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Aus der Traum von der Regenbogennation

Der weiße Südafrikaner Roger Smith hat sich eine Menge von der Seele geschrieben, so scheint es. Der 44-Jährige arbeitete als Drehbuchautor bevor er seinen ersten Roman vorlegte. "Kap der Finsternis" ist ein hochspannender, tiefschwarzer Thriller. Aber es ist auch ein niederschmetternd klarsichtiges Buch über den Zustand Südafrikas 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid.

Von Antje Deistler | 21.04.2009
    Greenpoint, Kapstadt. Roger Smith blinzelt auf einer Parkbank in die Sonne, betrachtet den rot-weiß gestreiften Leuchtturm vor sich, dahinter erstreckt sich der atlantische Ozean in seiner ganzen Pracht. Idylle unterm Tafelberg. Hier spielt "Kap der Finsternis", einer der härtesten und besten Kriminalromane dieses Frühjahrs.

    "Es ist ein ausnehmend schöner Ort, wir sitzen ja mittendrin. Wenn man Geld hat, kann man hier ein extrem gutes Leben führen, in dieser Blase aus Reichtum und Schönheit. Aber es gibt noch ein anderes Kapstadt, und das ist eine Stadt, die die meisten Besucher, und um ehrlich zu sein auch viele Kapstädter, niemals sehen, das sind die Ghettos auf den Cape Flats. In meinem Roman kommt buchstäblich jemand mit einem Messer und schlitzt die Wohlstandsblase auf. Sodass diejenigen, die gemütlich drin gesessen haben, gezwungen werden, die Augen zu öffnen und auch alles andere zu sehen."

    Das Messer haben zwei zugedröhnte Gangmitglieder aus den Cape Flats dabei. Die überfallen in "Kap der Finsternis" eine Villa in einem weißen Vorort Kapstadts. Dass dieser Zusammenprall von Reich und Arm tödlich ausgeht, ist klar - doch tatsächlich liegen am Ende die beiden Gangster in ihrem Blut, umgebracht von dem Villenbewohner, der sich als Amerikaner auf der Flucht vor dem Gesetz entpuppt. Eine Spirale der Gewalt setzt sich in Gang, und sie schraubt sich unaufhaltsam in die Abgründe des heutigen Südafrika.

    Schonungslos beschreibt Roger Smith die brutalen Zustände - und Menschen - in den Elendsvierteln. Er selbst stammt aus der weißen Mittelschicht, doch das hindert ihn nicht. Smith lebt mit einer Frau aus den Cape Flats zusammen. Er kennt das Milieu und hat keine Lust, Rücksichten zu nehmen.

    "In diesem Land ist kein Raum für "political correctness". Wir müssen uns ausdrücken, wir müssen unsere Geschichten erzählen können. Ich hatte wirklich nicht vor, die Farbigen zu beleidigen, aber die cape flats sind ein einziger Albtraum. Kinder werden entführt, vergewaltigt und umgebracht, es gibt Gangs, die Polizei ist korrupt, all die Armut und Gewalt, das ist keine Übertreibung, aber hier wohnen auch ganz normale Leute, die versuchen, ihre Kinder hier großzuziehen, etwas aus ihrem leben zu machen, die all das einfach mitten in diesem Albtraum tun müssen."

    Es gibt so eine beinahe positive Figur in "Kap der Finsternis", doch die meisten farbigen Bewohner der Cape Flats kommen ganz schlecht weg. Und nicht nur die. Kaum ein Charakter, der nicht mindestens konfliktbeladen wäre. Wie der Amerikaner, der auf der Flucht vor der Polizei sogar Frau und Kind verrät, oder der schwarze Sonderermittler vom Stamm der Zulu. Ein ehrgeiziger Aufsteiger, effektiv, aber emotional gestört. Und dann gibt es noch Rudy Barnard, einen Streifenpolizisten. Er ist weiß, er ist fett, er stinkt. Ein Bure, ebenso gottesfürchtig wie korrupt, so absolut negativ gezeichnet, dass er fast wie eine Karikatur wirkt. Ist er aber nicht, sagt Roger Smith.

    "Ehrlich: Ich bin in diesem Land aufgewachsen, in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren, als Südafrika beherrscht wurde von den Rudy Barnards dieser Welt. Mit 17 wurde ich in die südafrikanische Armee eingezogen, und das war eine unglaublich gewalttätige Welt. Ich habe in dieser Zeit extrem brutale Dinge gesehen. Es gab damals von der Regierung eingesetzte Killer-Kommandos, die Oppositionelle töteten. Das waren alles Rudy Barnards: Groß, übergewichtig, oft Rugbyspieler, viele von denen tranken und nahmen Drogen, sie rannten mit ihren Waffen herum und jagten Leute in die Luft. Psychopathen. Ich wollte über diese bestimmte Sorte südafrikanischer Männer schreiben. Rudy Barnard ist keine Übertreibung. Er ist leider ziemlich wahr."

    Roger Smith hat sich eine Menge von der Seele geschrieben, so scheint es. Der 44-Jährige arbeitete als Drehbuchautor und Filmregisseur, bevor er seinen ersten Roman vorlegte. Von Anfang an sollte es ein Kriminalroman werden. Literatur wurde im Apartheid-Staat zensiert, doch Krimis standen nicht auf dem Index. So wuchs Smith mit den Büchern von Jim Thompson, Elmore Leonard und vielen anderen amerikanischen Protagonisten der Schwarzen Serie auf. Diesen guten Einfluss spürt man. Doch Roger Smith hatte noch einen anderen Grund, das Genre zu wählen:

    "In den 80er-, auch noch in den 90er-Jahren, musste man als Schriftsteller über die Apartheid sprechen, musste etwas Gewichtiges über das Land zu sagen haben. Die Gordimers, Coetzees, die Breidenbachs waren wichtig. Damals wäre es geradezu frivol gewesen, einen Krimi zu schreiben. In den letzten zehn Jahren hat sich das grundlegend geändert. Was die Apartheid als größten sozialen Missstand abgelöst hat, ist das Verbrechen. Die Kriminalität ist beinahe die neue Apartheid. Es ist doch kaum möglich, über das Land zu schreiben und nicht über Kriminalität zu sprechen. Kriminalromane zu schreiben ist plötzlich gesellschaftlich relevant."

    "Kap der Finsternis" ist ein hochspannender, tiefschwarzer Thriller. Aber es ist auch ein niederschmetternd klarsichtiges Buch über den Zustand Südafrikas 15 Jahre nach dem Ende der Apartheid. Roger Smith bringt die allgemeine Enttäuschung auf den Punkt.

    "Leider ist der Traum von der Regenbogennation vorbei, den wir hatten, als Mandela aus dem Gefängnis entlassen wurde. Und es war wunderbar, dabei zu sein, es mitzuerleben, Teil dieser Veränderung zu sein. Aber heute sterben die Leute an Aids, sind verarmt, und in den höchsten Rängen der Regierung herrscht eine unglaubliche Korruption. Der süße Traum ist umgekippt und sauer geworden."

    Roger Smith: "Kap der Finsternis". Tropen, 21.90 Euro