Archiv


Augen im Dunkeln

Geoffrey Household ist ein Meistererzähler des knappen Entkommens. Seine Krimis handeln von Verfolgungsjagden: Dunkle, durch alle Maschen der Legalität schlüpfende Mächte haben es sich in den Kopf gesetzt, den Helden zur Strecke zu bringen. Und der bietet wahnwitzige, ganz auf die animalischen Resourcen des Körpers vertrauende Listen auf, um ihre perfiden Attacken zu parieren. Berühmt wurde Household als er 1939 den nervenzerreißenden Thriller "Einzelgänger, männlich" publizierte: Die Geschichte eines Mannes, der den Versuch unternimmt, Hitler zu erschießen und dabei von Leibwächtern gestellt wird. Schwer mißhandelt, gelingt es ihm zu entwischen. Sein einsame, durch mehrere Länder führende Flucht endet in einem Erdloch. Verdreckt, mittellos und in beständiger Alarmbereitschaft erwartet er derart verschanzt seine Häscher.

Ingeborg Harms |
    Households Roman fängt eine Panik ein, die Ende der dreißiger Jahre in Europa kursiert: Der Führer der Deutschen ist unverwundbar, und: trotz aller Klugheit entgeht man ihm nicht. Vom Echo, das "Einzelgänger, männlich" erhielt, bekam Household wenig mit. Er wurde für die letzten fünf Jahre des Krieges als englischer Geheimdienstoffizier nach Rumänien geschickt. Den jetzt im Haffmans Verlag erschienenen Verfolgungsthriller "Augen im Dunkeln" verfaßte der Autor nach seiner Rückkehr. Auch hier gibt es den idealistischen Helden, der als Spion für den britischen Geheimdienst im KZ Ravensbrück eine Buchhalterstelle übernommen hatte. Nun wird er von einem Unbekannten gejagt, der in ihm einen linientreuen Gestapo-Offizier zu erkennen glaubt. Der Jäger hat in dem Bedürfnis, seine im deutschen Lager ermordete Ehefrau zu rächen, bereits mehrere grausame Morde ausgeführt. Es ist sinnlos, sich vor seiner Raffinesse durch Polizeischutz zu sichern. Damit ist die Householdsche Ursituation aufgebaut: Der Einzelne auf der Flucht vor einer ungreifbaren Bedrohung. Der im Zentrum des Romans stehende Charles von Dennim ist von Beruf Forstwirtschaftler und Eichhörnchenkundler; er kennt sich mit der geräuschlosen Pirsch und dem geduldigen Ausharren aus.

    Deshalb beschließt er, den Angreifer in eine Falle zu locken. Nun entspinnt sich ein Messen der Kräfte, das mehr und mehr zu einem rituellen Zweikampf wird. Beide Seiten, Verfolger und Verfolgter, sind von Adel und gehorchen einem altmodischen Ehrbegriff. Auch widmen sie sich ihrem Ziel mit einer Absolutheit, die nicht frei von Fanatismus ist. Hier liegen die Abgründe des Thrillers, denn obwohl von Dennims Gegner ein früherer hochrangiger Widerstandskämpfer ist, macht ihm das Foltern seiner Feinde ein unheimliches Vergnügen, das eher an Nazi-Perversionen denken läßt. Households Männerfiguren sind von einer Michael Kohlhaasschen Doppelbödigkeit: Während der eine aus Gerechtigkeitsempfinden zum Sadisten wird, hat sich der andere aus selbstlosem Humanismus und Vaterlandstreue an den Bestialitäten von Ravensbrück beteiligt. "Augen im Dunkeln" weicht schlichte Moralvorstellungen von der guten und der bösen Seite unbarmherzig auf. Was bleibt, ist ein persönlicher Ehrenkodex und eine existentielle Unerschütterlichkeit, die das Format eines Mannes beweisen ‹ ganz gleich, was er verschuldet zu haben scheint. Dennim wird von seinem Widersacher schließlich Glauben geschenkt: Er könne kein Gestapo-Veteran sein: "Das sind keine beherzten Männer." Der Einzelkampf, der in "Augen im Dunkeln" zu einem seltsamen Gottesgericht wird, läßt in den Opponenten die animalische Natur erwachen. Der Mensch ist das listigste Tier. Überleben wird er, wenn seine Instinkte mehr als die seines Feindes am Leben hängen.

    Households stückweises, sprunghaftes Erzählen aktiviert die Phantasie. Er ist Spezialist im Aufbau von Fragen und Rätseln, die wie die kleinen Säugetiere, die von Dennim erforscht, den Roman durchhuschen. Das konzentrierte kriminalistische Verfahren steht der lebhaften Figurenschilderung nicht im Wege. Mit humoristischen Miniaturporträts aus allen Gesellschaftsklassen knüpft der Autor geschickt an die englische Romantradition des neunzehnten Jahrhunderts an. Seine soziologische und mentalitätsgeschichtliche Dimension macht auch die wiederholte Lektüre des Buches zu einem Genuß. "Augen im Dunkeln" ist in der ersten Person geschrieben. Zum einen stellt es eine Beichte dar: Es kämpft gegen den Ekel der Erinnerung an, von dem die Seele des Erzählers "durch und durch zerfressen" ist. Andererseits erlaubt die retrospektive Ich-Form eine besonders effektvolle Wiedergabe der traumatischen Ereignisse. Der zurückblickende Held hat alle Krisen bewältigt und vermag doch die Intensität durchlebter Gefährdung in seiner Rede nachschwingen zu lassen. Narrativ wiederholt sich die Ambivalenz der Figuren: Sofern er erzählt, ist von Dennim Täter, sofern er von sich erzählt, befindet er sich in der Opferposition.

    In Households Thriller sind die Odysseen der Einbildungskraft in einem beständigen Balanceakt zwischen fallenstellendem Kalkül und kreatürlicher Panik begriffen. Letztenendes reißen seine Helden nicht vor einem unverdienten gewaltsamen Ende, sondern vor dem Tod überhaupt aus, der bei näherem Hinsehen ihr eigenes Gesicht trägt. Weil dieses Vabanquespiel nicht veraltet, ist Household unverändert aktuell.