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Aus der Tiefe des Herzens

Der Fluss als das alles verschlingende Gewässer, in dem Lebensträume versinken, spielt in Leos Janaceks Oper "Katja Kabanova" aus dem Jahr 1921 eine große Rolle. Keith Warner hat das Stück am Theater an der Wien neu inszeniert. Am Pult räumt Kirill Petrenko mit der weitverbreiteten Meinung auf, Janacek sei zu laut.

Von Susanna Dal Monte | 14.04.2008
    Der Erfolg schien bereits am Papier vorprogrammiert, denn mit dem Leading Team Keith Warner und Kirill Petrenko hatte man zwei Erfolgsgaranten engagiert, die dem Haus in den vergangenen Jahren schon einige herausragende Produktionen beschert hatten. Von der Sängerbesetzung, allen voran Melanie Diener in der Titelpartie und Anja Silja als Kabanicha, hatte man nichts geringeres erwartet.

    Leos Janacek hat seine Tragödie über Schuld in allen Varianten, über Selbstanklage und Sühne kurz nach dem ersten Weltkrieg geschrieben - mit 66 Jahren, in der produktivsten Phase seines Lebens.

    Schauplatz ist eine Kleinstadt an der Wolga - Kaspar Glarner fängt die nebelig-schaurige Atmosphäre durch sein karges Bühnenbild optimal ein. Links und rechts der Bühne befinden sich wallartige gleißend weiße Wände, die nach Bedarf von einer Brücke verbunden werden - denn der Schicksalsfluss ist allgegenwärtig. Die anderen Schauplätze werden wie Schiffe rückwärts ins Zentrum gefahren. Für den Rest der kalt-feuchten Atmosphäre sorgt das Licht von Wolfgang Göbbel.

    Im Zentrum des Geschehens steht die in Treulosigkeit und Tot getriebene Katja. Melanie Diener verkörpert eine traumwandlerische, um Hilfe flehende Gestalt, die an den Zwängen und der Herzlosigkeit ihrer monströsen Schwiegermutter zerbricht: Die wird von Anja Silja verkörpert - und zwar als vielschichtige Persönlichkeit, die sich die eigenen moralischen Maßstäben nicht so hoch gesteckt hat. Anja Silja: Eine unglaubliche Persönlichkeit, die nach einer großen Karriere im dramatischen Fach heute im Charakterfach mindestens ebenso brilliert.
    Auch die restlichen Partien sind hochkarätig besetzt: Die drei Tenöre Johannes Chum, Robert Brubaker und Raymond Very; Anatoli Kotscherga als Dikoj und Stella Grigorian - mit heftigen Ovationen für ihre Varvara bedacht.

    Wieder einmal hatte Regisseur Keith Warner in punkto Personenregie ganze Arbeit geleistet. Bei ihm wird jeder schuldig, der in seiner Auffassung der Oper über unerfüllte Lebensträume die die Frage aufwirft, wie weit man sein Leben selbst gestalten kann und soll.

    Leos Janacek hat seine Katja Kabanova 1921 geschrieben. 1927 hat er sie durch Zwischenspiele ergänzt, die Kirill Petrenko für die Produktion im Theater an der Wien verwendet hat. Sie ermöglichen es, die Oper ohne Pause als dichte, sozialpsychologische Ballade durchzuspielen - was das Werk noch spannender macht, als es ohnehin schon ist.
    Vom Orchestergraben her räumen Kirill Petrenko und das RSO Wien überhaupt mit einer weitverbreiteten Meinung auf - nämlich, dass Janacek zu laut, ja ein Stimmmörder, sei. Sie führen uns vor Augen, dass man auch seine Musik nuancieren und musizieren kann, von den feinsten Pianobögen bis zum heftigsten Crescendo. All das wurde übrigens auch vom Publikum dankbar angenommen. Bis 24. April gibt es noch fünf Aufführungen von Janaceks Katja Kabanova im Theater an der Wien zu erleben.