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Aus Katastrophen lernen

Wenn heftige Regenfälle ganze Ortschaften unter Wasser setzen, dann liegt das zum einen an fehlenden Versickerungs- und Rückhaltemöglichkeiten, zum anderen oft an einer falschen Baupolitik. Wie können die Gefahren verringert werden? Darum geht es auf dem Deutschen Geographentag in Bayreuth.

Von Susanne Lettenbauer |
    Katastrophen - Destabilisierung - Sicherheit. Diese Trias steht derzeit im Mittelpunkt des wichtigsten Geographentreffens der deutschsprachigen Länder und zeigt damit eindeutig: Die Zeit, als Geographie mit Landvermessen gleichgesetzt wurde, ist spätestens seit dem Klimawandel endgültig vorbei. Die Praxis der Vorhersage ist gefragt. Geographen gelten heute als Katastrophenpropheten, die relativ genau erforschen sollen, wann Erdbeben, Hochwasser, Vulkanausbrüche oder Hangrutschungen im Gebirge eintreten, also vorwiegend natürliche Extremsituationen, denen der Mensch schon immer ausgesetzt war in der Geschichte.

    Doch Katastrophen lassen sich nicht genau vorhersagen, so der Bonner Geoökologe Richard Dikau. Er plädierte deshalb zur Eröffnung des siebentägigen Geographentreffens in Bayreuth dafür, dass die Geographie der Zukunft vor allem Vorsorge betreiben muss. Denn:

    "Wir müssen uns verabschieden von der Überzeugung, dass das, was in den nächsten Jahrzehnten passieren kann, mit Sicherheit vorhergesagt werden kann. Wir müssen uns letztlich daran gewöhnen, dass wir nur mit Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten umgehen werden. Diese Wahrscheinlichkeit, dass etwas passieren kann, muss ein ausreichender, auch ethischer Grund sein, damit wir Maßnahmen konzipieren oder auch Strategien durchsetzen, die eben verhindern, dass es zu einer Katastrophe kommt, und das nenne ich Katastrophenvorsorge."

    Diese Vorsorge gleicht einem Balanceakt der Geographen. Denn mit Vorsorgebestrebungen sind gute Geschäfte zu machen. Klimatische Pseudo-Zukunftsszenarien können Immobiliengeschäfte ankurbeln, der Bauindustrie dienen und auch der Politik. Die Reaktionen der Menschen darauf sind vorhersehbar: Auf eine Überreaktion, die hysterische Züge wie Hamsterkäufe annimmt, folgt ein Desinteresse, das den Vorhersagen der Geographen nicht mehr traut. Aktuelle Forschungen auf dem Gebiet der Bevölkerungs- und Sozialgeographie beschäftigen sich mit einer anschaulichen Vorsorge: Sie erstellen Kartenmaterial von Risikogebieten wie zum Beispiel den Alpen. Anhand dieser Karten können Gemeinden und Städte entscheiden, wo es ökonomisch sinnvoll ist, Baugenehmigungen zu erteilen angesichts von prognostizierten Murgängen, Hangrutschungen oder Steinschläge. Für den Geoökologen Dikau ist klar:

    "Wenn jemand betroffen ist von einem Hochwasser, von einem Murgang oder von einer anderen Naturkatastrophe, und das Ereignis ist früher schon einmal aufgetreten, dann wissen wir ja schon, dass dieses Gebiet gefährdet ist. Wenn dann trotzdem ein Haus überschwemmt wird, dann liegt es natürlich an demjenigen, der dieses Haus in die Überschwemmungsfläche gebaut hat. Man darf eben nicht in bestimmten Gebieten Industrie ansiedeln oder Häuser bauen. Das verstehe ich unter Vorsorge."

    Oder man nehme das Beispiel Meeresspiegelanstieg. Sozialgeograph Jürgen Pohl winkt ab:

    "Der Meeresspiegelanstieg wird sich in engen Grenzen halten, soweit man das bisher absehen kann, und da gibt es eine relativ einfache Antwort: Die Niederländer erhöhen die Deiche um 50 Zentimeter. Da ist schon eine Sicherheitsmarge einkalkuliert, insofern wird business as usual gemacht in den Niederlanden, und das ist im Grunde auch vernünftig. Was sind die Alternativen?"

    Dass viele Naturkatastrophen ihre Ursache in menschlichen Eingriffen haben, ist für die Geographenzunft keine Frage, ebenso dass sie in Entwicklungsländern oft soziale Gründe wie Armut, fehlendes Wissen oder auch machtpolitische Ursachen haben. Der Bayreuther Geographieprofessor Detlef Müller-Mahn, dessen Lehrstuhl sich unter anderem mit Siedlungs- und Migrationsprozessen in Afrika beschäftigt, warnt jedoch:

    "Wir sollten vorsichtig sein, diese dramatischen Begriffe wie Katastrophe und andere zu inflationieren. Mit Katastrophe sollte man tatsächlich ein Ereignis bezeichnen, dass die Funktionsfähigkeit von Gesellschaften außer Kraft setzt. Insofern müsste man sagen, dass wir in Deutschland im Grunde genommen in den letzten 40 Jahren keine Katastrophe erlebt haben, auch das an der Elbe ist zwar schlimm gewesen für die Betroffenen, aber vom Ausmaß her absolut nicht vergleichbar mit dem, was in der Dritten Welt passiert."

    Das Ziel der Wissenschaftler ist, einen nüchterner Umgang mit den Risiken in gefährdeten Gebieten. Der Mensch im 21. Jahrhundert muss mit Risiken leben lernen, so der Konsens unter den fast 2100 angereisten Geographen des Bayreuther Kongresses. Und er muss aus Katastrophen lernen, so simpel diese Botschaft aus Bayreuth auch klingt.