Es ist 10 Uhr morgens. Der Verkehr braust um den Calgary Tower mitten in der City. Da öffnet sich direkt vor den Glastüren ein Viehtransporter und ein Mann in Jeans und blendend weißem Hut holt sein Pferd heraus. Es ist David Cowley, Cowboy von der Rafter Six Ranch. Er schwingt sich in den Sattel und dirigiert Spencer, das Pferd, vorsichtig ins Innere des Turms - und weiter hinein in den Aufzug. 160 Meter höher öffnet der sich in der verglasten Aussichtsplattform und hoch zu Ross erzählt David, wie das alles begann, 1998:
"Ich fing damit an, als ich 19 war. Ich hatte ein Pferd, das bekannt dafür war, dass es alles für mich tun würde. Ein paar Hotels und Restaurants baten mich, hin und wieder einfach mal zur Tür herein zu reiten. Ich hatte damit Auftritte in der ganzen Stadt, aber ich suchte nach einer größeren Herausforderung. Eines Tages kam ich am Turm hier vorbei. Ich guckte hoch und dachte mir: warum eigentlich nicht? Ich habe mir die Erlaubnis der Verwaltung geholt und ein paar Tage später sind wir das erste Mal nach oben. Seitdem hat das Tradition."
Kein Jahr hat David seitdem ausgelassen, und sein Auftritt wurde zu einem weiteren ungewöhnlichen Ritual dieses bunten Volksfestes namens Calgary Stampede.
Einige solcher Kuriositäten sind dazugekommen, seit der Lasso-Künstler Guy Weadick im September 1912 zum ersten Mal Cowboys aus ganz Nordamerika zu einer großen Wildwest-Show nach Calgary einlud. Die aufstrebende Viehzüchterstadt erlebte damals eine aufregende Zeit, erzählt Barb Munro im Historischen Dorf des Heritage Park Museums:
"1912 - wir erleben einen Boom. Jeden Tag kommen neue Familien am Bahnhof an. Die Stadt dehnt sich aus, wir haben jetzt Gebäude aus Sandstein, an jeder Ecke wird gebaut und wir sind mindestens schon 40.000 Einwohner. Wir verfügen über eine nagelneue Bücherei, ein nagelneues Theater - und wir werden zum ersten Mal eine Stampede erleben."
Viele der Attraktionen, die heute die Massen in Atem halten, gab es auch schon bei dieser ersten Stampede.
"Geplant ist ein tolles Rodeo. Es wird einen Rummel geben und eine Abnormitätenschau. Wir haben die Frau mit Bart und den Zwergen-Mann, wir sehen Lassokünstler und Bullenreiter und eine große Parade in der Hauptstraße, mit Musikern auf Pferderücken. Tausende von Leuten werden kommen, um sich das anzusehen."
Aus dem Wildwestzirkus von damals ist ein millionenschweres Großereignis geworden, Rummel und Sportveranstaltung zugleich, Laufsteg, Industrieschau und Showzirkus.
Eröffnet werden die zehn tollen Tage mit der großen Parade. Vorneweg reitet der Bürgermeister, gefolgt von einem bunten Zug aus 4000 Menschen, 700 Pferden und diversen Fahrzeugen, aufgeteilt auf 120 verschiedene Gruppen. Große Firmen wie Halliburton oder ATB Financial sind mit ihren Angestellten vertreten, aber auch die Vereinigung chinesischer oder muslimischer Unternehmer. Dann reitet die Indian Stampede Princess Amelia Crowshoe daher, umgeben von Vertretern ihres Stammes, der Piikani. Die Geschichte der Ureinwohner und der weißen Siedler in Nordamerika ist bekanntlich eine eher leidvolle. Trotzdem nehmen fünf Stämme immer schon an der Stampede teil. Amelia erklärt, wie es dazu kam:
"Als Guy Weadick die Stampede ins Leben rief, wollte er den Pioniergeist des Westens feiern. Er und seine Frau kannten das Leben der First Nations und waren begeistert davon. Als damals die ersten Siedler kamen, haben wir sie willkommen geheißen und wir haben Abkommen geschlossen, um friedlich zusammenzuleben. Guy Weadick wollte daran erinnern. Deshalb hat er das indianische Dorf aufgebaut."
Dass 1800 Angehörige der First Nations bei der ersten Parade 1912 mit durch die Straßen zogen, war alles andere als selbstverständlich:
"Guy Weadick drängte bei der Regierung darauf, dass sie die First Nations an der Stampede teilnehmen ließ. Eigentlich durften wir das Reservat überhaupt nicht verlassen. Wir konnten unsere Sprache nicht sprechen, konnten unsere Kultur nicht praktizieren - da bot uns die Stampede eine großartige Bühne, uns und unser Leben vorzustellen. Und jeder nahm uns wahr. Seitdem herrscht zwischen den First Nations und der Stampede eine gute Partnerschaft. Die fünf Stämme des Indian Village waren immer bei der Stampede dabei."
Zurück zur Parade. Christliche Schulen, Cheerleader und Freimaurer haben ihre eigenen Wagen. Die Veteranen der Mounties, der berittenen Polizei, marschieren auf, und ihnen folgen die Abgeordneten der First Nations in ihrem Federschmuck. Schüler aus Taiwan, junge Frauen aus Helsingør und der Fanfarenzug Potsdam vertreten die große weite Welt. So viel blitzendes Blech, wippende Federbüsche, glatt rasierte Gesichter, von denen der Schweiß rinnt.
Und immer wieder Märsche, Pfeifen, Trommelwirbel - und um die Ecke biegt schon mit Trippelschritten das Musikkorps der Marine, gefolgt von drei röhrenden Panzern, die kreiselnd Asphalt von der Straße kratzen. Die Botschaft ist klar: "Calgary first! Kanada ganz oben!" Big Business und Mittelstand, Armee, Wohltätigkeitsvereine, Sportler - hier sind die Säulen der kanadischen Gesellschaft versammelt. Und jeder macht mit. Es sind Tausende von Freiwilligen, die neben den Profis die Stampede vorbereiten und am Laufen halten.
Die Frauen und Männer des "Downtown Attractions Commitee" etwa stehen jeden Morgen auf der Olympic Plaza und bereiten Gratis-Frühstück zu.
"Wir braten hier Speck und backen Pfannkuchen für die Leute. Wir tun das aus freien Stücken, weil es Spaß macht. Wir stehen hier Jahr für Jahr, es ist inzwischen eine richtige Familientradition geworden. Es ist schön, weil man Leute aus der ganzen Welt trifft."
Drei- bis viertausend hungrige Menschen warten geduldig in langen Reihen. Marchie, eine ältere Dame im Clownskostüm, hält sie bei Laune:
"Ich gebe die Pfannkuchen aus. Die Kollegen hier belegen sie mit ein bisschen Speck und machen sie fertig und ich reiche sie dann an die Leute hinter mir weiter. Die stehen schon sehr, sehr lange an, in einer sehr, sehr langen Schlange. Ich mach` das gern. Ich bin Rentnerin und habe nichts Besseres zu tun."
Das eigentliche Geschehen aber findet auf dem abgetrennten Areal der "Stampede Grounds" statt. In gut belüfteten Hallen scharren preisgekrönte Pferde, Bullen, Ziegen und Hühner. Schafscherer und Hufschmiede zeigen ihr Können, Korsos historischer Traktoren feiern das gute alte Landleben - und den nicht weniger geliebten Fortschritt.
Im indianischen Dorf trocknet vor den Tipis der First Nations Fleisch am Feuer. Bronzefarbene Männer mit Federschlappen und rot gelockte Schönheiten mit weißen Hüten üben gemeinsam Tanzschritte.
Menschenmassen schieben sich zwischen Achterbahnen und Losbuden hindurch, von den Pizza- und Popcorn-Ständen riecht es nach Karamell und heißem Käse. Jahr für Jahr verblüfft die Industrie die Besucher mit neuen Schockern aus der Fritteuse. Hala Dehais, eine junge Feinschmeckerin, lässt sich nie etwas entgehen:
"Dazu gehört frittierte Cola oder frittiertes Koolaid - eine Limonade. Man nimmt Coca-Cola-Sirup, spritzt ihn in Teig - und backt das Ganze aus. Im Prinzip frittiert man eigentlich alles, was man in einem Laden kaufen kann - es schmeckt so viel besser. Ich habe am liebsten ausgebackene Oreos, Schokoladenkekse. Da verschmelzen die Schokolade und die Cremefüllung mit dem Teig. Dann gibt es noch Twinkies und Wagonwheels, auch das ist Gebäck mit Schoko und Creme. Und auch das schmeckt frittiert einfach superköstlich."
Mehr als um die Kalorien ihrer Kunden sorgen sich die Verkäufer um deren saubere Finger:
"Man ist ja so beschäftigt, alles auszuprobieren - und das wollen sie einem so leicht wie möglich machen. Darum stecken sie alles auf Spieße. Es gibt Pizza auf dem Spieß, sodass man sie beim Gehen essen kann, ohne fettige Hände zu kriegen, Speck auf dem Spieß, Kartoffelchips auf dem Spieß - du machst Ketchup darauf und kannst sie mit einer Hand essen."
Am heftigsten aber schlägt das Herz der Stampede in der Arena beim Rodeo.
"...I declare the Calgary Stampede officially opened. Yahoo!"
Tag für Tag treten sie hier gegeneinander an, die Planwagenfahrer, Stierringer und Reiter. Sie sind Stars, ein großer, von Rodeo zu Rodeo reisender Zirkus, an den während der zehn Tage insgesamt zwei Millionen Dollar an Preisgeldern ausgeschüttet werden.
Die Reiter müssen sich mit und ohne Sattel mindestens acht Sekunden in möglichst eleganter Haltung auf einem wild buckelnden Pferd oder Bullen halten - die längsten acht Sekunden des Sports. Der 27-jährige Wesley Sokoks aus Utah ist heute ganz zufrieden:
"Ich bin gestern auf dem Bullen oben geblieben, heute auch - und habe damit eine ganze Menge Geld gemacht - super!"
Wie bitteschön, hält man sich eigentlich auf einem zentnerschweren, wild herumbockenden Muskelpaket mit Hörnern?
"Ach, das ist ganz einfach. Lass nur nicht los - und gib dein Bestes. Bullenreiten ist wie Fahrradfahren. Wenn man es einmal gelernt hat, kann man es. Pferde dagegen buckeln und schlagen viel heftiger aus und sind schneller als Bullen - auf ein Rodeo-Pferd würde ich mich nie setzen."
Auch Wesleys Vater und sein Bruder betreiben den uramerikanischen Sport professionell. Mit 14 saß er selbst zum ersten Mal auf einem Bullen - und seitdem bei Hunderten von Rodeos. Ganz glimpflich verläuft so ein Ritt allerdings nicht immer.
"Natürlich wird man mal verletzt, oder bricht sich den einen oder anderen Knochen. Aber ein Unglück kann dir auch passieren, wenn du über die Straße gehst. Einmal hat mich ein Stier im Gesicht getroffen. Die eine Seite hat es ziemlich übel erwischt. Das Jochbein gebrochen, in die Wange bekam ich eine Platte - am Ende aber hat der Arzt es wieder prima hingekriegt."
Und tatsächlich ist von den Narben fast nichts zu sehen. Hat er trotz des Risikos noch Spaß an seinen Auftritten, oder sind sie längst nur noch ein einträglicher Job geworden?
"Es ist ein bisschen was von beidem. Natürlich verdiene ich mein Geld damit. Aber du brauchst auch diesen inneren Drang, es machen zu wollen. Sobald du den verlierst, solltest du aufhören. Das ist wie beim Fallschirmspringen oder beim Motorradfahren - wenn du nicht mehr das Gefühl hast, dass du das machen musst, dann lässt du es lieber."
Drei Jahre noch will Wesley sein Geld in Sekundenschnelle verdienen. Dann hat es ein Ende.
"Ich bin jetzt 27. Mit 30 höre ich auf. Ich möchte Schluss machen, solange ich noch ganz oben stehe. Ich mache das jetzt seit Jahren Tag für Tag, ich reise von Stadt zu Stadt und von Rodeo zu Rodeo. Ich bin ein bisschen ausgebrannt. Bisher ist es zwar immer gut gegangen - aber jetzt habe ich ein Baby, auf das ich achten muss. Einige wollen reiten, bis sie vom Pferd fallen - ich möchte da raus, solange ich noch auf beiden Beinen aus der Arena gehen kann."
Das Startsignal zu den Chuckwagonraces. Etwa 80 Sekunden dauern die Wettrennen der je vier Planwagen, eine Runde über die ovale Sandbahn. Hervorgegangen sind sie aus dem Alltag der Cowboys, sagt Kirk Moore, Polizist von Beruf und in diesen Tagen der Stampede einer der vielen freiwilligen Helfer:
"Die Planwagen haben eine lange Geschichte, es gab sie schon im amerikanischen Bürgerkrieg. Zunächst dienten sie als Lazarette. Später wurden sie zu Küchenwagen. Dort kam jeder hin, wenn es Essen gab. Wenn die Cowboys von Camp zu Camp zogen, hieß es gegen Abend natürlich immer: Ich bin vor euch am nächsten Platz, ich bin schneller als Ihr in der Stadt. Wer zuletzt ankommt, gibt einen aus."
Das ersten Wagenrennen der Stampede fand 1923 statt. Teilnehmen konnte jeder, der wollte.
"Sie kamen damals mit richtigen Arbeitswagen und ihren schweren Rössern. Am Anfang des Rennens mussten sie einen Ofen auf den Wagen laden, dann ging es los. Mitten in der Arena stoppten sie - und gewonnen hatte am Ende der, aus dessen Ofen zuerst Rauch kam. Man konnte also auch ohne die allerschnellsten Pferde gewinnen, wenn man gut im Feuermachen war."
Aber die Wagenrennen sind in die Kritik geraten. Tierschützer beklagen, dass immer wieder Pferde verletzt werden. Troy Flad, einer der Wagenlenker, nimmt die Vorwürfe sehr ernst.
"Ja, es gibt Unfälle, unglücklicherweise, da braucht man nicht drum herumzureden. Aber wir kaufen unsere Pferde zu Preisen, die von einem besseren Trinkgeld bis zu 50.000 Dollar reichen. Da rast du nicht einfach herum wie Ben Hur. Für uns ist ganz entscheidend, wie wir uns um unsere Pferde kümmern. Sie sind nicht nur Pferde - sie gehören zur Familie. Jedes hat seinen eigenen Charakter, jedes muss individuell angefasst werden."
Und deshalb, sagt Troy Flad, hätten die Fahrer selbst sich darum gekümmert, die Rennen sicherer für Mensch und Tier zu machen.
"Wir haben mit unseren Verbänden hart daran gearbeitet, das Risiko so klein wie möglich zu halten. Die Strafen für schuldhafte Fehler beginnen jetzt bei 10.000 Dollar - wir halten wirklich Abstand voneinander. Die Leute, die öfter Unfälle verursacht haben, mussten so viel bezahlen, dass sie das Fahren inzwischen aufgegeben haben - aus finanziellen Gründen."
Rund 20.000 Zuschauer folgen enthusiastisch den Wettkämpfen. Die Männer dort unten verkörpern die Eigenschaften, die den weißen Siedlern das Überleben ermöglichten: Mut, Kraft, Zähigkeit, ein gutes Auge und Entscheidungsfreude - Fähigkeiten, wie sie heute noch auf den Ölfeldern der Provinz gefragt sind.
Gleich nach dem Wagenrennen startet die große Show.
Sie wird gigantisch, wie nicht anders zu erwarten in der Stadt der Ölmilliarden - der einzigen Kanadas, in der die Immobilienpreise immer noch in dem Himmel schießen.
Flammen züngeln, Lassowerfer aus China zeigen den Profis, was Sache ist, Motorradfahrer schlagen Saltos über die Bühne. Endlich gleitet ein goldener Adler über den Nachthimmel, auf einem silbernen Truck schwebt ein Countrystar ein und der Himmel explodiert in einem exquisiten Feuerwerk. Wenn das Guy Weadick noch erlebt hätte - er wäre so überwältigt gewesen wie die Tausenden heute Abend.
"Ich fing damit an, als ich 19 war. Ich hatte ein Pferd, das bekannt dafür war, dass es alles für mich tun würde. Ein paar Hotels und Restaurants baten mich, hin und wieder einfach mal zur Tür herein zu reiten. Ich hatte damit Auftritte in der ganzen Stadt, aber ich suchte nach einer größeren Herausforderung. Eines Tages kam ich am Turm hier vorbei. Ich guckte hoch und dachte mir: warum eigentlich nicht? Ich habe mir die Erlaubnis der Verwaltung geholt und ein paar Tage später sind wir das erste Mal nach oben. Seitdem hat das Tradition."
Kein Jahr hat David seitdem ausgelassen, und sein Auftritt wurde zu einem weiteren ungewöhnlichen Ritual dieses bunten Volksfestes namens Calgary Stampede.
Einige solcher Kuriositäten sind dazugekommen, seit der Lasso-Künstler Guy Weadick im September 1912 zum ersten Mal Cowboys aus ganz Nordamerika zu einer großen Wildwest-Show nach Calgary einlud. Die aufstrebende Viehzüchterstadt erlebte damals eine aufregende Zeit, erzählt Barb Munro im Historischen Dorf des Heritage Park Museums:
"1912 - wir erleben einen Boom. Jeden Tag kommen neue Familien am Bahnhof an. Die Stadt dehnt sich aus, wir haben jetzt Gebäude aus Sandstein, an jeder Ecke wird gebaut und wir sind mindestens schon 40.000 Einwohner. Wir verfügen über eine nagelneue Bücherei, ein nagelneues Theater - und wir werden zum ersten Mal eine Stampede erleben."
Viele der Attraktionen, die heute die Massen in Atem halten, gab es auch schon bei dieser ersten Stampede.
"Geplant ist ein tolles Rodeo. Es wird einen Rummel geben und eine Abnormitätenschau. Wir haben die Frau mit Bart und den Zwergen-Mann, wir sehen Lassokünstler und Bullenreiter und eine große Parade in der Hauptstraße, mit Musikern auf Pferderücken. Tausende von Leuten werden kommen, um sich das anzusehen."
Aus dem Wildwestzirkus von damals ist ein millionenschweres Großereignis geworden, Rummel und Sportveranstaltung zugleich, Laufsteg, Industrieschau und Showzirkus.
Eröffnet werden die zehn tollen Tage mit der großen Parade. Vorneweg reitet der Bürgermeister, gefolgt von einem bunten Zug aus 4000 Menschen, 700 Pferden und diversen Fahrzeugen, aufgeteilt auf 120 verschiedene Gruppen. Große Firmen wie Halliburton oder ATB Financial sind mit ihren Angestellten vertreten, aber auch die Vereinigung chinesischer oder muslimischer Unternehmer. Dann reitet die Indian Stampede Princess Amelia Crowshoe daher, umgeben von Vertretern ihres Stammes, der Piikani. Die Geschichte der Ureinwohner und der weißen Siedler in Nordamerika ist bekanntlich eine eher leidvolle. Trotzdem nehmen fünf Stämme immer schon an der Stampede teil. Amelia erklärt, wie es dazu kam:
"Als Guy Weadick die Stampede ins Leben rief, wollte er den Pioniergeist des Westens feiern. Er und seine Frau kannten das Leben der First Nations und waren begeistert davon. Als damals die ersten Siedler kamen, haben wir sie willkommen geheißen und wir haben Abkommen geschlossen, um friedlich zusammenzuleben. Guy Weadick wollte daran erinnern. Deshalb hat er das indianische Dorf aufgebaut."
Dass 1800 Angehörige der First Nations bei der ersten Parade 1912 mit durch die Straßen zogen, war alles andere als selbstverständlich:
"Guy Weadick drängte bei der Regierung darauf, dass sie die First Nations an der Stampede teilnehmen ließ. Eigentlich durften wir das Reservat überhaupt nicht verlassen. Wir konnten unsere Sprache nicht sprechen, konnten unsere Kultur nicht praktizieren - da bot uns die Stampede eine großartige Bühne, uns und unser Leben vorzustellen. Und jeder nahm uns wahr. Seitdem herrscht zwischen den First Nations und der Stampede eine gute Partnerschaft. Die fünf Stämme des Indian Village waren immer bei der Stampede dabei."
Zurück zur Parade. Christliche Schulen, Cheerleader und Freimaurer haben ihre eigenen Wagen. Die Veteranen der Mounties, der berittenen Polizei, marschieren auf, und ihnen folgen die Abgeordneten der First Nations in ihrem Federschmuck. Schüler aus Taiwan, junge Frauen aus Helsingør und der Fanfarenzug Potsdam vertreten die große weite Welt. So viel blitzendes Blech, wippende Federbüsche, glatt rasierte Gesichter, von denen der Schweiß rinnt.
Und immer wieder Märsche, Pfeifen, Trommelwirbel - und um die Ecke biegt schon mit Trippelschritten das Musikkorps der Marine, gefolgt von drei röhrenden Panzern, die kreiselnd Asphalt von der Straße kratzen. Die Botschaft ist klar: "Calgary first! Kanada ganz oben!" Big Business und Mittelstand, Armee, Wohltätigkeitsvereine, Sportler - hier sind die Säulen der kanadischen Gesellschaft versammelt. Und jeder macht mit. Es sind Tausende von Freiwilligen, die neben den Profis die Stampede vorbereiten und am Laufen halten.
Die Frauen und Männer des "Downtown Attractions Commitee" etwa stehen jeden Morgen auf der Olympic Plaza und bereiten Gratis-Frühstück zu.
"Wir braten hier Speck und backen Pfannkuchen für die Leute. Wir tun das aus freien Stücken, weil es Spaß macht. Wir stehen hier Jahr für Jahr, es ist inzwischen eine richtige Familientradition geworden. Es ist schön, weil man Leute aus der ganzen Welt trifft."
Drei- bis viertausend hungrige Menschen warten geduldig in langen Reihen. Marchie, eine ältere Dame im Clownskostüm, hält sie bei Laune:
"Ich gebe die Pfannkuchen aus. Die Kollegen hier belegen sie mit ein bisschen Speck und machen sie fertig und ich reiche sie dann an die Leute hinter mir weiter. Die stehen schon sehr, sehr lange an, in einer sehr, sehr langen Schlange. Ich mach` das gern. Ich bin Rentnerin und habe nichts Besseres zu tun."
Das eigentliche Geschehen aber findet auf dem abgetrennten Areal der "Stampede Grounds" statt. In gut belüfteten Hallen scharren preisgekrönte Pferde, Bullen, Ziegen und Hühner. Schafscherer und Hufschmiede zeigen ihr Können, Korsos historischer Traktoren feiern das gute alte Landleben - und den nicht weniger geliebten Fortschritt.
Im indianischen Dorf trocknet vor den Tipis der First Nations Fleisch am Feuer. Bronzefarbene Männer mit Federschlappen und rot gelockte Schönheiten mit weißen Hüten üben gemeinsam Tanzschritte.
Menschenmassen schieben sich zwischen Achterbahnen und Losbuden hindurch, von den Pizza- und Popcorn-Ständen riecht es nach Karamell und heißem Käse. Jahr für Jahr verblüfft die Industrie die Besucher mit neuen Schockern aus der Fritteuse. Hala Dehais, eine junge Feinschmeckerin, lässt sich nie etwas entgehen:
"Dazu gehört frittierte Cola oder frittiertes Koolaid - eine Limonade. Man nimmt Coca-Cola-Sirup, spritzt ihn in Teig - und backt das Ganze aus. Im Prinzip frittiert man eigentlich alles, was man in einem Laden kaufen kann - es schmeckt so viel besser. Ich habe am liebsten ausgebackene Oreos, Schokoladenkekse. Da verschmelzen die Schokolade und die Cremefüllung mit dem Teig. Dann gibt es noch Twinkies und Wagonwheels, auch das ist Gebäck mit Schoko und Creme. Und auch das schmeckt frittiert einfach superköstlich."
Mehr als um die Kalorien ihrer Kunden sorgen sich die Verkäufer um deren saubere Finger:
"Man ist ja so beschäftigt, alles auszuprobieren - und das wollen sie einem so leicht wie möglich machen. Darum stecken sie alles auf Spieße. Es gibt Pizza auf dem Spieß, sodass man sie beim Gehen essen kann, ohne fettige Hände zu kriegen, Speck auf dem Spieß, Kartoffelchips auf dem Spieß - du machst Ketchup darauf und kannst sie mit einer Hand essen."
Am heftigsten aber schlägt das Herz der Stampede in der Arena beim Rodeo.
"...I declare the Calgary Stampede officially opened. Yahoo!"
Tag für Tag treten sie hier gegeneinander an, die Planwagenfahrer, Stierringer und Reiter. Sie sind Stars, ein großer, von Rodeo zu Rodeo reisender Zirkus, an den während der zehn Tage insgesamt zwei Millionen Dollar an Preisgeldern ausgeschüttet werden.
Die Reiter müssen sich mit und ohne Sattel mindestens acht Sekunden in möglichst eleganter Haltung auf einem wild buckelnden Pferd oder Bullen halten - die längsten acht Sekunden des Sports. Der 27-jährige Wesley Sokoks aus Utah ist heute ganz zufrieden:
"Ich bin gestern auf dem Bullen oben geblieben, heute auch - und habe damit eine ganze Menge Geld gemacht - super!"
Wie bitteschön, hält man sich eigentlich auf einem zentnerschweren, wild herumbockenden Muskelpaket mit Hörnern?
"Ach, das ist ganz einfach. Lass nur nicht los - und gib dein Bestes. Bullenreiten ist wie Fahrradfahren. Wenn man es einmal gelernt hat, kann man es. Pferde dagegen buckeln und schlagen viel heftiger aus und sind schneller als Bullen - auf ein Rodeo-Pferd würde ich mich nie setzen."
Auch Wesleys Vater und sein Bruder betreiben den uramerikanischen Sport professionell. Mit 14 saß er selbst zum ersten Mal auf einem Bullen - und seitdem bei Hunderten von Rodeos. Ganz glimpflich verläuft so ein Ritt allerdings nicht immer.
"Natürlich wird man mal verletzt, oder bricht sich den einen oder anderen Knochen. Aber ein Unglück kann dir auch passieren, wenn du über die Straße gehst. Einmal hat mich ein Stier im Gesicht getroffen. Die eine Seite hat es ziemlich übel erwischt. Das Jochbein gebrochen, in die Wange bekam ich eine Platte - am Ende aber hat der Arzt es wieder prima hingekriegt."
Und tatsächlich ist von den Narben fast nichts zu sehen. Hat er trotz des Risikos noch Spaß an seinen Auftritten, oder sind sie längst nur noch ein einträglicher Job geworden?
"Es ist ein bisschen was von beidem. Natürlich verdiene ich mein Geld damit. Aber du brauchst auch diesen inneren Drang, es machen zu wollen. Sobald du den verlierst, solltest du aufhören. Das ist wie beim Fallschirmspringen oder beim Motorradfahren - wenn du nicht mehr das Gefühl hast, dass du das machen musst, dann lässt du es lieber."
Drei Jahre noch will Wesley sein Geld in Sekundenschnelle verdienen. Dann hat es ein Ende.
"Ich bin jetzt 27. Mit 30 höre ich auf. Ich möchte Schluss machen, solange ich noch ganz oben stehe. Ich mache das jetzt seit Jahren Tag für Tag, ich reise von Stadt zu Stadt und von Rodeo zu Rodeo. Ich bin ein bisschen ausgebrannt. Bisher ist es zwar immer gut gegangen - aber jetzt habe ich ein Baby, auf das ich achten muss. Einige wollen reiten, bis sie vom Pferd fallen - ich möchte da raus, solange ich noch auf beiden Beinen aus der Arena gehen kann."
Das Startsignal zu den Chuckwagonraces. Etwa 80 Sekunden dauern die Wettrennen der je vier Planwagen, eine Runde über die ovale Sandbahn. Hervorgegangen sind sie aus dem Alltag der Cowboys, sagt Kirk Moore, Polizist von Beruf und in diesen Tagen der Stampede einer der vielen freiwilligen Helfer:
"Die Planwagen haben eine lange Geschichte, es gab sie schon im amerikanischen Bürgerkrieg. Zunächst dienten sie als Lazarette. Später wurden sie zu Küchenwagen. Dort kam jeder hin, wenn es Essen gab. Wenn die Cowboys von Camp zu Camp zogen, hieß es gegen Abend natürlich immer: Ich bin vor euch am nächsten Platz, ich bin schneller als Ihr in der Stadt. Wer zuletzt ankommt, gibt einen aus."
Das ersten Wagenrennen der Stampede fand 1923 statt. Teilnehmen konnte jeder, der wollte.
"Sie kamen damals mit richtigen Arbeitswagen und ihren schweren Rössern. Am Anfang des Rennens mussten sie einen Ofen auf den Wagen laden, dann ging es los. Mitten in der Arena stoppten sie - und gewonnen hatte am Ende der, aus dessen Ofen zuerst Rauch kam. Man konnte also auch ohne die allerschnellsten Pferde gewinnen, wenn man gut im Feuermachen war."
Aber die Wagenrennen sind in die Kritik geraten. Tierschützer beklagen, dass immer wieder Pferde verletzt werden. Troy Flad, einer der Wagenlenker, nimmt die Vorwürfe sehr ernst.
"Ja, es gibt Unfälle, unglücklicherweise, da braucht man nicht drum herumzureden. Aber wir kaufen unsere Pferde zu Preisen, die von einem besseren Trinkgeld bis zu 50.000 Dollar reichen. Da rast du nicht einfach herum wie Ben Hur. Für uns ist ganz entscheidend, wie wir uns um unsere Pferde kümmern. Sie sind nicht nur Pferde - sie gehören zur Familie. Jedes hat seinen eigenen Charakter, jedes muss individuell angefasst werden."
Und deshalb, sagt Troy Flad, hätten die Fahrer selbst sich darum gekümmert, die Rennen sicherer für Mensch und Tier zu machen.
"Wir haben mit unseren Verbänden hart daran gearbeitet, das Risiko so klein wie möglich zu halten. Die Strafen für schuldhafte Fehler beginnen jetzt bei 10.000 Dollar - wir halten wirklich Abstand voneinander. Die Leute, die öfter Unfälle verursacht haben, mussten so viel bezahlen, dass sie das Fahren inzwischen aufgegeben haben - aus finanziellen Gründen."
Rund 20.000 Zuschauer folgen enthusiastisch den Wettkämpfen. Die Männer dort unten verkörpern die Eigenschaften, die den weißen Siedlern das Überleben ermöglichten: Mut, Kraft, Zähigkeit, ein gutes Auge und Entscheidungsfreude - Fähigkeiten, wie sie heute noch auf den Ölfeldern der Provinz gefragt sind.
Gleich nach dem Wagenrennen startet die große Show.
Sie wird gigantisch, wie nicht anders zu erwarten in der Stadt der Ölmilliarden - der einzigen Kanadas, in der die Immobilienpreise immer noch in dem Himmel schießen.
Flammen züngeln, Lassowerfer aus China zeigen den Profis, was Sache ist, Motorradfahrer schlagen Saltos über die Bühne. Endlich gleitet ein goldener Adler über den Nachthimmel, auf einem silbernen Truck schwebt ein Countrystar ein und der Himmel explodiert in einem exquisiten Feuerwerk. Wenn das Guy Weadick noch erlebt hätte - er wäre so überwältigt gewesen wie die Tausenden heute Abend.