Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Aus Kunst wird Kino
Die Poesie des Manifests

Für seine Installation "Manifesto" hat der Videokünstler Julian Rosefeldt Manifestzitate mit der Schauspielerin Cate Blanchet inszeniert. Nun kommt "Manifesto" ins Kino, obwohl Rosefeldt gar nicht weiß, ob es ein Film ist. "Das ist eher ein Ding, das die Sehgewohnheiten verändert", sagte er im Dlf.

Julian Rosefeldt im Corsogespräch mit Achim Hahn | 24.11.2017
    Der Künstler Julian Rosefeldt posiert am 09.02.2016 in Berlin im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart in seiner Ausstellung "Manifesto", einer Installation aus 13 parallel laufenden Filmen. Cate Blanchett liest darin die Texte verschiedener Manifeste und spielt in unterschiedlichen Rollen, wie im Hintergrund zu sehen.
    Der Künstler Julian Rosefeldt in seiner Ausstellung "Manifesto", einer Installation aus 13 parallel laufenden Filmen. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Achim Hahn: Künstler-Manifeste wirken ja oft wie stark verkopfte Theorie-Sprachgebilde, die heutzutage alles andere als up to date erscheinen. Die Installation "Manifesto" vom deutschen Film- und Installationskünstler Julian Rosefeldt aber zeigte vor gut zwei Jahren, dass dem nicht so ist. Denn er inszenierte um die 60 verschiedene Manifest-Zitate in 12 neuen Szenarien und einem Prolog, die er von der australischen Oscar Schauspielerin Cate Blanchet kongenial und extrem wandlungsfähig umsetzen ließ. Als Punkerin, Börsenmaklerin, Obdachloser oder biedere Hausfrau gesprochen wirken die Manifest-Zitate plötzlich gebrochen und bisweilen hochaktuell. Jetzt ist eine Kinofassung dieses polyphonen Installations-Ereignisses zu sehen. Und am Telefon in Frankreich begrüße ich nun Julian Rosefeldt. Herr Rosefeldt, für Sie sind Künstlermanifeste alles andere als verstaubt. Was faszinierte Sie so daran?
    Julian Rosefeldt: Mich hat erst mal fasziniert diese unglaubliche, rebellische Energie, die alle diesen Texten innewohnt. Es sind Texte, die ganz oft geschrieben wurden, als die Künstlerinnen und Künstler noch sehr jung waren. Nicht alle, die ich verwendet habe, aber viele der Texte. Und in einer jungen Lebensphase geschrieben, und das macht sie umso interessanter, weil man immer davon ausgeht, dass diese Texte, die ja von Künstlern stammen, die später weltberühmt wurden, auch Monumente der Kunstgeschichte sind. Wenn man aber das Alter der Autorinnen und Autoren in Betracht zieht, es wird dann bewusst, dass es oft ganz fragile, adoleszente Texte sind, die ihren Schrei und ihren rebellischen Wutausbruch gar nicht so sehr nach außen richten, sondern oftmals auch nach innen, nach der eigenen Identität fragen, fragen danach, wo es hingehen kann, was man mit seinem Leben anfängt. Und das fand ich sehr poetisch.
    "Viele fragen mich danach zur Tagespolitik ihres Landes"
    Hahn: Können denn die einst provokanten Inhalte heute noch produktiv sein?
    Rosefeldt: Unbedingt. Beziehungsweise mit dieser Frage habe ich angefangen, mich mit diesem Projekt auseinanderzusetzen. Ich wollte wissen, für mich herausfinden, ob diese Texte in irgend einer Weise relevant sind, ob sie vielleicht sogar anwendbar sind heute. Und sie sind es vielleicht nicht unmittelbar, was den Inhalt der Texte betrifft, aber um den Inhalt geht es auch nur peripher, es geht sehr viel auch um die Geste, die darin steckt, die des Bruches mit der Vergangenheit, es geht gar nicht so sehr um die Zukunft, sondern immer um das Jetzt und das Heute. 'The Present is Art' sagt ein Text an, die Kunst kann das Heute verändern. Und insofern ist diese Arbeit in den letzten zwei Jahren mit dem bedrohlichen Siegeszug des Populismus, der überall ansteht, auch immer aktueller geworden, weil sie zu einer Art 'Antipopulismusarbeit' geworden ist. Für viele Menschen, die diesen Film sehen oder die Installation gesehen haben, fragen mich in den Gesprächen danach unmittelbar zur Tagespolitik ihres Landes und setzen das in Bezug.
    Wir haben noch länger mit Julian Rosefeldt gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Hahn: Sie haben gerade von der von Ihnen so empfundenen Poesie der Manifestautoren gesprochen, die Sie jetzt bisweilen brüchig collagierend in so Gegenwartsszenarien erlebbar machen. Wie verwandeln sich denn diese Manifestzitate in den jeweiligen Szenen? Haben Sie da mal ein Beispiel?
    Rosefeldt: Manchmal gibt es eine fast lineale Übertragung des Gedankens oder des Esprits der jeweiligen Kunstrichtung in unsere Zeit, wie zum Beispiel im Futurismus. Die Futuristen waren ja geschwindigkeitsbegeistert, gleichzeitig sympathisierten sie mit dem Faschismus. Dieses latent gefährliche habe ich versucht, oder faschistoide habe ich versucht , auch in unsere Zeit zu übertragen. Ich habe für diese Szene eine Szenerie entworfen in einer Börse, wo Cate als Börsenmaklerin inmitten von hunderten von anderen Maklern in einer riesigen Halle sitzt und mit Wertpapieren am Telefon handelt. Diese Collage aus futuristischen Manifesten wird dort nicht von ihr gesprochen im Bild, sondern die denkt den, das ist ein innerer Monolog, das ist bei einigen Texten so.
    Die Geschwindigkeit wird sozusagen übersetzt in die Hochgeschwindigkeits- oder Turbogeschwindigkeitsfaszination vom heutigen Wertpapierhandel, dem ja auch was sehr bedrohliches innewohnt. Eine Methode, mit der ich viel arbeite, ist gerade die der Widersprüchlichkeit. Also ich zeige auch oft Räume, die in ihrer Funktionalität nicht leicht lesbar und erkennbar sind, die den Betrachter - so ist es zumindest beabsichtigt - aktivieren und ihn mehr fordern. Und dann lasse ich dort in diesen Räumen oder in diesen Szenerien Texte sprechen, die dort nicht unbedingt hingehören. Und das führt oft dazu, dass der Betrachter anders als im illustrativen Kino, wo er das Setting oder die Architektur immer unterstreicht, was gerade passiert, mehr aktiviert wird und sich mehr einbringen muss.
    "Zuschauer ist gewöhnt, an die Hand genommen zu werden"
    Hahn: Ihre Installation ist ja 2015 polyphon als Parallelprojektion angelegt, das heißt, alle 13 Filmsequenzen werden gleichzeitig im Raum gezeigt und der Zuschauer schneidet seinen eigenen Film, quasi durch die Entscheidung, was er betrachtet. Dieses Prinzip konnten Sie ja nicht auf der Kinoleinwand übertragen. Wie haben Sie da gearbeitet, wie haben Sie diese Installation für das Kino adaptiert?
    Rosefeldt: Es war tatsächlich alles andere als leicht. Bobby Good, der Editor und ich dachten zunächst, ja, das wird ein Kinderspiel, weil wir das Material in und auswendig kannten. Es war aber gar nicht so, es war furchtbar didaktisch und langweilig, die Teile einfach hintereinander zu hängen. Das funktionierte nicht. In Manifesto gibt es ja keine Narration, keine Geschichte, auch keine 13 Kurzgeschichten, sondern höchstens 13 Situationen. Und der Kinozuschauer ist es aber eigentlich gewöhnt, an die Hand genommen zu werden, durch eine Geschichte geführt zu werden.
    Der Künstler Julian Rosefeldt posiert am 09.02.2016 in Berlin im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart in seiner Ausstellung "Manifesto", einer Installation aus 13 parallel laufenden Filmen. Cate Blanchett liest darin die Texte verschiedener Manifeste und spielt in unterschiedlichen Rollen, wie im Hintergrund zu sehen.
    Julian Rosefeldt in seiner Ausstellung "Manifesto". Im Hintergrund ist die Schauspielerin Cate Blanchet in den verschiedenen Rollen des Filmes zu sehen. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Das Kino hat ja in 100 Jahren Filmgeschichte sich nur drei Formate ausgedacht: Kurzfilm, Langfilm und Dokumentarfilm. Und alles, was darüber hinaus geht an Experimentellem, passiert eigentlich im Kunstkontext. Man kann als Kinozuschauer nicht anders als zu erwarten, dass man irgendwie eine Geschichte erzählt bekommt, sei die auch verschränkt und aus verschiedenen Kurzepisoden bestehend. All das gibt es in Manifesto nicht, und deshalb mussten wir eine Art visuelle Narration ersinnen, die diese fehlende Narration ersetzt. Dabei hat sehr geholfen die Filmmusik von Nils Frahm und Ben Lukas Boysen, die schon die verschiedenen Schnitte auch miteinander verkittet und auch das Design war sehr wichtig, aber vor allen Dingen der Schnitt und die Art und Weise, wie wir visuell durch den Film gekommen sind, so eine Art Trip erzeugt haben, der jetzt den Zuschauer - ob er will oder nicht - in diesen Film hineinzieht.
    "Durch die Kinofassung kommtein ganz anderes Publikum dazu"
    Hahn: Was für eine Art Film ist es denn jetzt für Sie geworden?
    Rosefeldt: Ich weiß noch nicht mal, ob es ein Film ist, ich sage ja immer, es ist ein Ding. Es ist auf jeden Fall auch ein Ding, was die normale Art und Weise, Filme zu machen, hinterfragt, bei der man auf verschiedenste Art und Weisen beobachten kann, man kann sich ganz auf die Texte einlassen, weil das Cate so gut spielt, dass sie auch verschwindet hinter ihren 13 Charakteren. Man kann aber auch Cate dabei zuschauen, wie sie gut spielt und 13 Charaktere verkörpert. Also es gibt viel zu entdecken.
    Hahn: Ihr Ding war ja bisher auch ausschließlich das Museum. Was erhoffen und erwarten Sie davon, dass Manifesto nun einem auf der Kinoleinwand gezeigt wird?
    Rosefeldt: Na, ich freue mich vor allen Dingen, dass auf diese Weise ein breiteres, größeres Publikum mit diesen Manifestinhalten konfrontiert wird. Wir sehen auch ganz happy die Resultate von der Installation, die wird weltweit erfolgreich trainiert und tourt auch immer noch ganz viel angezettelt an verschiedensten Manifesttagungen und Workshops und so weiter, was mich sehr freut. Und jetzt durch die Kinofassung kommt natürlich nochmal ein ganz anderes Publikum dazu, diese Texte zu hören, was mich sehr freut, weil die Kunstwelt in gewisser Weise auch hermetisch ist. Weil wir dort mit Menschen reden, die wir gar nicht überzeugen müssen, weil sie meistens aus unseren Gefilden kommen und mit allem, was wir da so zu sagen haben, gemeinhin einverstanden sind. Und das ist in der Kinowelt vielleicht nicht unbedingt der Fall, da wird sich vielleicht die oder der ein oder andere auch in den Film verirren, nur weil da Cate Blanchet mitspielt oder weil irgendwie gerade kein anderer Film interessant war. Und in gewisser Weise freut mich das sehr, dass auf dieser Zufallsebene jetzt auch Künstlermanifeste breiter gestreut werden.
    Hahn: Sagt Julian Rosefeldt im Corsogespräch. Vielen Dank und viel Erfolg mit Manifesto, jetzt im Kino.
    Rosefeldt: Vielen herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.