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Aus Asien um die Welt

Medizin. - Die Grippe, auch Influenza genannt, wird vielfach unterschätzt. Doch die epidemieartig auftretende Viruserkrankung fordert bis zu einer halben Million Menschenleben auf der ganzen Welt. Zwei neue Projekte wollen das Virus besser verstehen lernen.

Von Michael Lange |
    Genau so sicher wie der Winter kommt jedes Jahr die Virusgrippe Influenza von Asien nach Europa und später nach Amerika. Der alljährliche Ablauf ist Ärzten und Wissenschaftlern bekannt, nicht jedoch die Hintergründe, die zu diesen Regelmäßigkeiten führen. Ein großes Forscherteam aus Großbritannien, den USA und einigen asiatischen Ländern hat jetzt 13 000 Virusproben aus den Jahren 2002 bis 2007 untersucht. Sie wählten den wichtigsten Grippe-Erreger H3 N2, der für die Grippe-Wellen der letzten Jahre verantwortlich war. Colin Russell von der Universität Cambridge:

    "Bis jetzt hat sich das Virus jedes Jahr verändert. Deshalb musste der Impfstoff in vier Jahren viermal aktualisiert werden. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass Risikogruppen jedes Jahr geimpft werden."

    Die Forscher untersuchten nicht die ganzen Viren oder das vollständige Erbgut, sondern das wichtigste Merkmal an der Oberfläche der Viren: Das Hämagglutinin. Dieses Protein steht für das H bei der offiziellen Virusbezeichnung H3 N2. Das H3 ändert sich von Jahr zu Jahr und erzeugt so einen neuen Virusstamm, den das menschliche Immunsystem nicht erkennt, sofern es nicht durch eine Impfung vorgewarnt wurde. Wie ein neuer H3 N2 Stamm um die Welt reist, das haben Colin Russell und Kollegen nun sehr gut dokumentiert, und - was noch wichtiger ist - sie können die Reiserouten vorhersagen.

    "Unsere Daten widerlegen die Annahme, dass Grippe-Viren in den Tropen entstehen oder dass sie sich bei der Ausbreitung nach Süden zu neuen Stämmen entwickeln. Vielmehr zeigen unsere Ergebnisse, dass die Viren stets in Ostasien und Südostasien entstehen und sich von dort ausbreiten, ohne sich später wesentlich zu verändern. Das ist wie bei einem Staffellauf. Die Viren werden von einem Land an das nächste weiter gereicht. Der Start findet in Asien statt, und führt dorthin, wo die Viren geeignete klimatische Bedingungen vorfinden."

    Die weltweite Epidemie endet Jahr für Jahr in Südamerika. Die Viren verschwinden dann völlig. Sie tauchen nicht wieder auf. Ein Jahr später kommen dann neue Viren, erneut aus Asien. Diese Theorie bestätigt viele bisherige Beobachtungen. Die neuen Daten helfen den Experten, die Treffsicherheit der jährlichen Grippe-Impfung zu verbessern, so Derek Smith von der Universität Cambridge.

    "Für die Nordhalbkugel, wo die Impfung im Oktober oder November durchgeführt werden soll, um die Geimpften im Winter zu schützen, muss sich die WHO schon im Februar entscheiden, welchen Impfstoff sie wählt. Das hat in den letzten Jahren ganz gut funktioniert. Das Ziel unserer Forschung ist es, die Vorhersagen weiter zu verbessern, und die Evolution der Viren so früh wie möglich korrekt vorherzusagen."

    Was genau in China und einigen Nachbarländern geschieht, wenn jährlich ein neuer Virus-Stamm entsteht - auf diese Frage liefert die Studie keine Antwort. Möglicherweise ist die große Bevölkerungsdichte und das Nebeneinander unterschiedlicher Klimaregionen eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung neuer Grippe-Viren. Aber das ist noch Spekulation.