist ein Nadelöhr, teilweise weniger als 700 Meter breit.

    Von den großen Schiffen nimmt etwa jedes Zweite bei der Durchfahrt einen Lotsen an Bord. Diese kennen sich perfekt aus und wissen, wo genau die Schifffahrtsroute in der zickzackartigen Meeresenge verläuft, wo sind die berüchtigten Strömungen auftreten und wie und wo die Unterwasserkabel verlegt sind.

    Am anderen Ende der Meerenge werden die Lotsen wieder abgeholt.

    "Istanbul gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Stadt muss geschützt werden. Schutz brauchen auch die Delfine, die hier durch den Bosporus schwimmen. Sie sind vom Aussterben bedroht. Insgesamt gibt es im Bosporus 33 Fisch- und Säugetierarten, dessen Überleben von der Sauberkeit dieses Gewässer abhängen. Auch deswegen sollte das Rohöl besser über Pipelines transportiert werden und nicht mehr auf Öltankern durch den Bosporus."

    Dass nur knapp jedes zweite Schiff den Lotsendienst in Anspruch nimmt, liegt daran, dass es Geld kostet: Je nach Größe des Schiffs zwischen 300 und 3.000 US-Dollar pro Passage. Das Problem: Die Schiffe dürfen nicht zu einer Begleitung durch Lotsen verpflichtet werden, das ist völkerrechtlich nicht möglich. Der Bosporus wurde 1936 im Vertrag von Montreux als internationales Gewässer definiert. Öl- und Flüssiggastanker, Containerschiffe, Frachter mit Chemikalien an Bord; sie alle haben in Friedenszeiten grundsätzlich freie Fahrt.

    Manche Reedereien, vor allem die kleineren, bestehen deswegen darauf, ungelotst den Bosporus zu passieren. Für Ismail Akpınar unbegreiflich.

    "Über allem sollten das Wohl und die Sicherheit der Menschen stehen. Dann kommt der Umweltschutz. Der Profit der Transportunternehmen sollte ganz hinten anstehen."

    Rund 250.000 Tonnen Rohöl werden täglich durch den Bosporus bugsiert - und damit Mitten durch die Millionenmetropole Istanbul. Das Wissen, dass ständig etwas passieren könnte, bekommt Ismail Akpınar nie ganz aus dem Kopf. Noch nicht mal nach Feierabend und an freien Tagen, wenn er sich mit seiner Familie ans Ufer des Bosporus setzt und eigentlich das Wasser und die Sonne genießen möchte.

    "Wenn ich in meiner Freizeit am Bosporus bin, kann ich nie ganz abschalten. Wenn ich die Schiffe beobachte, bin ich gestresst. Ich denke dann über ihre Route nach, ich fange an, Winkel zu berechnen und so weiter ... Und das alles, während meine Frau und die Kinder fröhlich aufs Wasser schauen."