Archiv


Auslöser der Angst

Neurologie. - Rund 1,6 Millionen Menschen leiden in Deutschland unter zuviel Angst. Angst vor Menschenmengen, vor Spinnen, vor Treppen, vor der frischen Luft und vor Fahrstühlen. Das Spektrum ist riesig. Bei den klassischen Phobien sind sich Experten inzwischen ziemlich sicher: Diese Angst wurde irgendwann einmal erlernt. Dazu gibt es hinreichend Forschung. Einer amerikanischen Wissenschaftlerin reichte das jedoch nicht: Sie wollte wissen, wie man die Angst wieder verlernt.

Von Kristin Raabe |
    Eigentlich ist das Liegen in der engen Röhre eines zudem noch ziemlich lauten Kernspintomographen schon unangenehm genug. Nichts für Menschen mit Platzangst. Aber um die Angst ging es Elizabeth Phelps bei ihrer Untersuchung. Also mussten die Versuchspersonen Angst bekommen. Und das erreichte die amerikanische Hirnforscherin von der New York Universität mit Hilfe von Elektroschocks:

    Was wir gemacht haben, war im Grunde nichts anderes als eine klassische Konditionierung. Dabei haben wir in unserem Experiment einen neutralen Reiz mit etwas Unangenehmem kombiniert. Unsere Versuchspersonen bekamen einen leichten Elektroschock auf die Hand, wenn wir ihnen ein blaues Viereck zeigten. Irgendwann bekommt dann der neutrale Reiz dieselbe Bedeutung wie der unangenehme Reiz. In unserem Fall löste nach einiger Zeit schon der bloße Anblick des blauen Vierecks die Angst vor dem Elektroschock aus. Wir wollten allerdings wissen, was im Gehirn geschieht, wenn ein Mensch diese zuvor erlernte Angst wieder verliert.

    Wenn die Versuchspersonen nach einiger Zeit gemerkt hatten, dass die Elektroschocks auch beim Anblick des blauen Dreiecks ausblieben, dann konnte Elizabeth Phelps durch den Kernspintomographen sehen, was dabei in ihrem Gehirn geschah: Der sogenannte Mandelkern war aktiv. Diese Gehirnstruktur liegt im Gefühlszentrum des Gehirns und ist auch beim Erlernen von Ängsten beteiligt. Offenbar hilft der Mandelkern aber auch dabei, die Angst wieder zu verlieren. Phelps:

    Das frühe Lernen, dass die Angst unbegründet ist, findet im Mandelkern statt. Aber nach einiger Zeit - bei unserem Experiment nach einem Tag - ist plötzlich auch ein Bereich in unserer Großhirnrinde beteiligt. Er hat eine gute Verbindung zum Mandelkern. Dieses Hirngebiet ist wahrscheinlich beim Abrufen des Erlernten beteiligt. Irgendwie sorgt dieses Hirngebiet dafür, dass das Erlernte verarbeitet wird.

    Wenn Forscher wie Elizabeth Phelps verstehen, wie ein Mensch seine Ängste verliert, dann können sie dieses Wissen vielleicht auch einsetzen, um Patienten mit Angststörungen zu helfen. Phelps:

    Es gibt Hinweise dafür, dass unser kleines Experiment ein gutes Modell für manche Angsterkrankungen sein könnte. Die normale Behandlung bei Phobien beispielsweise funktioniert eigentlich genauso. Der Patient wird immer wieder mit den angstauslösenden Reizen konfrontiert. Irgendwann lernt er dann, dass seine Angst unbegründet ist. Dann verliert der Reiz seine angstauslösende Wirkung. Manche Angststörungen sind natürlich viel komplizierter. Aber ich glaube, dass beim Verlieren einer Angst im Gehirn immer ähnliche Prozesse ablaufen.

    Die Studie von Elizabeth Phelps hat gezeigt, dass die Daten aus Experimenten mit Tieren auch auf den Menschen übertragbar sind. An Ratten und Mäusen können die Forscher nun guten Gewissens untersuchen, welche biochemischen Prozesse im Gehirn, am Verlernen von Ängsten beteiligt sind. In ferner Zukunft könnte dann auch Patienten mit schweren Angsterkrankungen mit einer Pille gegen die Angst geholfen werden.