Freitag, 29. März 2024

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Ausbau von Frontex
"Die Pläne sind überfällig"

Joachim Fritz-Vannahme von der Bertelsmann-Stiftung begrüßt die Pläne der EU-Kommission, die Grenzschutzagentur Frontex zu stärken. Allerdings könne sie nur unterstützend zu den nationalen Sicherheitskräften wirken, sagte er im DLF. Ein Sicherheitsnetz an Europas Grenzen könne es nicht geben.

Joachim Fritz-Vannahme im Gespräch mit Jonas Reese | 15.12.2015
    Ein mit Flüchtlingen und Migranten beladenes Boot wird am 7.11.2015 von der griechischen Küstenwache und einem FRONTEX-Boot vor der Küste der griechischen Insel Lesbos eskortiert.
    Ein mit Flüchtlingen und Migranten beladenes Boot wird am 7.11.2015 von der griechischen Küstenwache und einem FRONTEX-Boot vor der Küste der griechischen Insel Lesbos eskortiert. (picture alliance / dpa / ARIS MESSINIS)
    Jonas Reese: Am Telefon ist nun Joachim Fritz-Vannahme. Er ist Leiter des Programms Europas Zukunft von der Bertelsmann-Stiftung. Guten Abend!
    Joachim Fritz-Vannahme: Schönen guten Abend.
    Reese: Frontex als Schnelleingreiftruppe, die auch gegen den Willen der Länder das Grenzmanagement übernehmen kann, was halten Sie von den Plänen der EU-Kommission?
    Fritz-Vannahme: Ich glaube, dass die Pläne überfällig sind, aber gleichzeitig auch ein Stück weit was Irreführendes enthalten. Überfällig deswegen, weil das ja gar kein neues Konzept ist. Das wird seit über zehn Jahren diskutiert. Die Agentur Frontex gibt es seit über zehn Jahren. Es hat einen permanenten Aufwuchs, wie man bei der Bundeswehr sagen würde, gegeben an Personal. Jetzt sind 1.500 zusätzliche Kräfte für eine Schnelle Eingreiftruppe im Gespräch. Das Irreführende daran ist: Es wird kein Sicherheitsnetz geben, weil Europas Grenzen so überhaupt nicht beschaffen sind. Zäune auf Wasser gebaut, das geht nun mal nicht. Soviel Physik muss auch europäische Politik inzwischen gelernt haben. Und deswegen reden wir hier eigentlich eher über Spielräume, über Margen, über ein Minus in einem Bereich, wo im Augenblick viele den Eindruck haben, dass sie mit dem sehr, sehr großen Plus an Asyl- und Schutzsuchenden nicht mehr fertig werden.
    Die Fälle Polen und Griechenland
    Reese: Es gibt dagegen aber dennoch schon Gegenwehr aus den betroffenen Ländern, aus Griechenland, aus Italien, aus Ungarn und Polen vor allem, die den Eingriff nicht akzeptieren wollen in ihre nationalen Hoheitsgebiete. Sind diese Pläne nicht jetzt schon zum Scheitern verurteilt?
    Fritz-Vannahme: Das glaube ich nicht, denn es ist am Ende immer Verhandlungssache und je mehr Elemente auch hier in der Frage Flüchtlinge, Asyl auf den europäischen Tisch kommen, umso mehr Verhandlungsmasse ist ja da. Aber Sie haben die Länder beim Namen genannt und ich will vielleicht mal ganz kurz auf zwei Fälle eingehen, die dann doch relativ unterschiedlich geartet sind. Griechenland hat in den letzten Jahren tatsächlich Probleme gehabt beim Schutz seiner, ja über dieses Inselreich Griechenland auch nicht ganz leicht zu schützenden Außengrenze und hat am Anfang etwas bockig darauf reagiert, als sie hörten, ihr müsst da mehr tun, hat sich dann am Ende - die einen sagen unter der Drohung, die anderen sagen unter dem Zureden Brüsseler Stimmen - dann doch überzeugen lassen, dass es eher ein Hilfsangebot ist, was da aus der EU an Griechenland ergangen ist. Bei Polen liegt der Fall anders. Wir haben eine frisch gewählte, sehr nationalistische Regierung, die erst mal schlichtweg auf Souveränität pocht. Das mag vielleicht aus Sicht der Warschauer Regierung im Augenblick Erfolg versprechend sein, aber stellen wir uns mal vor, wir haben im Augenblick bereits rund eine Million Binnenflüchtlinge in der Ukraine, eine Spannungssituation mit Russland, ein wie auch immer gearteter Konflikt innerhalb der Ukraine, und plötzlich stehen da eine Million Ukrainer, die ganz gerne nach Polen wollten. Ich glaube, da wären die Polen auch nicht ganz unglücklich, wenn es eine solche Eingreiftruppe gäbe.
    "Es ist manchmal etwas misslich, der EU in ihrer Kompromissfindung zuzugucken"
    Reese: Aber gerade wenn die Interessenslagen so unterschiedlich sind, wie kann man dann doch noch im Endeffekt zu einer Einigung kommen? Am kommenden Donnerstag auf dem EU-Gipfel wird das Thema sein. Wie kann man da zu einer Einigung kommen?
    Fritz-Vannahme: Ich glaube nicht, dass das am Donnerstag bereits zu einer Einigung führen wird. Das sind Lernprozesse. Das haben wir, glaube ich, doch sehr anschaulich und zum Teil auch leidvoll erleben müssen über die vielen Jahre, in denen uns nun die Krise Griechenlands im Euro begleitet hat, immer noch begleitet, wo hingegen Spanien, Portugal, Irland auf einen ganz anderen Pfad inzwischen gewechselt sind. Ich glaube, das ist das Problem, das sich immer stellt, wenn man diese Europäische Union mit mittlerweile 28 Mitgliedern eigentlich in ihrem politischen Sinnen und Handeln verstehen möchte. 28 zu einem Kompromiss zu bekommen, braucht Zeit. 28 zu einem Kompromiss zu bekommen, braucht häufig - siehe Griechenland und Euro - manchmal auch einen massiven äußeren Druck. Ich glaube, der ist bei den Flüchtlingen im Augenblick gegeben. Der Druck steigt permanent und alle merken, es muss was geschehen. Aber wie sich es dann am Ende bei Tische aushandeln lässt, ist häufig, glaube ich, eher mit viel Geduld und auch manchmal mit viel Kopfschütteln verbunden, wo man sagt, warum haben sie das eigentlich nicht viel früher gemerkt und besser gewendet und gedreht. Es ist so: Wir haben seit zehn Jahren, über zehn Jahren Frontex und jetzt merken wir erst ganz deutlich, wie dringend das eigentlich nötig ist, und plötzlich reden wir über die Spielregeln, über die Einsatzregeln, über das Ja und das Nein und das Pro und das Contra. Es ist manchmal schon etwas misslich, dieser Europäischen Union in ihrer Kompromissfindung zuzugucken, und ich kann auch jeden verstehen, der da manchmal sich kopfschüttelnd und grausend wendet und sagt, das ist ja nun wirklich nicht unbedingt die Erfindung der bestmöglichen Politik.
    "Zwischen Intervention und Souveränität ist noch Luft"
    Reese: Und diese Problematik, sie wird ja extrem deutlich jetzt gerade auch in der Flüchtlingspolitik. So auseinandergedriftet hat man Europa selten gesehen. Wie kann man da zu einer Einigung kommen? Die Frontex-Geschichte ist ja nur eine Sache in dieser ganzen Flüchtlingspolitik.
    Fritz-Vannahme: Ich will es mal bei dem einen Beispiel belassen. Ich gebe Ihnen hier vollkommen recht: Da steckt ja wie bei den russischen Puppen im Augenblick eine Krise in der nächsten. Ich bleibe mal bei dem Stichwort Frontex. Erstens: Es gibt Frontex. Alle haben zugestimmt. Alle stimmen im Augenblick auch überein, dass Frontex notwendig ist und weiterentwickelt werden muss. Das Wie ist der Punkt. Und zwischen europäischem Interventionismus, der sich jetzt da abzeichnet im Entwurf der Europäischen Kommission, die sagt, auch wenn ein Mitgliedsstaat das vielleicht gar nicht will, wir müssen da reingehen, und dem Pochen auf nationaler Souveränität - ich habe ja zwei Länder genannt, wo das genau stattgefunden hat -, da ist schon noch ein bisschen Spielraum dazwischen. Man kann sich ja vorstellen dass man sagt, es wird ein Frontex-Angebot im Eilverfahren gemacht, wenn man merkt, dass ein Land mit dem Problem nicht fertig wird. Das Land kann aber vielleicht nicht ganz alleine darüber entscheiden, ob denn Frontex dort zur Verstärkung eingesetzt wird. Und im Übrigen hat die Kommission schon in ihrem Entwurf klar gemacht, dass, wenn diese 1.500 Mann da tatsächlich eingesetzt werden würden, es immer unter nationalem Befehl geschehen wird. Es ist nicht so, dass eine EU-Truppe dann einer griechischen Truppe, einer - ich bleibe mal beim Beispiel - morgen vielleicht polnischen Truppe sagen dürfte, wo es langgeht und was sie zu tun haben. Nein, die Befehlskette läuft umgekehrt. Ich glaube, zwischen diesen beiden Begriffen, Intervention und Souveränität, da ist noch Luft und da wird man auch in den nächsten Wochen und Monaten vermutlich noch einige Gespräche führen können, und ich bin da nicht ganz so pessimistisch, weil wie gesagt das Grundprinzip von allen ja akzeptiert worden ist. Übrigens kleiner Hinweis vielleicht an die etwas sperrigen Polen im Augenblick: Das Hauptquartier von Frontex sitzt in Warschau.
    Reese: Alles eine Frage der eigenen Interessen. - Das war Joachim Fritz-Vannahme von der Bertelsmann-Stiftung. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.