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Aus dem Brief an die Philipper

Es ist das Jahr des Apostel Paulus, ein guter Grund um den Ort in Europa aufzusuchen, den der Apostel Paulus bei seiner zweiten Missionsreise zum ersten Mal besucht hat. Im Städtchen Kavalla hat Paulus seinen Fuß zum ersten Mal auf europäischen Boden gesetzt.

Von Marianthi Milona |
    Auszug aus den Brief der Philipper
    Freude des Apostels über die Gabe der Philipper
    " Ich habe mich aber im Herrn sehr gefreut, dass ihr endlich einmal wieder aufgelebt seid, meiner zu gedenken, worauf ihr [eigentlich] auch bedacht wart, aber ihr hattet keine Gelegenheit. Doch habt ihr wohl daran getan, dass ihr an meiner Bedrängnis teilgenommen habt. Ihr wisst aber auch, ihr Philipper, dass im Anfang des Evangeliums, als ich aus Mazedonien wegging, keine Gemeinde mich am gegenseitigen Geben und Empfangen beteiligt hat als nur ihr allein. Denn sogar [schon, als ich] in Thessalonich [war], habt ihr mir nicht nur einmal, sondern zweimal für meinen Bedarf gesandt. Mein Gott aber wird alles, was ihr bedürft, erfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus."

    Es ist ein stürmischer Morgen in Lydia. Der ungewöhnlich starke Wind kündigt einen Wetterwechsel an. Die Pappel-, Eukalyptus und Akazienblätter werden an diesem Tag heftig von den Ästen gepustet. Meterhoch wirbelt sich der Sand von der Straße. Mehr als durch die Augenschlitzen zu blinzeln ist nicht möglich, während ich den kurzen Weg vom Parkplatz zur imposanten Kirche laufe, die außerhalb von Lydia an einem kleinen Bach liegt.

    Mit Lydia ist in diesem Fall keine Frau, sondern ein kleines griechisches Dorf im Osten des Landes gemeint. Nach Lydia fährt man nicht, um Strandurlaub zu machen, ein archäologisches Museum zu besuchen oder in einem Fischrestaurant zu essen. Warum man als Fremder nach Lydia kommt, das erklärt mir Pastor Ioannis Georgiadis.

    "Bei seiner zweiten Missionsreise kommt der Apostel Paulus in Kavalla an und geht bald nach Philippi, weil es dort eine jüdische Gemeinde gibt. In dieser lebt auch eine junge Frau namens Lydia, die am nahegelegenen Fluss Gaggitis mit ihrer Familie Wolle wäscht und färbt. Sie hört die Worte des Paulus, glaubt ihm und lässt sich taufen. Heute wird sie als die erste europäische Christin gefeiert. Und an der Stelle, wo sie sich vermutlich taufen ließ, haben wir eine Kirche errichtet, in der es bis auf die bunten Fenster nur ein Taufbecken zu besichtigen gibt. Alljährlich zum Fest der Lydia am 20. Mai lassen sich am kleinen Bach neben der Kirche viele ausländische Mitbürger orthodox taufen."

    Von Lydia bis nach Philippi sind es nur 1000 Meter. Inmitten dieser bedeutenden archäologischen Stätte, halten bis heute orthodoxe Christen am 29. Juni, dem kirchlichen Namenstag des Apostels, in den Ruinen der Basilika B zu seinem Gedenken Nachtwachen ab.

    Die Ruinen dieser Basilika sind aus der Ferne gut erkennbar. Sie liegen direkt hinter der Via Egnatia, der größten römischen Handelsstraße, die in jener Zeit die Städte Konstantinopel mit Rom verbunden hat. Von diesem erhaltenen Straßenabschnitt der Via Egnatia, der mitten durch Philippi verläuft, geht es über das Marktviertel hinweg zur Basilika. Das Stadion, dass der Makedonenkönig Philipp II. in Philippi erbauen ließ, und das sogenannte Gefängnis des Paulus, nun diese sind von hier aus gar nicht sichtbar. Philippi ist seinerzeit großräumig angelegt worden.

    Heute ist diese Stätte nicht nur interessant für Archäologen und Liebhaber für antike Geschichte. Philippi lebt vor allem vom sogenannten religiösen Tourismus, der aus aller Welt hier anreist, um jenen Ort einmal zu sehen, wo, wie es heißt, das europäische Christentum geboren wurde.

    Fundierte Kenntnisse zum antiken Philippi und der Zeit, in der sich der Apostel dort aufhielt, besitzt der Archäologe und wie man in Griechenland konkreter zu sagen pflegt, der Fachmann für byzantinische Archäologie, Michalis Lichounis. Ich treffe ihn im Archäologischen Museum von Kavalla.

    "Stellen Sie sich eine blühende römische Stadt vor, in der lateinisch gesprochen wurde, als der Apostel Paulus hier ankommt. Es war zu einer Zeit, als religiöser Synkretismus noch vorherrschte. Also: Gottheiten aus Ägypten kommen hier an. Die Nachkommen Alexanders des Großen hatten im Gegenzug die griechischen Gottheiten nach Asien eingeführt. Es wird ein böses Spiel mit den Göttern getrieben: Dort wo sich die Völker begegnen, kommen plötzlich viele Gottheiten aus völlig unterschiedlichen Kulturen zusammen, die religiösen Ideen werden miteinander vermischt. Wir gehen davon aus, dass es in jener Zeit eine jüdische Gemeinde in Philippi gegeben haben muss, in der der Apostel Paulus aufgenommen wurde. Bekanntlich hat er ja vorwiegend vor Juden gesprochen und sie vom Christentum zu überzeugen versucht.

    Heute ist Philippi eine der bedeutenden archäologischen Stätten Griechenlands. Es werden große Anstrengungen unternommen, damit dieser Ort von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wird. Denn sie müssen eines berücksichtigen: 1. In Philippi hat 42. v. Chr. die wichtigste Schlacht um die Zukunft Roms stattgefunden. Brutus und Cassius wurden von Marcus Antonius und Octavian besiegt, oder begingen Selbstmord. Und 2.: Haben wir hier die Ankunft des Apostel Paulus und damit den Beginn des europäischen Christentums."

    Um nach Philippi zu gelangen, betrat Paulus in Kavalla, europäischen Boden. Der damalige Hafen von Philippi ist heute eine Stadt mit circa 70.000 Einwohnern und wichtigstes Handelszentrum in dieser Region. Die malerische Altstadt ist in eine Bucht hineingebaut und breitet sich panoramaartig vor dem Auge des Betrachters aus. Ihre schmalen Gassen können größtenteils nur zu Fuß erwandert werden. Die Menschen, die hier mit wenig Wohnraum auskommen müssen, sehnen sich schon längst nach einem komfortablem Neubau, wollen mit allen Mitteln das Alte niederreißen und gegen Neubauten aus Beton ersetzen.

    Ein Bewusstsein für den Erhalt alles Historischen ist kaum vorhanden. Das große römische Aquädukt, dass wie eine Wehrmauer die Altstadt von der Neustadt trennt, trotzt der Zeit und damit den zerstörerischen Plänen skrupelloser Bauspekulanten. Es ist das imposanteste Wahrzeichen der Stadt Kavalla, die zur Zeit der Römer noch ganz anders hieß.

    "Bis im 9. Jahrhundert hieß die Stadt Neapoli, danach wurde sie zu Christoupoli umgetauft. 1391 wird sie von den Ottomanen okkupiert und erscheint erst 1468 in den Schriften mit dem Namen Kavalla. Bis heute wissen wir nicht, wie die Stadt ihren heutigen Namen erhielt. Es existieren dafür niedliche bis dümmliche Erklärungen."

    Sicher ist, dass in Kavalla schon immer sehr viel Handel getrieben wurde. Mit Textilien und mit Marmor. Aber vor allem war Kavalla die Stadt des Tabaks. Von den 40.000 Einwohnern im Jahr 1955 waren allein 13.000 in der Tabakbranche tätig. Heute erinnert daran ein gutausgestattetes Tabakmuseum und der "Platz des Tabakarbeiters" unterhalb des Rathauses der Stadt. Eine Tabakfabrik, in der der Tabak Blatt für Blatt ausgesucht und zum Trocknen aufgehängt wird, gibt es längst nicht mehr. Dafür ist Kavalla heute die Stadt des Spargels. Auch wenn die Griechen den Spargel auf ihren Speisezettel kaum vorsehen. Die gesamte Spargelernte rund um Kavalla wird exportiert. Schauen Sie sich in Deutschland einmal woher ihr Spargel kommt, den sie beim Gemüsehändler kaufen. Sie werden überrascht sein.

    Mit Gründung der technischen Fachhochschule Ende der 80er-Jahre sind dann auch viele junge Leute nach Kavalla gezogen. Haben diese Stadt zu neuem Leben erweckt. Die Fremden, die heute nach Kavalla kommen sind jedoch überrascht, wie wenig diese Stadt touristisch erschlossen ist.

    Auf jeden Fall lohnt ein Besuch der alten Stadtbibliothek von Kavalla, die 1953 - 84 als solche fungiert und die Efthimios Hagiasas, ein ehemaliger Tabakarbeiters-Sohn, zur schönsten Musik-Cafe-Bar umgestaltet hat. Für den Besitzer wurde damit ein Traum Wirklichkeit, als er das leerstehende Gebäude vor drei Jahren entdeckte. Mit viel Liebe und Engagement restaurierte er das Gebäude so, dass es seinen ursprünglichen Charakter als Bibliothek beibehielt.

    "Wenn man heute die Räume der alten Stadtbibliothek betritt, glaubt man, sie habe schon immer so ausgesehen. In einem separaten Raum ist sogar ein Lesezimmer eingerichtet worden, mit Büchern, einem Schreibtisch und einem Schachtisch. In diesem Raum sind bewusst keine Lautsprecher eingebaut worden. Hier setzt sich nur der Gast hin, der er über etwas nachdenken möchte. Alle Räume sind beim Umbau atmosphärisch so gestaltet worden, dass sie sehr ursprünglich wirken. Die hintereinander verlaufenden Zimmer können zum Beispiel für Lesungen oder Tagungen mit einander verbunden oder getrennt werden, sodass sich Bar und Lesungsraum nicht gegenseitig behindern."

    In der Bar von Efthimios Hagiasas treffe ich auf Kostas. Er hat viele Jahre in Afrika gearbeitet und anschließend bis zur Pensionierung in der Großstadt Thessaloniki gelebt. Jetzt ist er in seine Heimatstadt Kavalla zurückgekehrt, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Das neue Kavalla hat mit dem Kavalla aus seinen Kindertagen nichts mehr zu tun, behauptet er.

    "Ich kann nur sagen: Damals herrschte die völlige Armut. Kurz nach dem Krieg hatten wir wenig zu essen. Als Kind habe ich ständig von Süßigkeiten geträumt. Und wenn ich Schuhe bekam? Nun, diese lagen eine ganze Weile neben mir auf dem Kissen. Ich habe sie mit ins Bett genommen. Und musste mich erst an ihnen satt sehen, bevor ich darüber nachzudenken begann, wann ich sie überhaupt tragen wollte. Fußball spielte ich immer barfuß. Ich hatte meistens danach immer irgend einen Zeh verstaucht oder gebrochen. Diese Zeiten sind heute vergessen. Wenn sie heute ein Andenken aus Kavalla mitnehmen möchten, dann können sie im Zentrum Kourabiédes kaufen, ein Trockengebäck, in Puderzucker gehüllt. Stellen Sie sich vor, die Herstellung dieser Süßigkeit hat in Kavalla Tradition!"